Stimmt es, dass gut arbeitende Sozialdienste weniger Personen haben, die in die Sozialhilfe zurückfallen? Und was heisst überhaupt gut arbeiten? Im Rahmen des Forschungsprojekt «Nachhaltige Ablösungen in der Sozialhilfe» führte das BFH-Zentrum Soziale Sicherheit eine erste Bestandsaufnahme durch.
Als letztes Sicherungsnetz garantiert die Sozialhilfe allen in der Schweiz wohnenden Menschen ein bescheidenes Leben. Zwei Drittel dieser Personen schaffen es, ihr Einkommen nach einer gewissen Zeit wieder selbständig zu bestreiten, jede dritte Person kehrt jedoch im Laufe ihres Lebens wieder zur Sozialhilfe zurück. Die Gründe auf gesellschaftlicher und individueller Ebene wurden breit untersucht. Jedoch gibt es wenige Erkenntnisse über den Einfluss der Sozialdienste selbst, obwohl kaum jemand bezweifelt, dass sorgfältig gestaltete Prozesse die Ablösung von der Sozialhilfe erleichtern. Das BFH-Zentrum Soziale Sicherheit hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, in den Sozialdiensten die Erfolgsfaktoren wirksamer Arbeitsprozesse aufzuspüren. Gefördert wird das Projekt vom Programm «BREF–Soziale Innovation» von swissuniversities und Gebert Rüf Stiftung».
Im laufenden Forschungsprojekt «Nachhaltige Ablösungen in der Sozialhilfe» werden im Kanton Bern sechs Sozialdienste und insgesamt 300 Fallakten analysiert. Dabei wird angenommen, dass ein Bündel von Faktoren die Wirksamkeit von Sozialdiensten ausmacht. So vernetzen sich gut arbeitende Sozialdienste in ihrem Umfeld und haben eine Strategie, Struktur und Kultur, die gezielt auf die Sozialhilfe ausgerichtet ist. Ebenso verfügen sie über verlässliche Abläufe zur Erbringung der persönlichen und materiellen Sozialhilfe.
Sozialdienstleitende geben Auskunft
Nach ersten Interviews mit den Leiterinnen und Leitern der Sozialdienste konnte ein erster vertiefter Einblick in die Praxis gewonnen werden, der die ursprünglichen Annahmen stützt. Da war von der Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeitenden und Sozialhilfebeziehenden die Rede, vom empathischen aber auch fordernden Umgang mit Klientinnen und Klienten. Die Motivation und der individuelle Gestaltungsraum der Sozialarbeitenden wurden betont, aber auch klar kommunizierte Rahmenbedingungen. Jemand sprach von einer Kultur der Unterstützung im Sozialdienst, jemand anderes von verlässlichen Strukturen und Sitzungen, nach denen man sich ausrichten kann.
«Es ist wichtig, dass genug Autonomie da ist, dass jeder Einzelne mit seinen Mitteln und Methoden eine optimale Fallführung machen kann, aber gleichzeitig Strukturen und Prozesse hat, in denen er sich zurechtfindet».
Die regionale Einbettung des Sozialdienstes kam ebenfalls zur Sprache. Sei es für gegenseitige Absprachen bei Klientinnen und Klienten mit mehrfachen Belastungen, oder sei es wegen des guten Drahts zum Gewerbe für die Vermittlung von Stellen und Lehrstellen. Auf einem Sozialdienst wurde die Vernetzung mit dem lokalen Gewerbe sogar zum Jahresziel erklärt.
«Das wichtigste, das die Sozialarbeitenden in Bezug zu den Arbeitsprogrammen gesagt haben, ist, dass diese manchmal einfach zu weit weg vom Alltag sind. Dass es gut wäre, wenn man Leute hätte, die wirklich im Dorf sind. Dass man Klientinnen und Klienten auch einfach mal in ein Praktikum schicken könnte, damit sie sich nützlich fühlen.»
Angesichts des schwieriger werdenden Umfeldes, in welchem sich Sozialdienste befinden, schwang in den Gesprächen aber auch Sorge mit. Da ist zum einen der politische Druck auf die Sozialhilfe, der zu engeren Handlungsspielräumen führen kann. Da ist aber auch der Wandel des Arbeitsmarktes mit einer abnehmenden Nachfrage nach niedrigqualifizierten Arbeitskräften. Wohin Sozialhilfebeziehende vermitteln, wenn es weniger entsprechende Arbeitsplätze gibt? Die neu zuziehenden Flüchtlinge benötigen ebenfalls Stellen und sorgen für zusätzliche Konkurrenz.
«Da ist man oft ohnmächtig. Wohin lösen wir sie ab, wo gehen sie hin? Die Idee wäre, dass sie wirtschaftlich und beruflich integriert sind, einen Job haben oder eine Ausbildung abschliessen können… Nischenarbeitsplätze hat es aber immer weniger.»
Sorge macht auch die Gruppe der jungen Erwachsenen, die nicht nur Unterstützung bei der Suche von Lehr- und Arbeitsstellen benötigen, sondern ganz grundsätzliche Hilfe zur Bewältigung des Alltags.
Von der Forschung in die Praxis
Führt gutes Arbeiten unter diesen Umständen letztlich zu Erfolg? Soviel ist klar: Nachhaltige Ablösung in der Sozialhilfe ist nicht alleine von der optimalen Führung von Sozialdiensten abhängig, sondern von einem koordinierten Vorgehen aller Beteiligten. Damit Sozialhilfebeziehende erfolgreich in die wirtschaftliche Unabhängigkeit zurückfinden, braucht es neben unterstützenden Sozialarbeitenden auch eine gute Zusammenarbeit mit den Gemeinden und den Gewerbetreibenden. Es braucht das Engagement der Sozialhilfebeziehenden genauso wie dasjenige potenzieller Arbeitgeber.
Die im Projekt analysierten Erfolge und Hindernisse zur nachhaltigen Ablösung werden daher mit den involvierten Sozialdiensten in Workshops bearbeitet, um die Erkenntnisse zu diskutieren und in die Abläufe zu integrieren. In Zusammenarbeit mit der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern sollen die so erarbeiteten Forschungsresultate allen Sozialdiensten zur Verfügung gestellt werden.
Kontakte:
- Daniel Iseli, Dozent, Fachbereich Soziale Arbeit
- Claudia Michel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Soziale Arbeit
Informationen und Partner:
Literatur und weiterführende Links
- Steger, S., Straub, L. & Iseli, D. (2015). Qualitäts- und Leistungscheck Sozialdienste (QLS). Unveröffentlichter Synthesebericht im Auftrag der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern. Bern: BFH, Fachbereich Soziale Arbeit.
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