Wie sicher fühlen sich Roma an Schweizer Schulen?

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Foto: istock.com/skynesher

Anlässlich der aktuellen Rassismus-Debatte in den USA und der weltweiten Proteste fragen sich viele: Wie steht es um rassistische Diskriminierungen in unserem Land? Blicken wir auf die Situation von Roma, deren eigene Perspektive kürzlich zum ersten Mal Eingang in eine Schweizer Untersuchung fand.

Die 600-jährige Geschichte der Roma in der Schweiz ist bis heute von Ausgrenzung und Diskriminierung durchdrungen. Die gesellschaftliche Marginalisierung der grössten europäischen Minderheit wiederspiegelt sich auch darin, dass für die Schweiz kaum wissenschaftliche Beiträge existieren, die sich mit den Lebensbedingungen von Roma beschäftigen. Meine Masterarbeit ist die erste Untersuchung, die sich für Perspektiven von Roma aus der Schweiz interessiert. In deren Rahmen berichteten fünf Romnija (weibliche Roma) im Alter von 20 bis 34 Jahren in narrativen Interviews über ihre Erfahrungen während der Schulzeit. Alle Befragten weisen eine ex-jugoslawische Herkunft auf und sind in der Schweiz aufgewachsen. Entgegen der verbreiteten Meinung leben die rund 80’000 Roma aus der Schweiz nicht fahrend, sondern sesshaft.

Verdecken oder offen mitteilen?

Ihre Berichte zeigen, dass die jungen Frauen die Schule überwiegend als unsicheres Umfeld erlebt haben. Während sich eine Bernerin nicht überlegen muss, ob sie offen zu ihrer Herkunft stehen kann, ist dies für die befragten Romnija anders. Die Möglichkeit, aufgrund ihrer Roma-Zugehörigkeit diskriminiert oder stigmatisiert zu werden, ist stets präsent. Die Frauen sind gezwungen zu entscheiden, wie sie mit ihrer Zugehörigkeit in der Öffentlichkeit umgehen. Die einen verdecken diese in der Regel, andere teilen sie aktiv und offen mit.

Das Verschweigen ihrer Herkunft begründet Gabriela* – eine der befragten jungen Frauen – mit befürchteten Konsequenzen, wie Beschimpfung oder physische Gewalt:

«Ich habe das schon bei ein paar anderen gemerkt, die öffentlich gesagt haben, dass sie Roma sind. Dort waren die Reaktionen halt eher negativ, sie sind beschimpft und sogar verprügelt worden. Es gibt paar, die ich kenne – und das finde ich halt schon krass – die sich nicht zeigen, aus Angst vor Nachteilen.»

Diskriminierungserfahrungen im schulischen Umfeld

Emina* hätte ihre Roma-Zugehörigkeit für sich behalten wollen, diese wurde jedoch in der Schule ausgeplaudert. Dies markierte für sie den Beginn von Ausgrenzung und Diskriminierung:

«In der Pause wurden wir zum Beispiel immer gemobbt mit ‹Zigeuner Zigeuner, Ihr müsst zurück in euer Land und Ihr habt hier nichts zu suchen und, und Du stinkst, Du bist dreckig› und solchen Aussagen – immer in den Pausen. Vor den Pausen hatte ich immer Angst.»

Die Befragten haben diese antiziganistische Diskriminierung in sehr unterschiedlichem Ausmass erlebt. Sie berichteten von physischer Gewalt, Ausgrenzung, Beschimpfung, Konfrontation mit Stereotypen, Abwendung als Reaktion auf die Zugehörigkeit, Beschimpfung mit dem Zigeunerbegriff sowie der Ausweitung der Diskriminierung auf nahestehende Nicht-Roma.

Antiziganismus stoppen

Eminas Lehrer versuchte den Diskriminierungen beizukommen und führte mit den involvierten Schülerinnen und Schülern Gespräche, was jedoch keine Verbesserung brachte. Schliesslich klärte er im Unterricht über die Geschichte der Roma auf, was laut Emina die Akzeptanz ihr gegenüber förderte. In den anderen Fällen bleibt unklar, ob die Schulen die Diskriminierungen überhaupt bemerkten. Die Befragten erzählen jedenfalls nichts von Interventionen seitens der Schule. Dies weist auf zwei Problem- und Handlungsfelder hin:

  • Die Schulen reagierten nicht, beziehungsweise nicht handlungswirksam auf die Diskriminierungen, so dass diese hätten gestoppt werden können. An den Schulen sollte daher eine erhöhte Sensibilität für Antiziganismus bestehen und entschlossene Interventionen erfolgen.
  • Es hängt von der jeweiligen Lehrperson ab, ob die Geschichte der Roma im Unterricht behandelt wird. Der neue Lehrplan 21 verlangt keine Thematisierung. Die Antworten aus den Interviews zeigen, dass eine Thematisierung im Unterricht für die Romnija hilfreich gewesen wäre, respektive dass sie dort, wo sie stattfand, als akzeptanzförderlich erlebt wurde.

Minderheiten zuhören

Die befragten Romnija beschreiben, dass die erfahrenen antiziganistischen Diskriminierungen vielfach von Nicht-Roma aus Ex-Jugoslawien ausgegangen seien. Hier zeigt sich, dass Spannungen, die in den Herkunftsländern zwischen diesen Gruppen existieren, in der Schweiz weiterbestehen. Daraus darf aber nicht abgeleitet werden, dass ein «Outing» gegenüber anderen Personen unproblematisch sei. Jedoch lässt sich daraus folgern, dass schulische Fachpersonen auf diese Spannungen zwischen Roma und Nicht-Roma aus Ex-Jugoslawien sensibilisiert sein sollten, um Roma-Schülerinnen und -Schüler vor Blossstellungen zu schützen.

In den letzten Tagen war es einfach, die USA zu beobachten und die dortige Situation der Schwarzen Bevölkerung zu kritisieren. Aber auch in der Schweiz sind wir gefordert, uns auf Perspektiven der hier lebenden Minderheiten einzulassen, ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Die Thematisierung der Geschichte der Roma in den Schulen und entschlossene Interventionen gegen rassistische Vorfälle wären ein kleines Teilstück hierzu.

*Die Namen der befragten Personen wurden geändert.

 


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