Bei chronischen Elternkonflikten nach der Trennung sind Beistandschaften eine häufige Kindesschutzmassnahme. Eine an der BFH verfasste Masterarbeit zeigt Gelingensfaktoren solcher Beistandschaften auf und präsentiert Handlungsempfehlungen für die Praxis.
Nach einer Trennung und Scheidung können chronische Elternkonflikte das Wohl der betroffenen Kinder gefährden. Sei dies, weil der Kontakt zu einem Elternteil verwehrt wird, Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht mehr im Fokus haben oder Kinder gewaltvolle Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern miterleben. Eine mögliche und häufige zivilrechtliche Massnahme bei dieser Form der Kindeswohlgefährdung ist eine Beistandschaft gemäss ZGB.
Im Jahr 2023 wurden 20‘880 Kinder bei der Umsetzung des Umgangsrechts oder anderen Trennungskonflikten durch eine Beistandschaft unterstützt – was 42.5 Prozent aller Kindeschutzmassnahmen entspricht. Das Führen dieser Beistandschaften stellt die Fachpersonen vor grosse Aufgaben. Oft berichten diese von unrealistischen Erwartungen der Eltern und dem Gefühl, zwischen die Fronten elterlicher Konflikte zu geraten oder gar selbst Teil des Konflikts zu werden. Solche Situationen führen bei Fachpersonen nicht selten zu Hilflosigkeit und Resignation. Umso schwieriger ist es, in diesen Situationen den eigentlichen Auftrag nicht aus den Augen zu verlieren: die Sicherung und Förderung des Kindeswohls.
Im Rahmen meiner Masterarbeit ging ich der Frage nach, wie im Rahmen von Beistandschaften mit den Eltern gewinnbringend zusammengearbeitet werden kann und welche Faktoren trotz der schwierigen Umstände zur Förderung des Kindeswohls beitragen. Dafür habe ich in leitfadengestützten Interviews mit Beistandspersonen über gelungene Beistandschaften besprochen. Zudem führte ich jeweils auch ein Interview mit einem betroffenen Elternteil, um die Ergebnisse mit dieser Sichtweise zu ergänzen.
Gelingensfaktoren seitens Eltern und Familie
Veränderungen zum Wohle der Kinder sind dann möglich, wenn beide Elternteile die Trennung und die neue Lebenssituation akzeptiert haben. Besonders wichtig ist dabei, dass beide Eltern am Leben der Kinder teilhaben können – insbesondere auch der Elternteil, der nicht die Hauptbetreuung übernimmt. Dazu gehört, über wichtige Themen wie Schule, Gesundheit und Freizeit informiert zu sein und aktiv mitentscheiden zu können. Zentral erscheint auch, dass beide Elternteile den Kontakt vom Kind zum jeweilig anderen Elternteil aktiv unterstützen.
Ein entscheidender Faktor für den Erfolg einer Beistandschaft oder anderer Unterstützungsmassnahmen ist die Motivation der Eltern – d.h. ihre grundlegende Bereitschaft, daran mitzuwirken. In den untersuchten Fällen waren Eltern eher zur Teilnahme an einer Massnahme bereit, wenn sie einen gewissen Leidensdruck verspürten und selbst eine Veränderung anstrebten. Weitere wichtige Voraussetzungen sind das Vertrauen in die Beistandsperson und in die Wirksamkeit der Massnahme. Dazu ist es zentral, dass die Massnahme mit den persönlichen Werten der Eltern übereinstimmt.
«Ich bin ein Familienmensch. Mir war sehr wichtig, dass mein Kind sieht, dass es auch funktionieren kann, wenn Mama und Papa nicht mehr zusammen sind.» Eine Mutter
Gelingensfaktoren seitens Beistandspersonen
Diese Analyse verdeutlicht, dass der Arbeitsbeziehung zwischen Beistandsperson und Eltern eine zentrale Rolle zukommt. Ein vertrauensvoller Beziehungsaufbau, ein wertschätzender und empathischer Umgang sowie eine klare und umfassende Klärung des Auftrags sind entscheidend.
«Wie wir die Mutter am Schluss gewinnen konnten? Es gab eine Art Schlüsselgespräch zu zweit, hier bei mir. Dabei legte ich einmal ganz fest Wert darauf, ihren Standpunkt auch zu begreifen.» Eine Beistandsperson
Um eine konstruktive Zusammenarbeit zu fördern, sind gut strukturierte Gespräche besonders hilfreich. Wie Beistandspersonen berichteten, zeigt der gezielte Einsatz verschiedener Gesprächsführungstechniken in schwierigen Gesprächen positive Effekte.
Ein weiterer Faktor für den Erfolg der Beistandschaft ist der Zeitaufwand. Die Beistandspersonen berichten, dass sie in den untersuchten, positiv verlaufenden Fällen deutlich mehr Zeit investierten, als normalerweise möglich wäre. Dies hat aus ihrer Sicht massgeblich zu positiven Veränderungen beigetragen. Regelmässige und häufige Gesprächstermine spielen eine wichtige Rolle. Auch ist es hilfreich, wenn die Beistandsperson für die Eltern gut erreichbar und ansprechbar ist. In den untersuchten Fällen werden zudem die negativen Auswirkungen von wechselnden Beistandschaften oder von Zuständigkeitslücken sichtbar. Diese schmälern das Vertrauen der Eltern in die Massnahme und ihre Bereitschaft zur Mitwirkung, was die Unterstützung erschwerte.
Erfolgreiche Beistandschaften brauchen mehr Ressourcen
Beistandschaften können bei chronischen Elternkonflikten eine wirksame Unterstützung für die betroffenen Familien sein. Die Untersuchung zeigt jedoch, dass gerade bei tiefgehenden Konflikten die Arbeit mit den Eltern hohe Anforderungen an die Fachpersonen stellt. Das Verstehen und Einbeziehen der individuellen Situation der Eltern, ihren Veränderungswünschen, ihrer Familien- und Erziehungswerten ist für eine gelingende Zusammenarbeit zentral. Um Eltern wirkungsvoll zu unterstützen, wären jedoch zeitliche Ressourcen notwendig, die deutlich über die gemäss KOKES vorgesehenen Stunden hinausgehen. Somit kann der für eine gewinnbringende Begleitung nötige Aufwand aktuell nur bei ausgewählten Beistandschaften erbracht werden.
Die Methodenkompetenzen der Beistandspersonen können mit individuellen Weiterbildungen und entsprechenden methodischen Materialien in der Organisationen gestärkt werden. Gleichzeitig muss jedoch ihre individuelle Belastung reduziert werden, um die Qualität der erbrachten Beratungen sicherzustellen und eine hohe Personalfluktuation zu verhindern.
Kontakt:
Masterthesis:
Literatur und weiterführende Links:
- Fichtner, Jörg, Dietrich, Peter S., Halatcheva, Maya, Hermann, Ute, & Sander, Eva. (2010). Kinderschutz bei hochstrittiger Elternschaft. Wissenschaftlicher Abschlussbericht. Deutsches Jugendinstitut.
- Jenzer, Regina; Stalder, Joel & Hauri, Andrea. (2018). Psychosoziale Interventionen bei Elternstreitigkeiten im zivilrechtlichen Kindesschutz. Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutz, 6/2018, 427–454.
- Keil de Ballon, Silvia. (2017). Hocheskalierte Elternkonflikte nach Trennung und Scheidung: Einführung in die Beratung von Eltern bei Hochstrittigkeit. Springer.
- Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz KOKES. (2024): Statistik – Aktuelle Zahlen 2023
- Wider, Diana, & Pfister-Wiederkehr, Daniel. (2022). Persönlicher Verkehr. In Daniel Rosch, Christiana Fountoulakis, & Christoph Heck (Hrsg.), Handbuch Kindes- und Erwachsenenschutz. Recht und Methodik für Fachleute (3., S. 361–393). Haupt
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