Die Reform der Ergänzungsleitungen führt zu einigen Einsparungen für die Staatskasse. Sie dürfte in gewissen Konstellationen jedoch dazu führen, dass die EL die Existenz bedürftiger Personen im Alter oder mit Behinderung nicht mehr sichert. Zudem bleibt trotz Gesetzesreform die Frage der Absicherung bei neuen Wohnformen ungelöst.

Am 1. Januar 2021 trat die Revision des Ergänzungsleistungsrechts in Kraft. Am verfassungsmässigen Auftrag der Ergänzungsleistungen (EL) ändert sich dadurch nichts. Sie sollen weiterhin den Existenzbedarf für Anspruchsberechtigte auf Leistungen der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung sichern, wo die Renten der AHV, Hilflosenentschädigungen, Taggelder oder Renten der IV nicht ausreichen. Jedoch sollen die verschiedenen Massnahmen ab dem Jahre 2030 rund 400 Mio. Franken weniger Ausgaben zur Folge haben – dies trotz des demografischen Wandels, höherer Lebenserwartung und zunehmenden Pflegekosten.

Auswirkungen der Sparmassnahmen

Eine der Änderungen bezieht sich auf die Erben von Personen, die EL-bezogen haben. Beträgt der Nachlass nach deren Tod mehr als 40’000 Franken, sollen bezogene EL rückvergütet werden. Diese Änderung bedeutet einen Einschnitt ins Sozialversicherungssystem, da bislang nur unrechtmässig bezogene Leistungen rückerstattet werden mussten.

Viele Änderungen haben auch unmittelbare Auswirkungen auf den Anspruch der EL-beziehenden Person. Sie betreffen die Frage, welche Ausgaben als Grundbedarf berücksichtigt und welche Einnahmen von diesem Betrag abgezogen werden können.

  • Die Änderungen betreffend der anerkannten Ausgaben halten sich mit Blick auf das Leistungsniveau in etwa die Waage: Der Erhöhung der Wohnungskosten stehen einige Senkungen gegenüber – gesenkt wird beispielsweise der Mindestbeitrag an die Krankenversicherungsprämie und die Durchschnittsprämie wird nicht mehr in jedem Fall gewährt.
    Wichtige Aspekte bleiben durch die Revision jedoch unberührt: So etwa die Frage, welche Kosten bei einem Heimaufenthalt gedeckt sind oder welche Krankheits- und Behinderungskosten zusätzlich angerechnet werden. Hier bleibt weiterhin ein grosser kantonaler Spielraum bestehen.
  • Die grössten Veränderungen betreffen die Einnahmen, die nun vom Anspruch abgezogen werden: Die Vermögen der Betroffenen werden stärker berücksichtigt. Konkret wird ein angenommener Verbrauch als Einkommen angerechnet, was den Anspruch auf EL senkt.
  • Erhebliche Auswirkungen wird die neue Vermögensschwelle haben. Personen mit mehr als 100’000 Franken Vermögen – bei Ehepaaren 200’000 Franken – haben von Vornherein keinen Anspruch mehr auf EL. Nicht berücksichtigt werden dabei selbstbewohnte Liegenschaften und dazu gehörige Hypotheken. Gezählt werden jedoch sogenannte Verzichtsvermögen, also Vermögen, die nicht mehr vorhanden sind, weil beispielsweise Schenkungen oder ein übermässiger Verbrauch von (Vorsorge-) Vermögen erfolgt ist. Letzteres gilt bei AHV-Rentner*innen für einen Zeitraum bis zehn Jahre vor dem AHV-Bezug, für den Betroffene eine allfällig höhere Verwendung ihres Vermögens rechtfertigen müssen.
  • Zudem werden Vermögensfreibeträge gesenkt und bei Ehepaaren, bei denen eine Person im Heim und die andere im Eigenheim lebt, wird das eheliche Vermögen stärker der Person im Heim angerechnet.

Insbesondere die Vermögensschwelle und Verschärfungen bei den anrechenbaren Vermögen können dazu führen, dass Bedürftige – zum Beispiel Personen in Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen – entgegen dem Verfassungsziel, die notwendige Pflege und Betreuung nur erhalten, wenn die Sozialhilfe die Kosten übernimmt. Welches Betreuungsniveau durch die Sozialhilfe gewährt wird, ist dabei abhängig von kantonalen Regeln und einer in diverser Hinsicht unklaren Praxis.

Dieses Problem hätte der Gesetzgeber abmildern können, wenn er die berufliche Altersvorsorge – für viele Menschen die wichtigste Ersparnis – für ihren eigentlichen Zweck gesichert hätte. Beispielsweise indem er die Möglichkeiten beschränkt hätte, das angesparte Vorsorgevermögen frühzeitig zu beziehen. Das Parlament lehnte dies jedoch ab.

Herausforderungen der Existenzsicherung

Die meisten neuen Hürden werden für EL-Beziehende erst in drei Jahren wirksam, weil zuvor ein Besitzstand gilt. Auch kann ein übermässiger Vermögensverbrauch nur einbezogen werden, wenn er ab 2021 erfolgt. Das gibt der Sozialberatung, der Sozialhilfe, den Kantonen und den Gemeinden sowie den Heimverbänden etwas Zeit, um die Frage zu klären, wie eine menschenwürdige Betreuung und Pflege bewahrt werden kann, wenn die EL als Finanziererin vermehrt ausfällt. Diese Zeit sollte unbedingt genutzt werden.

Zudem bleibt die Konzeption der EL bis auf Weiteres im Gegensatz «Leben im Heim» oder «Leben zu Hause» verhaftet. Formen des betreuten Wohnens, beziehungsweise von Wohnen mit Dienstleistungen werden bislang nur ungenügend berücksichtigt und finanziert. Diese Wohnformen sind für ein menschenwürdiges Leben von Invaliden, Hinterlassenen und Pensionierten von besonderer Bedeutung. Im Parlament hat die Debatte über eine weitere Reform jedoch erst begonnen.

 


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