Der «Sozialtourismus» ist geringer als vermutet

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Ziehen Sozialhilfebeziehende von einer Stadt zur nächsten? Gerade weil es bisher wenige Fakten zum Umzugsverhalten von Sozialhilfe beziehenden Personen gibt, wird das Thema breit diskutiert. Die Vermutung, dass Personen mit Sozialhilfebezug häufig in die Städte ziehen, kann nicht bestätigt werden.

Die Sozialhilfequoten sind in den Städten generell höher als im ländlichen Umfeld. Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen hoffen Menschen in finanziell prekären Verhältnissen in den Städten bessere Perspektiven vorzufinden als in ländlichen Gebieten. Zum anderen führen die Bevölkerungsstruktur mit vielen Einpersonenhaushalten sowie die Struktur des Wohnungs- und Arbeitsmarktes dazu, dass die Sozialhilfequote in den Städten höher liegt als im übrigen Kantonsgebiet.

Häufig kommt auch die These auf, dass Sozialhilfe beziehende Personen häufiger in die Städte ziehen und so zur höheren Sozialhilfequote beitragen – umgangssprachlich auch Sozialtourismus genannt. Im Kennzahlenbericht zur Sozialhilfe der Städteinitiative Sozialpolitik wurde dieser Sachverhalt nun näher untersucht: Wie viele der neuen Sozialhilfefälle einer Stadt sind zugezogen und haben im Vorjahr in einer anderen Gemeinde Sozialhilfe bezogen? Und wie viele Personen mit Sozialhilfebezug ziehen von einer Stadt weg und beziehen danach am neuen Wohnort weiterhin Sozialhilfe?

Sozialtourismus lässt sich nicht belegen

Aus den Zahlen der Sozialhilfestatistik von 2014 lässt sich aufzeigen, dass die grosse Mehrheit (76%) der neuen Sozialhilfefälle bereits im Vorjahr in der Stadt gewohnt, jedoch keine Sozialhilfe bezogen hat. Ebenso bleibt die grosse Mehrheit (69%) nach der Ablösung von der Sozialhilfe in der gleichen Stadt wohnen. Der Anteil von zugezogenen Personen, die bereits am vorherigen Wohnort Sozialhilfe bezogen haben, ist hingegen nicht besonders gross: Dieser liegt in den analysierten Städten bei durchschnittlich 8% der neuen Fälle im Fallbestand 2014 in den analysierten Städten. Ähnlich sieht es bei den Wegziehenden aus: Rund 10% der 2013 abgeschlossenen Sozialhilfefälle bezogen im folgenden Jahr in einer anderen Gemeinde erneut Sozialhilfe.

Der immer wieder ins Spiel gebrachte umfangreiche «Sozialtourismus» lässt sich somit mit den Zahlen des Bundesamtes für Statistik nicht belegen. Die Summe der Wegzüge von Fällen mit andauerndem Sozialhilfebezug ist sogar leicht höher als diejenige der Zuzüge. Dies trifft besonders auf die grossen Städte zu.

Leichte Zunahme in den mittelgrossen Städten

In mittelgrossen und kleineren Städten wie Winterthur oder Biel ziehen hingegen leicht mehr sozialhilfebeziehende Personen zu als weg. Es ist jedoch offen, ob es sich dabei um einen Trend handelt und diese Städte in den kommenden Jahren mit mehr zuziehenden Sozialhilfebeziehenden rechnen müssen. Es könnte sich auch um ein zufälliges Resultat in den untersuchten drei Jahren handeln. Dies kann erst geklärt werden, wenn die Analyse in einigen Jahren nochmals durchgeführt wird.

 


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1 Kommentare
  • Felix Wettstein

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    Denkbar wäre, dass jemand einen Widerspruch zu erkennen glaubt zwischen den Aussagen «Sozialtourismus lässt sich nicht belegen» und «Menschen in finanziell prekären Verhältnissen hoffen in den Städten bessere Perspektiven vorzufinden als in ländlichen Gebieten.» Der Widerspruch löst sich aber auf, wenn berücksichtigt wird, dass die prekäre finanzielle Lage schon vor einem Zuzug in die Stadt vorlag, die Notwendigkeit für Sozialhilfe aber erst eine gewisse Zeit danach (und oft nur vorübergehend). Menschen in prekären finanziellen Verhältnissen verfügen über hohe Kompetenzen: Sie können rechnen. Sie wissen: Wer zentral wohnt, hat viel weniger Kosten für Mobilität, hat alle Schulen in der Nähe, das Brockenhaus, günstige Einkaufsmöglichkeiten, die Dienstleistungen der gesundheitlichen Versorgung. Das wiegt mehr als auf, dass auf dem Land die Wohnkosten (eventuell) etwas tiefer sind.

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