Vorhang auf für ein innovatives Projekt der Arbeitsintegration

Fotos: Oliver Slappnig

Für den (Wieder-)Einstieg in die Arbeitswelt brauchen Sozialhilfebeziehende nicht nur Fachkompetenzen. Oft müssen sie davor auch Soft Skills erwerben. Diese können mit kreativen Ansätzen gefördert werden. Die Fachstelle Arbeitsintegration der Stadt Thun realisierte deshalb mit Teilnehmenden ein Theaterprojekt, das von der BFH evaluiert wurde.

Im letzten Herbst wurden in der Werkstatt der Fachstelle Arbeitsintegration (FAI) der Stadt Thun nicht nur Holz und Metall verarbeitet, denn eine Theatergruppe nutzte den Ort als Probe- und Aufführungslokal. Vier Teilnehmende und zwei Fachpersonen der FAI erarbeiteten unter Anleitung eines Theaterpädagogen gemeinsam ein Theaterstück. Es wurde unter dem Titel «Hüser si Hüser» im Dezember 2024 vor sechzig Zuschauer*innen aufgeführt und schaffte es, das Publikum zu berühren.

Das Projekt wollte bei den Teilnehmenden einen Prozess auslösen: Sie sollten sich selbst besser kennenlernen und die Möglichkeit haben, sich in einer Gruppe unter Beweis zu stellen. Dies sind relevante Kompetenzen auf dem Weg zu einer Lehr- oder Arbeitsstelle.

Innovative Ansätze sind gefragt

Die Fachwelt betont die Notwendigkeit von Investitionen in die soziale Integration, in die Befähigung und Motivation erwerbsloser Personen – insbesondere bei komplexen Fällen und für jüngere Personen, die sich aus unterschiedlichen Gründen gegen eine leistungsorientierte Integrationslogik sträuben. Die Angebote sollen dabei die Individualität der Betroffenen stärker berücksichtigen und auf ihren Voraussetzungen und Potenzialen aufbauen.

Dieser Paradigmenwechsel rückt Pflichten und Sanktionierung in den Hintergrund. Stattdessen werden je nach Arbeitsmarktfähigkeit und Motivation der Teilnehmenden unterschiedliche Ziele und Massnahmen definiert, um massgeschneiderte Angebote zu finden. So zielen etwa sozial- und erlebnispädagogische Ansätze weniger auf die berufliche Integration ab, sondern auf den (Wieder-)Aufbau des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden. Gleichzeitig können soziale Netzwerke aufgebaut und neue Ressourcen erschlossen werden, die einen Beitrag zur Stabilisierung der Lebenssituation leisten.

Hüser si Hüser

Die FAI engagierte für ihr Projekt den Theaterpädagogen Yves Bönzli vom Theater-Werk in Bärau. Er hatte den Auftrag, mit den Teilnehmenden eine selbst erfundene Weihnachtsgeschichte ohne die bekannten Weihnachtsbilder zu entwickeln. Nach Übungen, die das Vertrauen und den Zusammenhalt der Gruppe förderten, arbeiteten alle Teilnehmenden ihre eigene Rolle aus.

Auf der Bühne trafen die verschiedenen Biografien in einem Wohnblock – bestehend aus Paletten und Holzkisten – zusammen. Kurz vor Weihnachten informierte die Hausverwaltung die Bewohner*innen in einem Brief, dass der Block abgerissen werde. Sie müssten noch vor Weihnachten ihre Wohnungen räumen. Das gemeinsame Schicksal verbindet die Bewohner*innen des Blocks. Mithilfe des benachbarten Bauern finden sie schliesslich gemeinsam zum weihnachtlichen Happy End.

Grundsätzlich positive Effekte

Die BFH evaluierte das Theaterprojekt und führte dazu je ein Gruppeninterview mit den vier Teilnehmenden und den drei Fachpersonen durch. Die Interviews zeigen, dass die mit dem Projekt verbundenen Erwartungen mehrheitlich erfüllt wurden.

Die Teilnehmenden berichten, die Proben seien zwar anstrengend und im Vergleich zu ihren regulären Arbeitseinsätzen herausfordernd gewesen – insbesondere auf der emotionalen Ebene. Es sei aber eine durchwegs positive Erfahrung gewesen. Die Teilnehmenden erwähnen ihr gestärktes Selbstbewusstsein, neue soziale Kompetenzen und die Freude, innerhalb einer Gruppe etwas Gemeinsames geschaffen zu haben. Besonders geschätzt wurde dabei der geschützte Rahmen. Es sei möglich gewesen, Fehler zu machen und einen konstruktiven Umgang damit zu finden.

Auch die Projektleitung blickt positiv auf das gemeinsam erarbeitete Theaterstück zurück: Für die Teilnehmenden der FAI stelle ein verbindlicher Einsatz häufig eine Herausforderung dar. Das Theaterprojekt zeigte hier einen positiven Effekt.

«Das Theater löste bei den Teilnehmenden etwas aus. Verpflichtungen einhalten, sich als Team finden, sich einbringen, die Übungen mitmachen: all das hat funktioniert. Das wird ihnen auch auf dem weiteren Weg helfen.» Die Projektleitung

 

Die knappe Zeit als Herausforderung

Die Befragten sind sich einig, dass die zeitlichen Rahmenbedingungen für die Realisierung des Theaterprojekts herausfordernd waren.

«Mich stresst der Zeitfaktor. Ich hatte Mühe, in den Charakter reinzukommen, mit dem Switch von mir zum Charakter. Wir hatten nicht viel Zeit, um uns da hineinzufühlen.» Ein*e Teilnehmer*in

Gemäss dem involvierten Theaterpädagogen ist ein stärkerer Einbezug der Teilnehmenden bei der Realisierung des Stücks wichtig. Nur dadurch könne das Potenzial des theaterpädagogischen Ansatzes voll ausgeschöpft werden. Das zentrale Element sei dabei der Prozess, weniger das Endergebnis. Der partizipative Ansatz erfordere allerdings mehr Zeit und finanzielle Ressourcen.

Stärkere Partizipation gewünscht

Die Interviews mit den schauspielenden Teilnehmenden und den Fachpersonen zeigen, dass ein Theaterprojekt im Handlungsfeld der Arbeitsintegration die Selbst- und Sozialkompetenzen der Teilnehmenden fördern kann. Die Projektleitung stellte eine positive Entwicklung der Teilnehmenden im Laufe des Projekts fest. Sie berichtet aber auch von Herausforderungen bei der Zusammenarbeit, die durch den engen zeitlichen Rahmen verstärkt wurden.

Entsprechend sind sich alle Beteiligten einig, dass für ein solches Projekt mehr Zeit und Ressourcen erforderlich sind. Dadurch könnten die Teilnehmenden stärker eingebunden und das gesamte theaterpädagogische Potenzial ausgenutzt werden.

Dieser Artikel ist im Mai 2025 in einer ausführlicheren Version im «impuls – Fachmagazin des Departements Soziale Arbeit BFH» ersterschienen.
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