Der Sensor «AIDE-MOI» dient der automatischen Sturzerkennung und Alarmierung bei älteren Menschen und hat zum Ziel, Senioren ein sicheres Leben zuhause zu ermöglichen. Das System ist ein Produkt eines aus einem Forschungsprojekt der Berner Fachhochschule entstandenen Start-Ups.
Der Wunsch nach einem möglichst langen unabhängigen Leben zuhause ist bei Seniorinnen und Senioren gross. Allerdings kann ein Sturz dieses Anliegen schnell zerstören und eine dauerhafte Pflegebedürftigkeit zur Folge haben. In der Schweiz stürzt etwa ein Viertel der über 65-jährigen Menschen mindestens einmal jährlich, bei den über 80-jährigen Seniorinnen und Senioren ist es sogar jede dritte Person.
Ein Sturz hat oft psychische Folgen
Neben leichten Verletzungen, wie Hämatomen oder Blessuren, kann ein Sturz auch verheerendere Folgen wie zum Beispiel Schenkelhalsfrakturen haben. In 1% der Sturzereignisse kann es sogar tödlich enden . Neben den genannten physischen Folgen kann ein Sturz auch Einfluss auf die Psyche nehmen. Dabei ist vor allem die Sturzangst zu nennen, die den Anfang einer Negativspirale darstellt: Durch die Sturzangst kommt es zu einem Verlust der Alltagsaktivität, was einen Muskelabbau bewirkt und letztendlich das Risiko eines erneuten Sturzes erhöht.
Aus der Kombination von Sturzfolgen resultiert für die Betroffenen oft eine Abhängigkeit von den nächsten Angehörigen. Oft muss die Familie eine grosse Hilfeleistung erbringen, damit das Wohnen in den eigenen vier Wänden weiterhin ermöglicht werden kann. Diese Situation ist für die Betroffenen, wie auch für Vertrauenspersonen nicht einfach und führt in vielen Fällen längerfristig zu einer Inanspruchnahme von pflegerischer Hilfeleistungen.
Besonders gefährlich sind Stürze dann, wenn die betroffenen Personen nicht mehr selbstständig aufstehen können. Dies geschieht in 47% der Sturzereignisse, auch wenn die Betroffenen vom Sturz selber unverletzt sind. Je länger eine Person am Boden liegt, desto schwerwiegender sind die Komplikationen und die damit verbundenen Folgen. Beispiele dafür sind Dehydratation oder Unterkühlung. Gestürzten Menschen eine möglichst zeitnahe Hilfe zu gewährleisten, ist daher essentiell.
Technische Lösungen für gesellschaftliche Probleme
Es ist davon auszugehen, dass das Thema Sturz für die Gesellschaft immer relevanter wird: Die steigende Lebenserwartung, der medizinische Fortschritt sowie die geburtenstarken Jahrgänge führen dazu, dass immer mehr Seniorinnen und Senioren immer höhere Alter erreichen. Im Vergleich zu früher betreuen Kinder ihre Eltern seltener. Gleichzeitig werden immer mehr Erfahrungen im Umgang mit Technik gewonnen. Dies erlaubt einen innovativen Umgang mit der Sturzproblematik.
Technische Hilfsmittel erlauben es Betroffenen weniger vom sozialen Umfeld abhängig zu sein. Mit Notrufgeräten können beispielsweise Kontrollanrufe seitens der Angehörigen reduziert werden, weil Vertrauenspersonen die Gewissheit haben, dass sich die ältere Person auch im Notfall melden kann. Dies reduziert Sorgen bei Angehörigen und ermöglicht einen entspannten Umgang mit der Situation. Zudem stellt der Einsatz von Technologien im Vergleich zur Einweisung in ein Heim eine kostengünstigere Alternative dar.
Jedoch sollten technische Hilfsmittel nicht als Ersatz für Hilfe leistenden Personen betrachtet werden. Sie sollten viel mehr als Ergänzung genutzt werden, um langfristig eine Lösung zu finden, die sowohl für die Betroffenen als auch das Umfeld zufriedenstellend ist.
Vom Forschungsprojekt zum Start-up
Im Rahmen eines interdisziplinären Projekts an der Berner Fachhochschule BFH entwickelten die Forschungsabteilungen der Pflege und der Elektro- und Kommunikationstechnik gemeinsam eine Lösung für die Sturzproblematik: «AIDE-MOI» – ein circa Einfrankenstück-grosser Sensor, der mittels medizinischem Pflaster für jeweils eine Woche am Körper befestig werden kann – dient der automatischen Sturzerkennung bei älteren Menschen und sendet im Falle eines Sturzes einen Alarm an Vertrauenspersonen. Dadurch wird die Reaktionszeit von Ersthelfern drastisch reduziert. Zudem wird das Sicherheitsgefühl von Seniorinnen und Senioren gefördert, welches die Negativspirale der Sturzangst durchbrechen kann. «AIDE-MOI» erhaltet und fördert so die Lebensqualität von älteren Menschen, bietet Angehörigen eine Entlastungsmöglichkeit und leistet einen Anteil daran, den Wunsch von Seniorinnen und Senioren nach einem unabhängigen Lebens zuhause zu erfüllen.
Durch die verschiedenen Disziplinen, die im jungen Start-up Team von AIDE-MOI vertreten sind, konnte eine innovative Lösung für die Sturzproblematik im Alter gefunden werden, welche sich vom fachtypischen Denkmuster abhebt. Bei der Entwicklung des Sensors wurden ältere Menschen einbezogen und ihre Bedürfnisse berücksichtigt, womit «AIDE-MOI» den alltäglichen Situationen älteren Menschen angepasst werden konnte. Das Feedback von den älteren Menschen während der Testphase von AIDE-MOI wurde genutzt, um weitere Optimierungsarbeiten am Sensor durchzuführen und eine erhöhte Akzeptanz bei Seniorinnen und Senioren zu schaffen. Momentan finden die letzten Tests vor dem Verkauf von «AIDE-MOI» statt – bevor die gewonnenen Forschungserkenntnisse im Gesundheitswesen zur Anwendung kommen sollen.
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Informationen und Partner:
Literatur und weiterführende Links:
- bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung. (2016). Fakten und Zahlen Kampagne “sicher stehen-sicher gehen“.
- bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung. (2016). Stürze im Alter müssen nicht sein.
- bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung. (2014). STATUS 2014: Statistik der Nichtberufsunfälle und des Sicherheitsniveaus in der Schweiz, Strassenverkehr, Sport, Haus und Freizeit. Bern
- Blaser, Y., Koch, J., Meerstetter, T., & Scheurer, S. (2017). AIDE-MOI: Aktiv, selbstständig und sicher auch im Alter.
- Bundesamt für Statistik. (2017). Gesundheit im Alter.
- Freiberger, E., & Schlee, S. (2016). Sturz im Alter und seine Folgen? MEDIZIN – Fortbildung
- Gill, T. M., Murphy, T. E., Gahbauer, E. A., & Allore, H. G. (2013). Association of injurious falls with disability outcomes and nursing home admissions in community-living older persons. Am J Epidemiol, 178(3), 418-425.
- Statistisches Amt Basel-Stadt (2015): Befragung 55plus
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- Thilo, F. J., Hürlimann, B., Hahn, S., Bilger, S., Schols, J. M., & Halfens, R. J. (2016). Involvement of older people in the development of fall detection systems: a scoping review. BMC Geriatr, 16, 42.
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