Ein Praxisleitfaden zur Beteiligung von Betroffenen bei der Armutsprävention und -bekämpfung hilft als Arbeitsinstrument bei der Planung und Umsetzung von nachhaltigen Beteiligungsprozessen. So können Betroffene als Expert*innen in eigener Sache mitwirken.
Wie gelingt die Beteiligung von Betroffenen an der Armutsprävention und -bekämpfung? Neben der nötigen Zeit kommt es vor allem auf die Offenheit, Flexibilität und Lernbereitschaft aller involvierten Personen an. Nur so kann eine Diskussion auf Augenhöhe geführt werden und können die Anliegen aller Beteiligten einfliessen. Denn die Beteiligung von armutsgefährdeten oder -betroffenen Menschen meint, dass sie bei der Suche, (Weiter-)Entwicklung, Umsetzung und Auswertung von Massnahmen oder Lösungen aktiv mitwirken. Die Betroffenen bringen so ihr Wissen und ihre Erfahrung ein. Dies kann unterschiedlich intensiv ausgestaltet werden. Je nachdem können die Betroffenen Stellung beziehen, Vorschläge mitentwickeln oder selbst (mit-)entscheiden.
Um Beteiligungsprozesse in der Praxis zu fördern, entwickelte die BFH im Auftrag der Nationalen Plattform gegen Armut des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) den Praxisleitfaden «Wenn ihr mich fragt…» in Zusammenarbeit mit einem partizipativen Gremium, an dem Betroffene und Fachpersonen mitwirkten. Grundlage des Leitfadens ist der Forschungsbericht der BFH zu Modellen der Partizipation. Der Leitfaden richtet sich sowohl an Führungs- und Fachpersonen wie auch an armutsbetroffene oder -gefährdete Personen, die Beteiligungsprozesse initiieren oder an Beteiligungsprozessen mitwirken möchten.
Wie intensiv soll die Beteiligung sein?
Wichtig zu Beginn eines Projekts ist die Klärung, wie intensiv der Beteiligungsprozess ausfallen soll. Also, wie stark die betroffenen Personen Einfluss auf Entscheidungen nehmen können. Dies hängt von den Rahmenbedingungen und Zielen des Beteiligungsprozesses ab. Je mehr Beteiligung zugelassen wird, desto stärker wird Macht geteilt. Doch der Aufwand lohnt sich.
«Ideen von Direktbetroffenen aufzunehmen und umzusetzen bringt im Alltag viel: Die Zielgruppen fühlen sich besser wahrgenommen und wertgeschätzt – die Mitarbeitenden profitieren im Beratungs- oder Dienstleistungs-Alltag vom dadurch entstehenden Vertrauensgewinn. Das Einlassen auf Beteiligungs- Prozesse führt unweigerlich zu mehr ReibungsfIäche und seien wir ehrlich – nur der Schritt aus der Komfortzone hinaus führt zu nachhaltigen Veränderungen.»
Thomas Michel, Leiter der Abteilung Soziales Biel-Bienne (Quelle: Praxisleitfaden «Wenn ihr mich fragt…», BSV 2021)
Vom Modell zur Durchführung
Im Leitfaden werden sechs Modelle zur Beteiligung beschrieben, die aktuell im In- oder Ausland umgesetzt werden. Die Modelle beziehen sich auf verschiedene Bereiche, in denen Beteiligung stattfinden kann – z.B. die Beteiligung am öffentlichen Diskurs oder bei der (Weiter-)Entwicklung von Dienstleistungsorganisationen. Jedes Modell kann in der Praxis auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden, beispielsweise kann die Beteiligung von Betroffenen befristet oder dauerhaft sein. Eine befristete Beteiligung kann beispielsweise in einem Gremium erfolgen, eine dauerhafte durch die Mitarbeit in einer Betroffenen- oder Fachorganisation.
Beteiligungsprozesse müssen sorgfältig geplant und umgesetzt werden, damit sie erfolgreich verlaufen. Im Praxisleitfaden werden deshalb neun Vorgehensschritte vorgestellt, die sich auf die Planung, Umsetzung und Auswertung von Beteiligungsprozessen beziehen. Je nach Kontext und Beteiligungsmodell kann das Vorgehen angepasst werden. Ebenso kann es nötig sein, flexibel auf Unvorhergesehenes zu reagieren oder einen Vorgehensschritt mehrmals zu bearbeiten. Wird ein Beteiligungsprozess durch eine Fachorganisation oder Verwaltung in Gang gesetzt, ist es wichtig, armutsbetroffene und -gefährdete Personen bereits bei der Vorbereitung einzubeziehen.
Der Praxileitfaden «Wenn ihr mich fragt…» bietet somit eine wertvolle und anschauliche Grundlage für alle, die Beteiligungsprojekte in Angriff nehmen und umsetzen wollen. Er erleichtert die Planung und Umsetzung von partizipativen Prozessen enorm – vermutlich nicht nur in der Armutsprävention und -bekämpfung.
Beteiligung betroffener Personen in der Armutsprävention und -bekämpfung
Tagung: 2. September 2021, Stadion Wankdorf, Bern
An der Tagung der Nationalen Plattform gegen Armut stellen die BFH-Forscherinnen Emanuela Chiapparini und Rahel Müller de Menezes zusammen mit zwei Erfahrungsexpert*innen in der Armutsthematik den Praxisleitfaden «Wenn ihr mich fragt…» sowie die zugrunde liegende Studie vor.
Kontakt:
- Prof. Dr. Emanuela Chiapparini, Dozentin, Departement Soziale Arbeit
- Prof. Dr. Rahel Müller de Menezes, Dozentin, Departement Soziale Arbeit
Artikel und Berichte:
- Chiapparini, Emanuela; Schuwey, Claudia; Beyeler, Michelle; Reynaud, Caroline; Guerry, Sophie; Blanchet, Nathalie; Lucas, Barbara (2020). Modelle der Partizipation armutsbetroffener und -gefährdeter Personen in der Armutsbekämpfung und -Prävention. Beiträge zur Sozialen Sicherheit: Forschungsbericht 7/20. Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen BSV
- Müller de Menezes Rahel, Chiapparini Emanuela (2021): «Wenn ihr mich fragt…» Das Wissen und die Erfahrung von Betroffenen einbeziehen. Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen BSV
- Müller de Menezes, Rahel, Chiapparini, Emanuela (2021). Einblicke in die partizipative Erarbeitung eines Praxisleitfadens. In: impuls 1/2021, S. 28-30.
- Schuwey, Claudia, Chiapparini, Emanuela (2020). «Im wahren Leben funktioniert vieles anders als in der Theorie». In: impuls 3/2020, S. 26-29.
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