Zur Sprechstunde beim Sozialarbeiter

Sozialarbeiter und Hausarzt im Gespräch

Foto: istock.com/sarinyapinngam

In verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens ist die Soziale Arbeit kaum mehr wegzudenken. Etabliert hat sie sich etwa in Spitälern, die in der Regel Sozialberatungen anbieten. Weniger üblich ist, dass Hausarztpraxen Sozialarbeitende anstellen. Welches Potential steckt dahinter und wie könnte diese Zusammenarbeit aussehen?

Bei verschiedensten Beschwerden konsultiert der Grossteil der Bevölkerung als erstes die Hausärztin oder den Hausarzt. Da sich diese Beziehung oft über Jahre entwickelt hat, besteht ein Vertrauensverhältnis. Darin steckt grosses Potential, um soziale Probleme frühzeitig zu erkennen. Fast täglich ist die Ärzteschaft mit sozialen Problemen konfrontiert und steht gleichzeitig zunehmend unter Druck: es gibt immer weniger Hausarztpraxen, die Anzahl Konsultationen pro Ärztin oder Arzt nimmt zu, die Sprechstunden werden kürzer, die Arbeitslast ist hoch. Gleichzeitig nehmen die Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien stetig zu. Das System stösst an Grenzen.

Pioniere in Zollikofen

Angesichts dieser Voraussetzungen fragte sich ein BFH-Forschungsteam, welches Potential in der Zusammenarbeit von Hausärzten und Sozialarbeitenden steckt. Eine Arztpraxis mit Pioniercharakter und die dort tätige Ärzteschaft, der Sozialarbeiter sowie Klientinnen und Klienten stellten sich für Interviews zur Verfügung. Die daraus entstandene BFH-Studie zeigt, dass die Zusammenarbeit nicht nur lange Wege über verschiedene Institutionen, sondern auch gesundheitliche Eskalationen verhindern kann.

Seit fünf Jahren gehört in der Gemeinschaftspraxis Salutomed in Zollikofen neben dem ärztlichen Leiter, weiteren Hausärztinnen, medizinischen Praxisassistentinnen, einer Psychiaterin und Psychologinnen auch ein Sozialarbeiter zum Team. Dieser nimmt an den regelmässigen Besprechungen, Supervisionen und Fallbesprechungen des Teams teil. Er bringt als Fachperson das Wissen mit, um soziale Fragen zu beantworten.

«Ressourcen sparen»

Eine Hausärztin der Praxis meint, Ärztinnen und Ärzte könnten sich dank dem Sozialarbeiter mehr auf das Medizinische konzentrieren:

«Es ist fragwürdig, jemanden mit ständigen Kopfschmerzen ins Inselspital und von MRI zu MRI zu schicken, ohne den Rest einmal anzuschauen. Ich denke, die Soziale Arbeit in der Praxis kostet nicht mehr, sondern spart eher Kosten, vor allem spart sie Ressourcen, bei den Medizinern auch zeitlich».

Bei sozialen Fragen sei man früher wiederholt an Grenzen gestossen. Bei einem Problem habe man den «(…) Patienten eine Adresse von einer Beratungsstelle gegeben und häufig ist der Kontakt nicht wahrgenommen worden», meint die Ärztin. Die Hemmschwelle, selbst die Initiative zu ergreifen, sei für viele Patientinnen und Patienten zu gross. Die Zusammenarbeit mit den Sozialarbeitenden der Gemeinde sei schwierig gewesen, da sie nicht ausschliesslich für die Patientin oder den Patienten da sein konnten, sondern Vorgaben der Gemeinde oder der SKOS erfüllen mussten.

Zuweisung nur mit Einwilligung

Zum praxisinternen Sozialarbeiter überwiesen werden Patientinnen oder Patienten nur, wenn sie das selber wollen. Eine Patientin meinte dazu, der Hausarzt habe gesagt, sie könne Vertrauen haben zum Sozialarbeiter der Praxis. «Das war das Ausschlaggebende.»

Bei Problemen und Sorgen, etwa einer hohen Schuldenlast, kann eine Sozialberatung Perspektiven aufzeigen. Bei ihm habe dies Druck weggenommen, meint ein Patient.

«Man kann das Leben wieder mehr geniessen, wenn man weiss, wie man finanziell dasteht. Das wirkt sich positiv aus. Vor allem an der Psyche merkt man es.»

Die Beratung sei «beruhigend für Institutionen mit Ansprüchen oder Forderungen an die Patientinnen und Patienten», meint der Sozialarbeiter. «Sie merken, da ist jemand, der begleitet. Das nimmt weiteren Druck aus der Situation.»

Was beinhaltet die Begleitung durch den Sozialarbeiter?

Seine Sozialberatung werde insbesondere von Personen im Erwerbsalter in Anspruch genommen, viele von ihnen mit Migrationshintergrund. Vereinzelt kämen auch Personen im Rentenalter. Dabei gehe es um Sozialversicherungsfragen und -abklärungen, Arbeitsrecht, Unterstützungsmöglichkeiten bei Geldnöten oder Coachings, sagt der Sozialarbeiter.

Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehöre es, im Gespräch zu entschleunigen, Vertrauen aufzubauen, Komplexität zu reduzieren und zu vernetzen. Bedeutend sei es, gemeinsam herauszufinden, was für die betroffene Person die beste Lösung sei. Er greife mit seinen Beratungen vor allem dort, wo niemand anders zuständig sei.

Risiken des Modells

Das Modell ist erfolgreich. Es birgt jedoch auch Risiken. Ein Grossteil des Erfolgs hängt von den beteiligten Fachpersonen und einer gemeinsamen Grundhaltung und Wertebasis ab. Damit das jeweilige Fachwissen seine Wirkung entfalten kann, braucht es einen fruchtbaren Boden, der die interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe ermöglicht. Zudem kommt der Return-on-investment nicht sofort. Es müssen in einer ersten Phase die Prozesse und die Kommunikationsabläufe definiert, die Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten und speziellen Kompetenzen erkannt und geklärt werden. Auch später, wenn die Zusammenarbeit etabliert ist, braucht es fortwährende Reflexion und Investitionen in die lernende Organisation. Diese zahlen sich aber aus und bringen eine Entlastung für alle: Für die Ärztinnen und Ärzte, die Patientinnen und Patienten sowie vermutlich auch für die Haushaltsbudgets.

 

Eine ausführliche Fassung dieses Artikels finden Sie in der neuesten impuls-Ausgabe.


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