Familien sollen stärker entlastet werden: Am 27. September stimmen wir darüber ab, ob der Abzug für die familienexterne Kinderbetreuung von CHF 10’100 auf 25’000 erhöht wird. Auf Antrag der CVP wurde im Rahmen der Parlamentsverhandlungen der allgemeine Kinderabzug bei der Bundessteuer von CHF 6’500 auf 10’000 erhöht. Die SP hat dagegen das Referendum ergriffen. Aus gutem Grund?
Bei der zweiten Gesetzesänderung handle es sich um ein Steuergeschenk an Reiche, begründet die SP ihr Einschreiten. Was steckt hinter diesem Vorwurf?
Finanzpolitisch betrachtet ist zunächst zu bedenken, welche Absichten mit steuerlichen Abzügen verfolgt werden. Es geht stets um die Begünstigung einer bestimmten Personengruppe. Der allgemeine Kinderabzug und der Abzug für familienexterne Betreuung begünstigen also Personen mit Kindern gegenüber Personen ohne Kinder. Diese Art der Umverteilung von staatlichen Mitteln wird als horizontal bezeichnet, da – unabhängig von der vertikalen Einkommensposition –Personen mit einer gewissen Haushaltsform bevorteilt werden.
Was der Staat möchte, ist die Entlastung von Personen mit Kindern, da diese eine gesellschaftliche Funktion übernehmen: Durch die gesellschaftliche Reproduktion werden die Altersrenten gesichert – auch von Personen, die keine Kinder haben.
SP fordert Entlastung von armen Familien
Woran stört sich die Sozialdemokratische Partei? Die Kritik an der Gesetzesvorlage richtet sich gegen das «Wie» dieses finanziellen Ausgleichs. Die Linke möchte, dass Familien in bescheidenen finanziellen Verhältnissen stärker entlastet werden; damit nicht nur eine horizontale Umverteilung stattfinde, sondern auch eine vertikale.
Für die vertikale Umverteilung ist allerdings primär die Steuerprogression verantwortlich. Ein Einkommensbetrag in der Nähe des Existenzminimums ist steuerbefreit und die darüber liegenden Einkommen werden mit zunehmender Höhe stärker besteuert. Somit tragen primär höhere Einkommen zu den Steuereinnahmen bei: Die obersten 20 Prozent der Einkommen bezahlen rund 90% der Bundessteuern. Durch Abzüge wird die vertikale Umverteilung teilweise abgeschwächt, aber eben nur für bestimmte Personengruppen. So ist es tatsächlich möglich, dass Millionäre durch Kauf und Renovation von baufälligen Liegenschaften eine Steuerrechnung von Null erhalten können.
Ähnlich wie bei Renovationskostenabzügen oder hohen Krankheitskosten können bei Abzügen für externe Kinderbetreuung nur effektive Kosten abgezogen werden. Die konsumierten Güter und Dienstleistungen werden also durch den Staat vergünstigt. Die Summe der Entlastung beträgt CHF 10 Millionen pro Jahr.
Familien sind nicht grundsätzlich arm
Die Erhöhung des allgemeinen Kinderabzugs um rund die Hälfte kostet CHF 370 Millionen zusätzlich. Hier werden nicht konkrete Kosten abgegolten, sondern Personen mit Kindern werden generell entlastet. So ist den Haushalten freigestellt, wofür sie dieses eingesparte Geld ausgeben. Den Kindern dürfte es direkt oder indirekt zugutekommen, auch in Haushalten, die keine externe Kinderbetreuung in Anspruch nehmen.
Grundsätzlich sind Familien nicht arm, insbesondere nicht solche mit zwei Elternteilen. Vier von fünf Haushalten mit zwei Erwachsenen und Kindern haben ein Bruttoeinkommen über CHF 100’000.
Familien mit steuerbarem Einkommen ab CHF 80’000 erhalten bereits eine finanzielle Erleichterung (vgl. Grafik). Diese ist weniger hoch als bei steuerbaren Einkommen über CHF 160’000, aber sie bezahlen aufgrund der Progression auch weniger Steuern.
Ausgleich für Familien im internationalen Vergleich gering
Wirkungsvoller wäre es natürlich, wenn die Änderungen auch auf kantonaler Ebene eingeführt würden. Da hier die Steuerfreibeträge tiefer liegen, würden auch Familien mit geringeren Einkommen stärker profitieren. Für den vertikalen Ausgleich hingegen, z.B. zugunsten von Alleinerziehenden und Working Poor, braucht es Familienergänzungsleistungen oder höhere Familienzulagen. Die SP-Vertreterinnen und -vertreter können das Steuergeschenk aber entspannt annehmen, schliesslich sind auch unter ihnen alle Einkommensschichten vertreten. Im EU-Vergleich liegt die Schweiz bei den staatlichen Unterstützungen für Familien derzeit noch im hinteren Mittelfeld und wird auch nach Annahme der Vorlage den EU-Durchschnitt noch nicht erreichen.
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Literatur und weiterführende Links:
- SNF-Projekt Nr. 178973. Ungleichheit, Armutsrisiken und Wohlfahrtsstaat. Potenziale der Datenverknüpfung von Administrativ- und Befragungsdaten für die Ungleichheitsforschung.
- Hümbelin, Oliver & Rudolf Farys (2018). Income redistribution through taxation – how deductions undermine the effect of taxes. Journal of Income Distribution 25(1): 1-13.
- Bannwart, Livia (2013). Sozialpolitische Umverteilung. Der Einfluss familienpolitischer Ausgleichsinstrumente auf die Einkommensungleichheit am Fallbeispiel des Kantons Zürich. Universität Bern. Masterarbeit.
- Fritschi, Tobias & Livia Bannwart (2013). Einfluss familienpolitischer Ausgleichsinstrumente auf die Ungleichheit von Einkommen in der Schweiz. Bern: Schlussbericht im Auftrag Travail.Suisse
- Tresch, Anke, Lauener, Lukas, Bernhard, Laurent, Lutz, Georg & Scaperrotta, Laura (2020). Eidgenössische Wahlen 2019. Wahlteilnahme und Wahlentscheid. FORS-Lausanne.
- Modetta, Caterina (2016). Wie geht es der «Mitte»? Analysen zur Lebensqualität der mittleren Einkommensgruppen 2013.
- OECD Family Database (2019). PF1.1 Public spending on family benefits.
- Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (Steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten)
- SP Schweiz: Abstimmungen vom 27. September 2020
1 Kommentare
Felix Wettstein
Was in diesem Blog leider nicht deutlich gemacht wird: Steuerliche Abzüge auf dem Reineinkommen vergrössern IMMER die sozialen Unterschiede! Es stimmt eben gerade nicht, dass «Familien mit Kindern» gegenüber «Haushalte ohne Kinder» entlastet werden. Jene Familien, welche kein höheres Einkommen erzielen (unter den Einelternfamilien oder den getrennten, die in zwei Haushalten wohnen, sind sie häufig) haben rein gar nichts von den zusätzlichen Steuerabzugsmöglichkeiten.
Soziale Arbeit müsste in dieser Thematik endlich Klartext reden. Die Steuerprogression ist selbstverständlich etwas Gutes. Aber genau wegen dieser Progression nützen die Abzüge den Wenigverdienenden gar nichts, den mittelprächtig Verdienenden ein wenig, und die Vielverdienenden können sich so richtig freuen. Das gilt für Kinderabzüge, für Weiterbildungsabzüge, für Abzüge der Hausrenovation, der weiten Pendelwege, … Statt einer Abzugsmöglichkeit beim Reineinkommen braucht es Abzüge am geschuldeten Steuerbetrag, erst dann ist jedes Kind gleich viel wert.