Warum der Arbeitsmarkt immer noch männlich dominiert ist

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Bei der Lehrstellensuche gibt es noch keine Geschlechterdiskriminierung – auf dem Arbeitsmarkt aber sehr wohl: An der Tagung zur Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt der BFH wurden die wissenschaftlichen Daten zu diesen Realitäten geliefert und anschliessend mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung diskutiert. Einig waren sich alle: Es gibt noch viel zu tun.

Gleich zu Beginn der «3. Internationalen Konferenz zur Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt» hielt Direktorin Ingrid Kissling in aller Deutlichkeit fest: «Die Schweiz ist ein sehr konservatives Land.» Das bedeutet unter anderem, dass die Frauen hierzulande immer noch den grössten Teil der (unbezahlten) Familienarbeit übernehmen und dafür oft ihr Arbeitspensum reduzieren. Zudem sind Mütter aufgrund der traditionell geprägten Gesellschaft auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. «Der Frauenstreik hat diesbezüglich zwar ein kraftvolles Signal gesendet», sagte sie. «Aber es braucht nicht nur den politischen Willen zur Veränderung, sondern auch wissenschaftlich fundierte Fakten.» Diese zu liefern war das erklärte Ziel der Fachtagung. Sie stand unter dem Motto: «Evidence based policy for a better world.»

Potentielle Mütter seltener zu Interviews für Teilzeitjobs eingeladen

Doris Weichselbaumer, Geschlechterforscherin an der Kepler Universität Linz, präsentierte die Resultate einer neuen Studie, an der auch die BFH beteiligt war. Dabei sollte untersucht werden, ob Frauen im gebärfähigen Alter auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Dazu hat das Forschungsteam in Österreich, der Schweiz und Deutschland rund 9000 fiktive Bewerbungsunterlagen für Buchhaltungs- und Sekretariatsjobs eingereicht. Die fiktiven Kandidatinnen und Kandidaten waren alle 30 Jahre alt, männlich oder weiblich, verheiratet ohne Kinder, verheiratet mit Kindern im Vorschulalter, verheiratet mit Kindern im Schulalter oder kinderlose Singles. Bei manchen Bewerbungen wurden überhaupt keine persönlichen Angaben gemacht.

Die Resultate zeigten: Bei Vollzeitjobs spielte die «Reproduktionsfrage» keine Rolle, Frauen wurden hier also nicht diskriminiert. «Das kam für uns überraschend», so Weichselbaumer. Die Interpretation der Forscherinnen.

«Wer sich für einen Vollzeitjob bewirbt, signalisiert, dass die Kinder jederzeit versorgt sind, während Mütter in Teilzeitjobs signalisieren, dass sie die Verantwortung für die Kinderbetreuung übernehmen und so also auch mal am Arbeitsplatz ausfallen könnten.»

Bei den Teilzeitjobs hat sich die Forschungshypothese bestätigt: Laut Studie haben verheiratete Frauen ohne Kinder bei Teilzeitjobs die schlechtesten Aussichten zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, während Mütter mit älteren Kindern die höchste Rückmeldungsrate erzielt haben. «Wir hatten angenommen, dass Mütter mit älteren Kindern besser abschneiden, weil sie wahrscheinlich mit der Familienplanung bereits abgeschlossen haben.». Männer erhielten übrigens bei diesem Experiment insgesamt weniger häufig eine Einladung zum Vorstellungsgespräch – was darauf hindeutet, dass die ausgewählten Berufsfelder immer noch deutlich geschlechtsspezifisch konnotiert sind.

Keine geschlechterspezifische Diskriminierung auf dem Lehrstellenmarkt

Beginnt die geschlechtertypische Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt bereits bei Jugendlichen? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine aktuelle Studie unter der Leitung von Ana Fernandes, Wirtschaftsprofessorin an der BFH Wirtschaft. Ihr Forschungsteam hat ebenfalls fiktive Bewerbungsschreiben verschickt – allerdings von schweizerischen Jugendlichen auf Lehrstellensuche in Basel, Bern, Zürich und Lausanne. Nebst dem Einfluss des Geschlechts im Selektionsprozess interessierte die Forschenden auch noch eine andere Frage. «Jugendliche erwähnen in den Bewerbungsschreiben oft den Beruf der Eltern», so Fernandes. «Wir wollten wissen, ob dies im Selektionsprozess eine Rolle spielt.» Die ausgewerteten Daten zeigen: Auf dem Lehrstellenmarkt lässt sich keine geschlechterspezifische Diskriminierung feststellen. Auch der Berufshintergrund der Eltern spielt kaum eine Rolle – mit einer Ausnahme: «Mädchen, die einen Professor als Vater haben, sind die Rockstars bei der Lehrstellensuche.» Ihre Chance, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, erhöht sich um 20 Prozent.

Das klingt nach einer guten Nachricht. Nur: Diese jungen weiblichen «Rockstars» wachsen zu berufstätigen Frauen heran. Spätestens wenn sie eine Familie gründen wollen, verlieren sie ihren «Rockstar»-Status und fallen hinter ihren männlichen Altersgenossen zurück. Die Statistik spricht hier eine deutliche Sprache. Nach der Geburt des ersten Kindes arbeiten Frauen im Schnitt weniger als Männer und verdienen weniger. Diese so genannte «child penalty» verfolgt Frauen ihr Leben lang: Sie stocken in ihrer Karriere und haben ein höheres Risiko für Altersarmut. Nachteilig wirkt sich auch aus, dass die Schweiz im internationalen Vergleich nur einen sehr kurzen gesetzlichen Mutterschaftsurlaub hat und die Betreuungskosten sehr hoch sind.

«Daraus kann man schliessen, dass Investitionen in Betreuungsplätze eine vielversprechende Massnahme sind, um der Geschlechterdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt entgegen zu wirken.»

Investitionen in die Kinderbetreuung und Vaterschaftsurlaub nötig

Genau dieser Frage widmete sich das anschliessende Podium mit der eidgenössischen Gleichstellungsbeauftragten Sylvie Durrer, Irenka Krone, Gründerin und Geschäftsführerin des Vereins Part Time Optimisation (PTO), der Berner FDP-Stadrätin Claudia Esseiva und SP-Nationalrat Adrian Wüthrich, Präsident von «Vaterschaftsurlaub jetzt» und der Gewerkschaftsdachorganisation Travail Suisse.

«Betreuungsplätze gehören genauso zur Infrastruktur eines Landes wie Strassen, die Bahn und Flughäfen», sagte Durrer. «Aber dafür müssen wir das Narrativ in diesem Lande ändern. Viele behaupten immer noch, dass Fremdbetreuung schlecht für die Kinder sei.» Dass berufstätige Mütter tatsächlich noch viel Gegenwind erfahren, bestätigte Esseiva, Mutter eines 5-jährigen Sohnes aus eigener Erfahrung: «Viele Leute sagen mir, ich sollte mich erstmal um mein Kind kümmern. Wir müssen also richtig kämpfen, und das ist manchmal nicht lustig.» Nach der Geburt ihres ersten Kindes hat auch Irenka Krone nicht nur Glückwünsche sondern auch den Ratschlag erhalten: «Bekomm bloss nicht noch mehr Kinder, sonst setzt du deine Karriere aufs Spiel.» Krone hat trotz dieser Warnung weitere Kinder bekommen und ihre Karriere – in Teilzeitanstellungen — verfolgt. Ihre Botschaft:

«Teilzeitarbeit an sich ist nicht das Problem. Das Problem ist die Art der Teilzeitarbeit: Wir müssen Teilzeitarbeit für Top-Positionen optimieren.»

Genau das bietet sie mit ihrer Organisation PTO an, bei der sie Arbeitgeber berät. Für alle vier war klar: Frauen müssen besser in den Arbeitsmarkt integriert werden, nicht zuletzt weil sie als Arbeitskräfte fehlen.

Damit dies gelingen kann, müssen sich aber auch die Rahmenbedingungen für Väter verändern. «Die Schweiz ist für Familien eine Wüste», sagte Adrian Wüthrich. Er setzt sich für einen 4-wöchigen Vaterschaftsurlaub ein, damit «Väter auch Väter sein können.» Zudem wünscht er sich, dass Teilzeitarbeit auch bei Männern selbstverständlich ist. «Väter wollen auch Teilzeit arbeiten, aber die Wirtschaftsbosse fürchten, dass dann zu wenig gearbeitet wird.»

Hier hakte Claudia Esseiva ein:

«Wir können noch so viel in die Infrastruktur stecken, das wird nichts bringen. Die Männer sind der Schlüssel zum Wandel. Wenn alle Männer Teilzeitarbeit fordern, wird sich was ändern.»

Sie wies auch darauf hin, dass sie und die anderen auf dem Podium nicht repräsentativ für die Bevölkerung sind. Deshalb sei es umso wichtiger, immer wieder mit den Leuten zu sprechen und ihnen die Konsequenzen ihres Handelns aufzuzeigen. Die rund 90-minütige Diskussionsrunde zeigte vor allem eines deutlich: Die Gleichstellung ist zwar in der Schweiz gesetzlich verankert, aber in den Köpfen der Menschen und in vielen Chefetagen von Unternehmen noch nicht angekommen. «Wir diskutieren seit Jahren», sagte Krone. «Jetzt müssen wir proaktiv sein, die ökonomischen Fakten zeigen und mit Zahlen belegen.» Die Fachtagung hat ihren Teil dazu beigetragen.

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1 Kommentare
  • Dan Riesen

    Antworten

    Guter Blogbeitrag!
    Ja, und genau deshalb müssen sich die Rollenbilder auch im Privaten (in den Köpfen) ändern!
    Der Film von Verena Endtner, «von der Rolle», welcher Anfang 2020 in die Kinos kommt, wird hier wohl auch einen wichtigen Beitrag leisten. Der Trailer ist jetzt schon online und Ihr könnt mithelfen!
    https://www.von-der-rolle.ch
    Lasst uns die Schweiz aus dem Status des «Entwicklungslandes» punkto Gleichstellung holen!
    Danke!

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