Die AHV fit machen fürs 21. Jahrhundert

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Seit Ende der 1990er-Jahre sind alle Versuche gescheitert, die AHV an die veränderten Bedingungen anzupassen. Dabei wären unterdessen tiefgreifende Anpassungen und neue Finanzierungsquellen dringend notwendig, nicht zuletzt um die Altersarmut wirksam zu bekämpfen.

Die AHV ist das bedeutendste Sozialwerk der Schweiz und für den grössten Teil der Schweizer Bevölkerung die wichtigste Säule der Altersvorsorge. So stammen bei jüngeren Rentnerinnen fast 80% der Vorsorgeleistungen aus der AHV – bei den Männern beträgt der Anteil immerhin 57%. Doch die AHV ist nicht nur sozialpolitisch, sondern auch volkswirtschaftlich bedeutsam: Mit 45 Mrd. Franken fliesst ein erheblicher Teil der wirtschaftlichen Wertschöpfung in die AHV und gleichzeitig wird die Konjunktur durch die mit den Renten finanzierten Konsumausgaben stabilisiert.

Strukturprobleme der AHV

Mit der 10. AHV-Revision von 1997 wurde ein wesentlicher Schritt in Richtung Gleichstellung der Geschlechter getan und gleichzeitig das Rentenalter der Frauen von 62 auf 64 Jahre erhöht. Seither stockt die Anpassung der AHV an die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Auch die nachhaltige Finanzierung der AHV konnte bisher nicht realisiert werden. Mehrmals scheiterten Reformvorschläge an den politischen Kräfteverhältnissen, der mangelnden Konsensfähigkeit im Parlament oder am Volksmehr. Dies verschärfte die bestehenden Strukturprobleme der AHV.

Mit der steigenden Lebenserwartung nahm die Dauer einer durchschnittlichen AHV-Rente zu, gleichzeitig erhöhte sich der Anteil der AHV-Rentner*innen in der Bevölkerung seit 1970 von 11.5% auf 18.7%. In der Folge gerieten die Finanzen zunehmend in Schieflage, sodass 2019 ein Umlagedefizit von mehr als einer Milliarde Franken resultierte. Zwar wurde dieses Defizit in der Zwischenzeit mit einer Mehrwertsteuererhöhung von 0.3% und zusätzlichen Bundesmitteln vorübergehend ausgeglichen. Um das Vertrauen in die AHV sicherzustellen, braucht es jedoch dringend eine nachhaltige Finanzierung.

Mit der Vorlage AHV21 sieht der Bundesrat nun eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen um ein Jahr vor, sowie zusätzliche 0.7% Mehrwertsteuer zur Sicherstellung der Finanzierung für die nächsten zehn Jahre. Die Erhöhung des Rentenalters der Frauen würde mit Massnahmen für die Übergangsgeneration abgefedert, zudem würde der flexible Altersrücktritt erleichtert.

Altersarmut trotz ausgebautem Vorsorgesystem

Der Zweck der AHV ist es, für die gesamte Bevölkerung im Alter ein existenzsicherndes Grundeinkommen zu garantieren. Allerdings ist es bisher nicht gelungen diesen Verfassungsauftrag (BV Art 112) umzusetzen, da die AHV-Rente das Existenzminimum nicht abdeckt. Zwar werden Lücken teilweise durch die Ergänzungsleistungen geschlossen. Diese sind jedoch an verschiedene Bedingungen geknüpft, was den finanziellen Handlungsspielraum der betreffenden Haushalte erheblich einschränkt.

Je nach Einkommen hat die AHV eine unterschiedliche Bedeutung für die Einkommenssicherung. Unterteilt man beispielsweise die Berner Bevölkerung anhand des Haushaltseinkommens in zehn sogenannte Dezilgruppen, so zeigt sich, dass zwei Drittel der Rentnerhaushalte zu den untersten vier Einkommensgruppen gehören. Bei diesen trägt die AHV mehr als die Hälfte zum Einkommen bei. Bei rund 14% der Rentnerhaushalte (7. – 9. Dezil) überwiegt die berufliche Vorsorge, während die reichsten Rentnerhaushalte des obersten Dezils (3% der Rentnerhaushalte) ihr Einkommen zur Hälfte oder mehr aus dem Vermögenseinkommen generieren.

Im unteren Einkommensbereich konnte die Altersarmut bislang nicht beseitigt werden. Im Kanton Bern sind 5% der Rentner*innen zwischen 66 und 75 Jahren von Armut betroffen, wobei dieser Wert bei den Frauen deutlich höher liegt. Dies zeigt der von BFH und Caritas entwickelte Armutsindikator. Bei der Berechnung dieses Indikators wird neben dem Einkommen auch das Vermögen berücksichtigt, das die Rentner*innen gegebenenfalls benötigen, um das Existenzminimum bis zur geschätzten Lebenserwartung zu finanzieren.

Berücksichtigt man jedoch, dass 12.6% der Rentner*innen ihren Lebensunterhalt nur dank Ergänzungsleistungen (EL) finanzieren können, so liegt die Armutsquote der über 65-Jährigen zwischen 17% und 18%. Der Umstand, dass die EL-Quote bei Personen zwischen 65 und 69 Jahren seit 2005 von 7.6% auf 10.2% zugenommen hat, deutet auf ein weiteres strukturelles Problem hin.

Anpassungen an Lohnentwicklung und Existenzminimum notwendig

Aufgrund von Veränderungen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft nahmen in den letzten Jahrzehnten biografische Brüche zu – z.B. Langzeitarbeitslosigkeit oder Scheidungen. Diese haben Lücken in der Altersvorsorge zur Folge. Zudem deckt die AHV einen immer geringeren Teil des letzten Lohnes ab; dies aufgrund des Mischindex, welcher die Renten an die Teuerung und nur teilweise an die Lohnentwicklung anpasst. Damit verschiebt sich auch das Gewicht der AHV im Gesamtsystem der Alterssicherung, wovon besonders die tieferen Einkommensgruppen betroffen sind. Deshalb drängen sich in der laufenden Revision nach zwanzig Jahren grundlegendere Veränderungen auf.

Als Lösung wird u.a. von der Finanzindustrie der Ausbau der 3. Säule propagiert. Dies würde zu einer Individualisierung der Alterssicherung führen und einer Verschiebung zugunsten der Kapitaldeckung, was eine Umgewichtung der Alterssicherung zur Folge hätte. Da sich gerade die am stärksten auf die AHV angewiesen Personen, kaum Einlagen in die 3. Säule leisten können, wird dadurch das oben angesprochene Problem der Altersarmut nicht gelöst. Und auch mit der von der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des SR vorgeschlagenen Erhöhung der AHV-Rente für Ehepaare wird gerade jene Gruppe begünstigt, die das geringste Armutsrisiko hat und die zudem durch die AHV bereits privilegiert ist.

Gefragt wäre eine gesamtheitliche Lösung, welche neben der nachhaltigen Finanzierung auch die Rolle der AHV im gesamten Vorsorgesystem im Fokus hat. Um die AHV-Renten der Lohnentwicklung seit 1980 anzupassen, wäre eine Erhöhung um 220 Franken notwendig. Basierend auf Zahlen zum Kanton Bern entspräche dann die Maximalrente der AHV der Existenzsicherung gemäss SKOS und somit dem Verfassungsauftrag. Dies könnte auch die Rentenkürzungen bei der beruflichen Vorsorge abfedern, die sich infolge der vorgesehenen Senkung des Umwandlungssatzes für die nur im Obligatorium versicherten Personen ergeben. Besonders profitieren könnten davon Frauen, die häufig tiefe Renten haben, was wiederum zur Reduktion des sogenannten Gender Pension Gap beitragen würde. Zu guter Letzt würde dies auch zu Einsparungen bei der EL führen.

Neue Steuern für eine nachhaltige Finanzierung

Ein zentrales Problem der AHV ist die nicht nachhaltig gesicherte Finanzierung. Innerhalb der bestehenden Strukturen stellt die wirtschaftliche Belastung der jüngeren Generation hier ein Hindernis dar, weshalb weitere Finanzierungsquellen gesucht werden müssen. Dazu bieten sich Abgaben auf hohem Vermögen oder auf Vermögenseinkommen an. Da sich diese auf die ressourcenstärksten Rentnerhaushalte und ältere Erwerbshaushalte konzentrieren, würden ihre Besteuerung weder die Handlungsfähigkeit der betreffenden Haushalte – und somit die wirtschaftliche Entwicklung – beeinträchtigen, noch die jüngere Generation belasten.

Denkbar wäre eine Besteuerung von hohen Erbschaften oder hohen Vermögenseinkommen, wie es etwa die 99%-Initiative verlangt. Aus letzteren könnten gemäss Schätzung jährlich 7 bis 8 Mrd. Franken generiert werden. Mit einem Teil davon könnte die AHV inklusiv den erhöhten Renten nachhaltig finanziert und die zunehmende Ungleichheit begrenzt werden. Mit einer gezielten Anpassung der Rentenformel könnte sogar Personen eine angemessene Rente (d.h. eine Maximalrente) garantiert werden, die ihr Leben lang Vollzeit in einem Tieflohnbereich gearbeitet haben oder die in einem grösseren Umfang Care-Arbeit geleistet haben.

 


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1 Kommentare
  • Hans Baumann

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    Der Beitrag zeigt sehr gut auf, warum und wie die AHV ausgebaut werden müsste, damit sie wieder ihre Rolle als existenzsichernde Rente wahrnehmen kann. Die AHV ist die beste und sozialste Säule im schweizerischen Vorsorgesystem.

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