Von der Brache zum arealübergreifenden Generationenwohnen

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Illustration: Chragokyberneticks

Die städtebauliche Entwicklung wird zunehmend durch genossenschaftliche Wohnprojekte geprägt. Diese bieten auch einen geeigneten Rahmen für Generationenwohnprojekte. Doch konzeptionelle Grundlagen für deren Planung fehlen bisher weitgehend. Das Institut Alter der BFH dokumentierte nun die Erfahrungen aus der Entwicklung der Generationenwohnsiedlung «Holliger» in Bern und leitete daraus Empfehlungen für zukünftige Projekte ab.

Der Ruf unserer alternden Gesellschaft nach Generationensolidarität im Allgemeinen und Nachbarschaftshilfe im Besonderen wird immer lauter. Wenn professionelle Unterstützungsangebote an ihre Grenzen stossen und die Familiensysteme unter der doppelten Last von Beruf und Angehörigenpflege zu straucheln beginnen, wünschen sich viele Betroffene eine Entlastung, etwa durch umsorgende und zuverlässige Nachbar*innen. Sozialpolitisch wird daher einiges in Bewegung gesetzt, um auf kleinräumlicher Basis funktionierende Gemeinschaften zu schaffen, die sich im Alltag gegenseitig unterstützen.

Neuere Wohnformen wie genossenschaftliches Wohnen oder Generationenwohnen versuchen diesem Bedürfnis gerecht zu werden. Wer in eine Siedlung für gemeinschaftliches Wohnen einzieht, sollte die Bereitschaft mitbringen, einen aktiven Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten. Dafür darf sie oder er mit unterstützenden nachbarschaftlichen Strukturen rechnen und auf generationenübergreifende Kontakte hoffen.

«Mehrgenerationenhäuser sind ein Wohn- und Lebensmodell für Menschen, die in unserer Konsumgesellschaft mehr suchen als günstigen Wohnraum und mitgestalten wollen.»

Yvonne Lenzlinger, langjährige Bewohnerin der Giesserei Winterthur | Zum Interview

Ein offener Sammelbegriff als Ausgangspunkt

Worauf muss man achten, damit eine möglichst tragfähige Basis für Generationenwohnen entsteht? Dieser Fragen ging das Institut Alter in dem von der Age-Stiftung finanzierten Projekt «Generationenwohnen in Neubausiedlungen» nach. Das Besondere an der untersuchten Siedlung Holliger: Sechs gemeinnützige Bauträger schlossen sich hier zusammen, um gemeinsam über ihre Baufelder hinweg eine Neubausiedlung zu planen und zu realisieren, die unterschiedliche Generationen und Bevölkerungsgruppen zusammenführt.

Am Anfang des mehrjährigen Entwicklungsprozesses standen zwei Fragen: Wie organisieren sich die Bauträger, um eine arealübergreifend funktionierende Siedlung zu entwickeln? Und wie lassen sich die Visionen der einzelnen Bauträger unter einen gemeinsamen Nenner bringen? Die Antwort auf beide Fragen lautet: «Generationenwohnen». Warum?

Obwohl der Förderverein Generationenwohnen-Bern-Solothurn klar definierte Kriterien für ein verbindliches Generationenwohnen kommuniziert, gibt es bisher keine konzeptionellen Grundlagen zur Planung von Generationenwohnen. Auf den ersten Blick scheint dies nachteilig zu sein, doch beim genaueren Hinschauen erweist sich dies als Stärke:

«Generationenwohnen ist ein Begriff, mit dem sich sehr viele Menschen identifizieren können und der genug offen ist, dass sie ihre Ideen einbringen können. Unter diesem Sammelbegriff konnten wir wichtige Grundlagen für das Zusammenleben in der Siedlung erarbeiten.»

Ilja Fanghänel, Sozialplaner und Leiter der Arbeitsgruppe Generationenwohnen Holliger | Zum Interview

So konnte die von den Bauträgern gegründete Arbeitsgruppe Generationenwohnen die Visionen der zukünftigen Bewohner*innen und der Bauträger in einem partizipativen Prozess aufeinander abstimmen und in die Arealentwicklung einspeisen. Die wichtigsten Grundsätze, nach denen sich der Entwicklungsprozess richtete, waren die Altersvielfalt auf dem Areal, die partizipative Raumplanung, die flexible Raumnutzung sowie die Förderung von Begegnungen und Austausch zwischen den zukünftigen Bewohner*innen.

Von der Erfahrung zur Empfehlung

Das Ziel der Begleitforschung war es, die Erfahrungen im Holliger zu dokumentieren und Empfehlungen zu erarbeiten, die den Planer*innen zukünftiger Generationenwohnsiedlungen als Orientierungsrahmen dienen können. Hier sind sie:

  1. Bereits zu Beginn des Planungsprozesses soll ein gemeinsames Verständnis von Generationenwohnen entwickelt werden. Hierzu eignet sich ein Workshop mit allen involvierten Personen, an dem eine gemeinsame Vision erarbeitet wird.
  2. Durch bauliche und organisatorische Strukturen kann die Partizipation für alle ermöglicht werden – z.B. gemeinschaftliche Räume, ein Siedlungsverein oder eine Siedlungsassistenz.
  3. Durch ein Monitoring der geplanten Wohnungsgrössen und -schnitte kann im Gesamtareal ein heterogener Wohnungsmix gefördert werden.
  4. Die Integration von Gewerbe in die Siedlung schafft Arbeitsplätze und Treffpunkte und bindet die neue Siedlung im Quartier ein. Das neue Angebot soll ergänzend und nicht konkurrierend zum bestehenden Angebot geplant werden.
  5. Der Aussenraum soll an die Bedürfnisse der Bewohnenden angepasst werden. Begegnungsorte, Rückzugsnischen und Platz zur Mitgestaltung können die heutigen Standards der barrierefreien Aussenraumgestaltung ergänzen.
  6. Für die Integration der neuen Siedlung und deren Bewohner*innen ins Quartier empfiehlt sich eine durchlässige Einbindung in die vorhandenen Strukturen. Ein kontinuierlicher Informationsaustausch kann Unsicherheiten und Vorbehalte im Quartier überwinden.
  7. Für die angestrebte heterogene und sozial durchmischte Mieterschaft braucht es räumliche und soziale Angebote, welche ihre jeweiligen Bedürfnisse ansprechen. Ebenso gilt es zu klären, welche Finanzierungsmechanismen auch ökonomisch weniger privilegierten Bevölkerungsgruppen den Zugang zum neu geschaffenen Wohnraum ermöglichen.
  8. Die Schaffung einer klaren Organisationsstruktur regelt die Zuständigkeiten und Aufgabenteilung zwischen den Bauträgern. Themenspezifische Arbeitsgruppen ermöglichen die gemeinsame Bearbeitung der zusammen definierten Visionen und arealübergreifenden Fragestellungen.
  9. Seitens Grundeigentümer sollten klare Vorstellungen und Vorgaben betreffend der Förderung des Generationenwohnens definiert werden. Durch den Einsitz in einem Begleitgremium können sie über den gesamten Entwicklungsprozess hinweg zeitnah Inputs und Feedbacks geben.

 

Wie wollen wir wohnen?
Talk über den Mittag #4

19. Oktober 2021, 12.30 Uhr
Berner Generationenhaus

Unter dem Motto «Gemeinsam. Vielfältig. Daheim» entsteht im Westen von Bern die Neubausiedlung Holliger. In den letzten Jahren haben sechs gemeinnützige Bauträger gemeinsam ein Areal entwickelt, in dem die unterschiedlichen Generationen miteinander und nicht nur nebeneinander wohnen werden. Was sind die Erfahrungen, welche dieses Bauprojekt auf dem Weg zum Generationenwohnen gemacht hat? Und wie lässt sich eine gute Basis für Generationenwohnen schaffen?

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