Vermittlungsnetzwerke erreichen auch zurückgezogene Menschen

Apothekerin berät und vermittelt ältere Frau an Seniorenzentrum

Für soziale Versorgungssysteme stellt die Inklusion schwer erreichbarer Menschen eine grosse Herausforderung dar. Überbrückende Netzwerke von Vermittlungspersonen helfen dabei, den leeren Raum zwischen Lebenswelt und professioneller Unterstützung zu überwinden.

Der Netzwerkbegriff ist als Schlagwort gegenwärtig in aller Munde. Dessen inhaltliche Bedeutung bleibt allerdings meist unscharf. Um mit dem Konzept in der Sozialen Arbeit und in der Sozialwirtschaft konstruktiv umgehen zu können, muss der Netzwerkbegriff auf die verschiedenen fachlichen Anwendungsfelder zugeschnitten werden. Aus diesem Blickwinkel können zwei Grundtypen von Netzwerken unterschieden werden: Das Alltagsleben wird von lebensweltlichen Beziehungsnetzwerken bestimmt. Ihnen gegenüber stehen professionell organisierte Netzwerke, unter welchen vor allem vier Ausprägungen eine Rolle spielen: die Bündelung von Interessen in Allianzen, der Informationsaustausch, das Zusammenwirken in einem Dienstleistungsnetzwerk und die Überbrückung struktureller Löcher. Das letztgenannte Netzwerk ist geeignet, schwer erreichbare Menschen in das soziale Versorgungssystem einzubeziehen.

Viele ältere Menschen kennen Beratungsstellen nicht

Damit ältere Menschen möglichst lange selbstbestimmt in ihrer Wohnung und in ihrem Wohnumfeld verbleiben können, werden in den meisten Städten zur Unterstützung im Prozess des Älterwerdens dezentrale Beratungs- und Servicepunkte geschaffen. Einige Teile der älteren Wohnbevölkerung, die sich in ihrer privaten Lebensführung zurückziehen, sind von den Angeboten der Seniorenarbeit entkoppelt und finden keinen Anschluss an dieses professionelle System. Weil Vermittlungen fehlen, ist der Raum zwischen dem lebensweltlichen Beziehungsnetz und dem Unterstützungsnetzwerk leer und unverbunden. Solche Leerstellen werden als strukturelles Loch bezeichnet. Die Schlüsselfrage lautet daher, wie diese Lücke zwischen älteren Menschen und der sozialen Infrastruktur geschlossen werden kann. Gesucht werden Brückenverbindungen zwischen den Lebenswelten der zurückgezogenen älteren Menschen und der Systemwelt der Dienstleistungen für Seniorinnen und Senioren.

Strukturelle Löcher können überbrückt werden

Im Rahmen einer Netzwerkstrategie der Überbrückung können solche Löcher durch eine Vermittlung überwunden werden. Eine Brückenfunktion haben Personen, deren Position an der Schnittstelle zwischen den Beziehungskreisen verbindende Anknüpfungspunkte ermöglicht. Im Forschungsvorhaben «Öffnung des Wohnquartiers für das Alter» wurde diese Netzwerkstrategie zwischen 2010 und 2013 erprobt, um das strukturelle Loch zwischen den lebensweltlichen Beziehungskreisen älterer Menschen in den Wohnquartieren des Kölner Stadtteils Ehrenfeld und dem professionellen Netzwerk der kommunalen Seniorenberatung zu schliessen. Die Verknüpfung wurde über die Vermittlung durch intermediäre Akteure im Wohnumfeld hergestellt. Als vertrauensvolle Ansprechpersonen im Alltagsleben des Stadtteils vermitteln sie zwischen schwer erreichbaren älteren Menschen mit Beratungsbedarfen und der professionellen Seniorenberatung.

Im Untersuchungsgebiet Köln Ehrenfeld – ein ehemaliges Arbeiter- und Industrieviertel mit einem hohen Anteil migrantischer Einwohner – wurde eine Umfrage unter älteren Menschen durchgeführt. Ein Viertel bis ein Drittel der älteren Wohnbevölkerung war nicht über soziale Dienstleistungen der Seniorenarbeit – wie Beratungs- oder Pflegeangebote – informiert, war jedoch kommunikativ in das öffentliche Leben des Sozialraums involviert. In dieser Zielgruppe befand sich ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Personen mit Migrationshintergrund und niedrigem Renteneinkommen. In der Untersuchung wurden auch die Orte und Gelegenheiten in Ehrenfeld ermittelt, in denen die Kommunikation der älteren Menschen stattfindet: Das Spektrum reichte von Arztpraxen und Apotheken über Bäckereien und Friseurläden bis hin zu Metzgereien, Bäckereien, Lebensmittelläden, Kiosken und Buchhandlungen.

Von diesen Bezugspunkten beteiligten sich im Forschungsvorhaben neun als Vermittler zwischen den beiden Netzwerken. Im Rahmen der Gespräche mit älteren Menschen wurde bei einem konkreten Bedarf eine Informationskarte erläutert und übergeben, die über die Seniorenberatung – den zentralen Anlaufpunkt des Kölner Altenhilfesystems – informiert. Die Vermittlung von Informationen erfolgte durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an einer Einführung über die Beratungsleistungen teilgenommen und die Seniorenberaterinnen des Quartiers persönlich kennengelernt hatten.

Entlastung der Finanzen trotz gestiegenen Beratungsfällen

Nach den Protokollen der Erprobungsphase wurden pro Jahr durchschnittlich 15 Informationskarten pro Vermittlungsgelegenheit übergeben und im Durchschnitt zwei ältere Menschen an die Seniorenberatung vermittelt. Auf dieser Basis wurde die Sozialrendite nach der Methode des Social Return On Investment SROI berechnet, indem der Wert der Leistungen mit dem Wert ihres Nutzens in Beziehung gesetzt wurde. Die Nutzenberechnung fokussierte dabei auf die finanzielle Entlastung der städtischen Finanzen. Über die Überbrückung der Vermittler werden Personen informiert, die bisher nicht erreicht werden konnten, womit unter anderem ein verlängerter Verbleib im häuslichen Umfeld ermöglicht wird. Gemäss einer Evaluation der Seniorenberatung wird dadurch bei einem Zehntel eine stationäre Unterbringung vermieden. Laut dem errechneten SROI-Index wurde so pro geleistetem 1 € ein Nutzen von 3,30 € generiert. Die Kommune ist dabei der kostenmässig am stärksten belastete und zugleich am stärksten entlastete Stakeholder. Die Kommune trägt zum einen die Kosten der stärker in Anspruch genommenen Seniorenberatung. Die Kommune profitiert zum anderen aber auch von den vermiedenen Heimunterbringungen, an deren Kosten sie sich in erheblichem Umfang beteiligen müsste. Aufgrund der positiven Sozialrendite wurde die Netzwerkstrategie der Überbrückung durch Vermittler ab dem Jahr 2014 flächendeckend in der Seniorenarbeit der Stadt Köln eingeführt.

 


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