Fast die Hälfte der Arbeitnehmenden ab 45 Jahren könnte sich vorstellen, nach der Pensionierung weiterzuarbeiten. Wie eine Umfrage von Arbeitnehmenden zeigt, sind Weiterbildungen und die Minderung psychischer Belastungen entscheidende Voraussetzungen für die nachhaltige Beschäftigung älterer Arbeitnehmender.
Die Frage, ob sie nach der Pensionierung gerne weiterarbeiten möchten oder nicht, ist für Arbeitnehmende ab 45 Jahren zunehmend wichtiger und wird mit dem Arbeitgeber verhandelt oder im privaten Umfeld diskutiert. Die Anzahl der Personen, die nach der Pensionierung weiter arbeiten, hat in den letzten 10 Jahren um rund die Hälfte zugenommen, mittlerweile sind 20% der 65- bis 74-jährigen erwerbstätig. Einige möchten weiterhin in einem reduzierten Umfang am Erwerbsleben teilhaben, um ihr Know-how weitergeben zu können. Für Geringverdienende und Selbständige, die oft über keine ausreichenden Pensionsgelder verfügen, ist die Weiterarbeit nach der Pension eine Frage der Existenzsicherung oder zumindest der Erhaltung ihres Lebensstandards.
Spass und gute Gesundheit als wichtigste Gründe
Mit dem Barometer Gute Arbeit erhebt die Berner Fachhochschule seit 2015 jährlich Indikatoren zur Qualität der Arbeitsbedingungen in der Schweiz. Im Jahr 2019 wurden die Arbeitnehmenden im Rahmen des Projekts MOZART – Modelle für den zukünftigen Arbeitsmarkt 45+ gefragt, ob und weshalb sie nach der Pension weiterarbeiten möchten. Dabei gaben 12% der über 45-jährigen Arbeitnehmenden an, nach ihrer Pensionierung weiterarbeiten zu wollen, weitere 31% möchten dies eher tun. Personen, die im Rentenalter weiterarbeiten möchten, sind also etwa gleich häufig wie Personen, die dies lieber nicht tun möchten.
Als Grund geben die meisten Personen an, dass sie Spass an der Arbeit hätten und sich fit und gesund fühlten. Als dritthäufigster Grund wird von zwei Dritteln der Befragten angegeben, dass sie finanziell darauf angewiesen seien. Wer nach der Pensionierung nicht weiterarbeiten möchte, begründet dies am häufigsten damit, dass er oder sie die Zeit für andere Dinge verwenden möchte. Rund ein Drittel fühlt sich dazu gesundheitlich nicht in der Lage. Das Potenzial an erwerbsfähigen und motivierten Personen im Pensionsalter scheint jedoch noch lange nicht ausgeschöpft.
Grosse Unterschiede zwischen den Branchen
Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels machen sich Arbeitgebende vermehrt Überlegungen zur nachhaltigen Beschäftigung ihrer älteren Belegschaft. Die Bereitschaft, im Rentenalter weiter zu arbeiten, kann dabei als Indikator für eine nachhaltige Unternehmungs- und Führungskultur betrachtet werden. In der Informations- und Kommunikationsbranche liegt der Anteil der Arbeitnehmenden mit dem Wunsch nach Weiterarbeit im Pensionsalter mit 67% am höchsten, gefolgt vom Baugewerbe. Letzteres überrascht. Die Auswertungen zeigen allerdings, dass nicht körperliche, sondern primär psychische Belastungen den Wunsch nach Weiterarbeit nach der Pensionierung mindern. Auf der anderen Seite ist die Weiterarbeit nach der Pensionierung in Verkehr und Lagerei mit 28% am wenigsten gefragt, gefolgt vom verarbeitenden Gewerbe und dem Detailhandel. Aufgrund der Digitalisierung ist das Risiko des Stellenverlusts gerade in Verkehr und Lagerei sowie im Detailhandel stark erhöht. So hat die SBB den Handlungsbedarf beispielsweise erkannt und fördert mit ihrer Standortbestimmung «Boxenstopp» die persönliche und berufliche Weiterentwicklung älterer Arbeitnehmender.
Leitungspositionen und Weiterbildungen
Während etwa die Hälfte der Männer angeben. dass sie über das Pensionsalter hinaus erwerbstätig sein möchten, sagt dies nur rund ein Drittel der Frauen. Dieser Unterschied erklärt sich unter anderem dadurch, dass Männer häufiger selbständig sind und eine Leitungsposition innehaben. Beides hat einen stärkeren Einfluss auf die Bereitschaft zur Weiterarbeit als andere Merkmale wie die Einkommensposition oder die Bildungsstufe. Innerhalb derselben beruflichen Position verspüren Männer und Frauen den Wunsch nach Weiterarbeit nach der Pensionierung etwa gleich häufig.
Einen weiteren bedeutenden Einfluss haben die Weiterbildungsaktivitäten. So sind von den älteren Arbeitnehmenden, die im letzten Jahr keine Weiterbildung besucht haben, bloss ein Drittel an einer Erwerbstätigkeit nach der Pensionierung interessiert. Unter Arbeitnehmenden mit vier und mehr Weiterbildungstagen überwiegt der Wunsch weiterzuarbeiten deutlich. Dieser Zusammenhang kann einerseits darauf zurückgeführt werden, dass höher qualifizierte Personen sowohl häufiger weiterarbeiten möchten als auch mehr Weiterbildungen besuchen. Andererseits scheint es plausibel, dass Personen, die kürzlich in ihr Humankapital investiert haben, dieses auch noch länger nutzen möchten.
Frauenförderung und Investitionen ins Arbeitsklima
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz stellen häufig einen Hinderungsgrund für die Weiterarbeit nach der Pensionierung dar. So zeigen ältere Arbeitnehmende mit mittlerer und höherer psychischer Befindlichkeit am Arbeitsplatz (Indexwerte 40 bis 100) sich stärker an der Weiterarbeit nach der Pensionierung interessiert als Personen mit tiefen Befindlichkeitswerten (0 bis 40). Im Gegensatz dazu scheinen zeitliche und körperliche Belastungen am Arbeitsplatz kaum einen Einfluss darauf auszuüben.
Um Frühpensionierungen sowie dem gesundheitlichen Ausfall erfahrener Berufsleute und wichtiger Wissensträger*innen vorzubeugen, scheint aufgrund der Ergebnisse eine sozial und ökonomisch nachhaltige Nutzung der Arbeitsressourcen älterer Arbeitnehmenden angezeigt. Um deren Interesse an der Weiterarbeit nach der Pensionierung zu steigern, sollten Arbeitgebende gezielt ins Arbeitsklima investieren und Frauen den Zugang zu Führungspositionen erleichtern. Angebote zur Weiterbildung und Gesundheitsförderung für ältere Arbeitnehmende schaffen Voraussetzungen für einen selbstbestimmten Rückzug aus dem Erwerbsleben.
Jetzt unterzeichnen: Charta Arbeitsmarkt 45+
Damit erfahrene Fachkräfte eine Zukunft haben und der Arbeitswelt erhalten bleiben, entwickelten die BFH und die Universität Bern zusammen mit einem Expert*innengremium die Charta Arbeitsmarkt 45+. Sie enthält fünf zentrale Forderungen:
- Flexibles Rentenalter
- Diversitätsorientierte Unternehmens- und Führungskultur
- Flexibles Arbeiten
- Gesundheitsförderung
- Kontinuierliche Weiterbildung
Die Charta kann unter bfh.ch/arbeitsmarkt45plus heruntergeladen und unterzeichnet werden.
Kontakt:
Projekte:
Literatur und weiterführende Links:
- Bundesamt für Statistik BFS: Erwerbstätige
- Bundesamt für Statistik BFS: Weiterbildung
- Neuenschwander, Peter; Scheiwiller, Corinne & Salm, Leonie Salm (2021) Boxenstopp: Das neue Angebot der SBB in einer sich verändernden Arbeitswelt; In: knoten & maschen
- Staatssekretariat für Wirtschaft SECO (2019): Indikatoren zur Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Schweizer Arbeitsmarkt 2019; Bern
2 Kommentare
Alex Stöckli
Hallo miteinander
Der Befund, dass die psychische Befindlichkeit am Arbeitsplatz einen grösseren Einfluss hat als die körperliche Belastung finde ich sehr interessant. Wäre es möglich, dass Sie die Grafiken zum Einfluss der zeitlichen und körperlichen Belastungen am Arbeitsplatz noch nachliefern könnten?
Vielen Dank!
Martin Alder
Lieber Alex Stöckli, die Grafik liefern wir gerne nach. Wie Sie sehen, haben Arbeitsnehmende mit dem Wunsch zur Weiterarbeit deutliche bessere Werte bei der psychischen Belastung (je höher der Wert um so besser die Sitation am Arbeitsplatz resp. umso tiefer die Belastung) als Arbeitnehmende, die diesen Wunsch nicht haben. Bei der zeitlichen oder körperlichen Belastung ist dieser Zusammenhang weniger klar auszumachen.