Von der Freiheit und der Notwendigkeit zu arbeiten

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Berufliche Pflegesituation: Pfegerin und alte Frau

Das bedingungslose Grundeinkommen verspricht Freiheit. Die Freiheit selbstbestimmt und unabhängig vom Zwang der ökonomischen Existenzsicherung, die eigenen Lebenspläne zu verfolgen. Doch wie wir als Gesellschaft die notwendige Arbeit für Pflegebedürftige sicherstellen, darauf hat es keine befriedigende Antwort.

Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen könnten alle frei, selbstbestimmt und ohne Zwang zur Erwerbsarbeit die eigenen Lebenspläne verfolgen. Durch die Entkoppelung des Einkommens von wirtschaftlichen und staatlichen Bedingungen werden Kontrollen, Regulierungen, Formulare, Bittgänge obsolet. Weil es allen zusteht, braucht niemanden den anderen darum zu beneiden. Ja mehr noch: es gibt keinen Betrug, keine Stigmatisierung, keinen Zwang sich selbst zu verkaufen. Das hat alles viel für sich. Und falls sich die Arbeit bald ohne grosses menschliches Zutun erledigen sollte, wird über das Grundeinkommen auch gleich die Nachfrage nach Marktprodukten sichergestellt.

Viele notwendige Arbeiten

Doch wer wird durch das Grundeinkommen freier und wer eher nicht? Arbeit soll kein Zwang sein, wird argumentiert. Arbeit ist aber oft eine Notwendigkeit. Bereits heute verrichten viele Menschen für andere notwendige Arbeit ohne dafür Geld zu erhalten: Hausfrauen, Hausmänner, Eltern, Grosseltern, pflegende Angehörige. Sie tun dies nicht, weil sie dazu gezwungen werden. Viele der Arbeiten wie Putzen, Waschen, Aufräumen, Wickeln, Füttern etc. haben aber nur wenig mit Selbstverwirklichung zu tun – solche Dinge müssen einfach gemacht werden.

Der Marktwert dieser Arbeit ist stark verzerrt, da dahinter Beziehungen, Liebe, Abhängigkeiten und meist keine direkten Löhne stehen. Die notwendige und oft unbezahlte Arbeit für Pflegebedürftige wird im derzeitigen lohnarbeitszentrierten Wirtschafts-, Sozialsystem denn auch zu wenig mitgedacht. Nicht selten tragen die Sorgenden die Kosten selber, in Form von Verzicht auf Erwerbseinkommen und Sozialleistungen. Die Lohnarbeit in diesem Bereich ist schlecht bezahlt und wird zunehmend von Migrantinnen in prekären Arbeitsverhältnissen ausgeübt.

Ein Grundeinkommen verhindert diese Form der Ausbeutung von bezahlten Pflegenden, da Lohnarbeit nur noch geleistet würde, wenn die Löhne deutlich über dem Existenzminimum angesetzt sind. Zudem garantiert ein Grundeinkommen den unbezahlten Sorgenden die wirtschaftliche Absicherung. Doch was tun die, die auf Hilfe angewiesen sind und niemanden haben, der bereit ist zu helfen? Wer kann sich dann bezahlte Pflege überhaupt noch leisten?

Beitrag ans Gemeinwesen nicht garantiert

Das Grundeinkommen gibt keine Antwort darauf, wie wir als Gesellschaft die notwendige Arbeit für andere sicherstellen können. Denn bei dieser Idee sind die Freiheiten ungleich verteilt. Wer erwerbstätig ist, wird gezwungen die Einkommen der anderen mitzufinanzieren. Die Nutzniessenden des Grundeinkommens hingegen sind frei, ihren Beitrag an das Kollektiv zu leisten oder auch nicht. Sollte dereinst die Erwerbsarbeit nur noch auf ganz wenigen Schultern lasten, würden die Folgen der Bedingungslosigkeit besonders eklatant. Es gibt keinen Hebel, um von der grossen Mehrheit einen Beitrag an das Gemeinwesen einzufordern – zum Beispiel bei der Versorgung von Alleinstehenden. Dahinter steht ein hochgradig inkonsistentes Menschenbild: Man scheint davon auszugehen, dass Menschen freiwillig bereit wären dem Nachbarn den Nachttopf zu wechseln, obwohl sie dessen finanziellen Unterhalt lediglich aufgrund staatlicher Massnahmen, sprich Steuern mitfinanzieren würden.

Das Grundeinkommen verspricht Freiheit, eine neue Kultur der Arbeit und der Sozialen Sicherheit. Doch bezüglich des zentralsten Faktors sozialer Wohlfahrt – nämlich der Versorgung abhängiger Menschen – ist es fast genauso blind wie das derzeitige System.

 


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2 Kommentare
  • Johannes Schleicher

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    Neben den auf Fremdhilfe Angewiesenen gäbe es noch zahlreiche andere, die mit den 2,5 TCHF nicht abzuspeisen wären (es sei denn, wir duldeten sie wieder in den Hauseingängen): Menschen, die mit dem BGE nicht zurechtkommen aus Gründen, die eher in ihrer Person oder in ihrem Umfeld liegen. Sie werden heute von der Sozialhilfe auf eine vergleichsweise wenig stigmatisierende Art bedient. Was, wenn sie als Minderheit von Versagern übrig blieben und bei der Heilsarmee Schlange stünden?

    • Michelle Beyeler

      Bei einem Wechsel zum BGE könnte man das Anrecht auf persönliche Hilfe (z.B. Sozialberatung bei einer Fachperson) ja beibehalten. Ob die Menschen, die Hilfe benötigen um ihr Leben zu meistern, diese wirklich auch in Anspruch nehmen würden, ist eine andere Frage. Bereits heute gibt es ja immer wieder Menschen, die sich erst beim Sozialdienst melden, wenn die Situation derart verfahren und komplex ist, dass es fast schon zu spät ist. Entfällt der finanzielle Druck, würde es wohl für die Fachpersonen noch schwieriger, rechtzeitig oder gar präventiv eingreifen zu können. Und ja, das ergänzt mein Argument: am meisten verlieren würden beim BGE-System die Menschen, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind.

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