In der Theorie kann die Familie die Funktionen einer Sozialversicherung übernehmen. Eine neue Studie der BFH zeigt, dass dies bei Arbeitslosigkeit selten der Fall ist. Nur in sehr spezifischen Fällen ist zu erkennen, dass Partner*innen von Arbeitslosen ihr Einkommen erhöhen – und selbst dann in geringem Ausmass.
Menschen, deren Partner*innen die Stelle verlieren, werden das eigene Einkommen erhöhen, um den Lohnausfall abzuschwächen. Diese Vermutung ist naheliegend, besonders wenn die Leistungen der Arbeitslosenversicherung gering sind. Die bisherigen empirischen Resultate deutet allerdings darauf hin, dass dies nur selten oder bloss in geringem Masse geschieht. In unserer vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Studie untersuchten wir nun, bei welchen Paaren die Partner*innen ihr Arbeitspensum resp. ihr Einkommen anpassen und weshalb dies so selten passiert. Insbesondere betrachteten wir die Rolle der Arbeitslosenversicherung mit neuen, zuverlässigeren Methoden.
Für die Studie verwendeten wir Administrativdaten zu Bevölkerung, Arbeitslosigkeit, Sozialversicherung, Sozialhilfe und verknüpften sie miteinander. In der Analyse der Daten massen wir Veränderungen beim Arbeitsvolumen und Einkommen der Menschen, bevor, während und nachdem ihr*e Partner*in arbeitslos war. Dabei kategorisierten wir die Paare nach Unterschieden im Beschäftigungsstatus und im Einkommen, nach finanziellen Ressourcen, nach dem Einkommenspotenzial der nicht arbeitslosen Person sowie nach Zivilstand, Ehedauer, gemeinsamen Kindern und gemeinsamem Familiennamen – Indikatoren, die auf die Unterstützungsbereitschaft einwirken können.
Tiefere Unterstützungsleistungen bewirken keine stärkeren Reaktionen
Beim Durchschnitt der erwerbstätigen Männer und Frauen konnten wir keine Reaktion auf die Arbeitslosigkeit der Partner*innen feststellen – weder beim Beschäftigungsgrad noch beim Einkommen. Jedoch erhöhten bisher erwerbslose Frauen aufgrund der Arbeitslosigkeit des Partners resp. der Partnerin ihre Erwerbstätigkeit um durchschnittlich 3 Prozentpunkte. Dies entspricht etwa einem um 150 CHF höheren Monatseinkommen, was ungefähr 13% des verlorenen, nicht durch die Arbeitslosenversicherung gedeckten Einkommens kompensiert.
Die Analyse der verschiedenen finanziellen Ressourcen zeigt, dass weniger gut situierte Paare nicht stärker auf die Situation reagieren als finanziell bessergestellte Paare. Auch scheint die Bezugsberechtigung bei Langzeitarbeitslosen – ein Jahr gegenüber anderthalb Jahren Unterstützungsanspruch – keinen Einfluss auf die Reaktion des*der Partner*in zu haben. Die Resultate lassen somit den Schluss zu, dass weder allfällige Leistungskürzungen von den Partner*innen arbeitsloser Personen aufgefangen würden, noch dass ein zu grosszügiger Sozialstaat umgekehrt private Unterstützungsmechanismen unterminieren würde.
Frauen in wandelnden Familiensituationen sind flexibler
Aufschlussreicher war der Vergleich zwischen Paaren mit und ohne Kinder. So war bei den nicht-erwerbstätigen Frauen eine Reaktion feststellbar, wenn sie dreijährige oder ältere Kindern hatten – jedoch nicht, wenn sie Kleinkinder oder keine Kinder hatten. Bei den erwerbstätigen Frauen waren es umgekehrt insbesondere die Frauen mit Kleinkindern unter drei Jahren, die ihr Einkommen aufgrund der Arbeitslosigkeit des*der Partner*in erhöhten. Es sieht so aus, als ob sich Frauen in einem sich wandelnden Verhältnis von Arbeit und Familie besser an die Situation anpassen konnten – entweder indem sie einen geplanten Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt beschleunigten oder eine kürzlich erfolgte Pensumsreduktion rückgängig machen konnten. Nicht-erwerbstätige Männer mit Kleinkindern erhöhen ihr Einkommen ebenfalls — jedoch gibt es ganz wenige solcher Fälle.
Am deutlichsten waren die Ergebnisse bei den Indikatoren zur Unterstützungsbereitschaft von Paaren. Arbeitende Männer erhöhen ihre Einkommen eher, wenn sie verheiratet sind. Bei nicht-erwerbstätigen Frauen hängt dieser Effekt von der Dauer der Ehe ab. Jedoch selbst bei diesen Gruppen mit stärkeren Reaktionen konnten die zusätzlichen Einkommen nicht mehr als 15% des verlorenen Einkommens ersetzen.
Die Familie ist kein Ersatz für den Wohlfahrtsstaat
Durch unsere Studie kommen wir zum Schluss, dass Partner*innen von Arbeitslosen unter dem derzeitigen, im internationalen Vergleich relativ grosszügigen Arbeitslosenversicherungssystem ihre Beschäftigung oder ihr Einkommen kaum anpassen. Auch scheinen sie nicht auf kleinere Änderungen der Anspruchsberechtigung zu reagieren. Die Familie ist somit kein potenzieller Ersatz für den Wohlfahrtsstaat – auch wenn Personen, die durch Ehe und Kinder an ihre Partner*in gebunden sind, stärker zu reagieren scheinen.
Alles in allem zeigen die Resultate, dass die stärksten Reaktionen in traditionellen Familien zu verzeichnen sind. Berücksichtigt man den aktuellen Trend hin zu weniger Eheschliessungen, rascheren Scheidungen und einer höheren Erwerbsbeteiligung der Mütter, lässt sich vermuten, dass die familieninternen Versicherungsmechanismen in Zukunft noch geringer ausfallen werden.
Kontakt:
- Prof. Dr. Debra Hevenstone, Dozentin, Institut Soziale Sicherheit und Sozialpolitik
- Prof. Dr. Dorian Kessler, Dozent, Institut Organisation und Sozialmanagement
Artikel und Berichte:
Partner und Projekte:
Literatur und weiterführende Links:
- Cammeraat, E., Jongen, E. & Koning, P. (2023): The added-worker effect in the Netherlands before and during the Great Recession. In: Rev Econ Household 21, 217–243.
- Halla, Martin; Schmieder, Julia and Weber, Andrea (2020): Job Displacement, Family Dynamics, and Spousal Labor Supply. In: American Economic Journal: Applied Economics, 12 (4): 253-87.
0 Kommentare