Überlastung in der Landwirtschaft: Welche Rolle spielen Agrotreuhandstellen in der Früherkennung?

Strum zieht über Weizenfeld

Bauernfamilien in Notlagen stehen zunehmend im Fokus der Medien. Dabei befinden sich landwirtschaftliche Treuhandstellen in einer guten Position, um problematische Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Inwiefern sie diese Rolle wahrnehmen und in dieser gestärkt werden können, war bisher unklar.

Selbsthilfe ist in Bauernfamilien besonders ausgeprägt und bei Schwierigkeiten wird oft erst spät fremde Hilfe geholt. Bis dahin sind die Probleme meist bereits sehr komplex. Wenn Schwierigkeiten jedoch durch aussenstehende Personen – beispielsweise Tierärzt/innen oder Agrotreuhänder/innen – frühzeitig angesprochen werden, steigt die Chance, dass Bauernfamilien rascher professionelle Unterstützung aktivieren.

Im Rahmen des Projekts «Überlastung in der Landwirtschaft» wollte die Berner Fachhochschule (BFH) zusammen mit dem Treuhandverband Landwirtschaft Schweiz herausfinden, welche Probleme durch Agrotreuhänderinnen und Agrotreuhänder beobachtet und thematisiert werden und ob es dabei zu einer Weitervermittlungen an spezialisierte Unterstützungsangebote kommt. Dafür befragte die BFH Leitpersonen und Fachkräfte in landwirtschaftlichen Treuhandstellen.

Grossteil der Höfe sind stabil

In der Schweiz entstanden die landwirtschaftlichen Treuhandstellen in den 90er-Jahren im Zuge der Einführung der Buchführungspflicht in der Land- und Forstwirtschaft. Seither unterstützen Fachleute die Betriebsleitenden in treuhänderischen, steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Fragen. Je nach Agrotreuhandstelle werden auch Beratungen zu weiteren Themen, wie soziale Absicherung, Erbrecht oder Hofübergabe angeboten.

Die Studie der BFH zeigt, dass Treuhand-Fachpersonen bei Überlastungssituationen ihrer Kundinnen und Kunden bereits jetzt eine wichtige Rolle wahrnehmen – wenn auch nicht systematisch. Mit akuten oder chronischen Problemen ist jedoch nur ein kleiner Anteil der Betriebe konfrontiert, ein Grossteil der Kundschaft befindet sich in betrieblich und sozial stabilen Verhältnissen.

Betriebliche Schwierigkeiten sind für die Agrotreuhänderinnen und Agrotreuhänder aufgrund der Buchhaltungsergebnisse frühzeitig erkennbar und werden in der Regel auch angesprochen. Familiäre oder gesundheitliche Probleme sind schwieriger zu erkennen und anzusprechen, dennoch werden diese Themen von rund der Hälfte der befragten Treuhand-Fachpersonen thematisiert.

«Über finanzielle und rechtliche Dinge zu sprechen, das geht meistens, weil die Kunden wissen, dass wir sowieso schon alles gesehen haben. Dann ist die Hemmschwelle relativ tief. (…) Das Thema ist dann mehr die Partnerschaft. Meistens hören wir aber erst davon, wenn es schon zur Trennung gekommen ist.»

Beim Ansprechen familiärer Schwierigkeiten machten die befragten Fachpersonen meist positive Erfahrungen. Wenn Beobachtungen gegenüber der Kundschaft nicht thematisiert werden, geschieht dies oft aus Respekt vor deren Privatsphäre. An Grenzen stossen die Fachpersonen vorwiegend bei Paar-, Generations- oder Arbeitskonflikten und sogenannter Beratungsresistenz der Kundschaft.

«Es gibt Fälle wo man es ansprechen kann. Es gibt Fälle wo das Ansprechen nichts nützt. (…)  Ein Landwirtschaftsbetrieb kann relativ lange von der Substanz leben. Die Investitionen können einfach nicht mehr getätigt werden. (…)  Bis irgendwann ein spezielles Ereignis, wie ein Defekt kommt. Dann ‹chlepfts› und die Probleme beginnen.»

Potenzial und Grenzen der Früherkennung

Bei der Früherkennung von Problemen stossen die Agrotreuhänderinnen und Agrotreuhänder aber auch an ihre Grenzen: Der fehlender Berufsauftrag, die teilweise fehlenden Gesprächsführungskompetenzen, das vielseitige und unübersichtliche Unterstützungsangebot, sowie zusätzlich anfallende Beratungskosten, die nicht den eigentlichen Auftrag betreffen.

«In gewissen Fällen kann das schon ein Hindernis sein. Je mehr das man fragt, desto mehr bekommt man mit und desto mehr muss man machen. Wir haben extremen Druck. Im Moment haben wir Arbeit, dass man fast nicht weiss wo ‹wehren›. Dann versucht man nicht, noch möglichst viel Arbeit zu generieren.»

Bei der Früherkennung von Überlastungssituationen besteht somit ein Spannungsfeld zwischen dem Berufsauftrag der Treuhand-Fachpersonen, ihren fachlichen Kompetenzen und beruflichen Interessen. Diese Diskrepanz bedarf einer Klärung: Welche Rolle sollen Agrotreuhandstellen bei der Früherkennung grundsätzlich einnehmen? Wann und durch wen müssten weitere Stellen involviert werden? Wer beurteilt den objektiven Hilfebedarf und erfasst die subjektiven Hilfeerwartungen der betroffenen Bauernfamilien?

Diese Rollenklärung kann nur gemeinsam mit Agrotreuhandstellen vorgenommen werden und umfasst auch die Thematisierung der Kosten der Früherkennungsleistungen. Hinzu kommt die Frage, welche Rollen Familienmitglieder oder andere Berufsgruppen – wie beispielsweise landwirtschaftliche Beratungskräfte oder Tierärzt/innen – übernehmen könnten, die ebenfalls in regelmässigem Kontakt zu Bauerfamilien stehen. Dadurch könnten bei der Früherkennung von Überlastungssituationen unterstützende Rahmenbedingungen geschaffen und das Potenzial von Agrotreuhandstellen ausgeschöpft werden.

 


Die im Text verwendeten Zitate stammen aus den im Rahmen der Studie durchgeführten Experteninterviews.

 

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2 Kommentare
  • Mirko

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    Klingt nach einer guten Lösung, aber ich frage mich, wie hoch sind die Kosten für so eine Betreuung? Können sich das alle leisten? Oft versucht man ja selber Lösungen zu finden, da man keine finanziellen Ressourcen hat.

    • Sonja Imoberdorf

      Die Klärung der Kostenfrage der Früherkennung und Begleitung durch Argotreuhand-Fachpersonen ist in der Tat nicht so einfach. Ein offizieller Auftrag seitens Treuhandverband oder Bund wäre die idealtypische Lösung um Bauern und Ihre Familien finanziell zu entlasten. Selber Lösungen zu suchen – im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe – ist für Betroffene, die dazu in der Lage sind ein nachhaltiger Weg zur Besserung. Wer dies in Anbetracht der Umstände nicht kann hat die Möglichkeit sich zunächst an kostenlose Angebote, speziell für Bauernfamilien in Notlagen zu wenden (siehe http://www.baeuerliches-sorgentelefon.ch ). Natürlich stehen auch öffentliche Beratungsstellen Menschen mit bäuerlichem Hintergrund zur Verfügung. Fachpersonen ländlicher Sozialdienste sind heute vermehrt darauf ausgerichtet auch Klientinnen und Klienten aus der Landwirtschaft zu unterstützen. Zentral ist und bleibt der eigenen Not kund zu tun, sich nicht dafür zu schämen, anstatt über Jahre von der eigenen Substanz zu leben … bis es irgendwann nicht mehr geht und der Betrieb nur mehr schwer zu retten ist.

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