Sozialraumbezogenes Wohnen mit psychischer Beeinträchtigung

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Mit dem Projekt «Wohnen mit Vielfalt» möchten die drei Branchenverbände CURAVIVA Schweiz, INSOS Schweiz und vahs Schweiz sozialraumnahen Wohnraum für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung fördern. Eine Befragung verschiedener Zielgruppen trug nun Erfahrungen und den Unterstützungsbedarf zur Thematik zusammen. Diese legen flexibilisierte und angepasste Mietverhältnisse nahe. Zudem besteht Handlungsbedarf bei der Finanzierung von Dienstleistungsangeboten.

Jeder Mensch möchte sein Leben selbst gestalten. Menschen mit Behinderung können sich jedoch häufig nicht aussuchen, wo und mit wem sie leben. Die von der Schweiz unterzeichnete UNO-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) fordert dies zu ändern. Sie hält fest, dass alle Menschen mit Behinderung das Recht auf gleiche Wahlmöglichkeiten haben, wie Menschen ohne Behinderung. Auch sie sollen folglich in einer selbstgewählten Gemeinschaft leben können. Um die Umsetzung der UN-BRK anzuregen, haben die drei Branchenverbände CURAVIVA Schweiz, INSOS Schweiz und vahs Schweiz einen Aktionsplan ins Leben gerufen. Zurzeit laufen verschiedene Teilprojekte und Aktivitäten zur Umsetzung der Aktionsplanziele.

Das Teilprojekt «Wohnen mit Vielfalt» zielt darauf ab, inklusiven sozialraumnahen Wohnraum für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung zu fördern und wird durch das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (EBGB) mitfinanziert. Im ersten Teil des Projekts wurden über zwanzig gute Beispiele aus der Praxis erfasst. Im zweiten Teil der Untersuchung sammelte das Projektteam Erfahrungen aus erster Hand und erhob den Unterstützungsbedarf. Dazu hat es verschiedene Zielgruppen befragt: Menschen mit psychischer Beeinträchtigung, Vertreter*innen von sozialen Institutionen, Akteur*innen der Wohnraumvermietung und Nachbar*innen. Dies führte zu einigen aufschlussreichen Eindrücken und Erkenntnissen.

Selbstständiges Wohnen mit psychischer Beeinträchtigung

Eine eigene Wohnung zu finden, ist für Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung oftmals schwierig. Die Gesprächspartner*innen weisen auf den Mangel an günstigem Wohnraum in den Zentren hin. Zudem sind Vermietende sehr zurückhaltend, Wohnungen an Menschen mit psychischer Beeinträchtigung zu vermieten, da sie befürchten, die Mieten würden nicht regelmässig gezahlt. So erzählt ein Befragter:

«Mit meinem Betreibungsregisterauszug bin ich immer sofort weg vom Fenster.»

Die engen finanziellen Verhältnisse widerspiegeln sich auch im Alltag. Während die meisten Lebenshaltungskosten in einer Institution abgedeckt werden, liegt es beim selbstständigen Wohnen in der Verantwortung jedes Einzelnen, das knappe Budget im Griff zu haben. Eine Person mit psychischer Beeinträchtigung, die heute selbständig lebt, trifft es auf den Punkt:

«Alles kostet, seien es die Kehrichtmarken oder die Stromrechnung.»

Als besonders herausfordernd wird die Alltagsgestaltung erlebt. Für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung ist es oft nicht einfach, den Tag zu strukturieren oder die Freizeit zu gestalten. Schwierig ist insbesondere, mit anderen Menschen in der Umgebung in Kontakt zu kommen. Die Befragten fühlen sich oft zurückgewiesen. So besteht für viele von ihnen die Gefahr zu vereinsamen, was die folgende Aussage zum Ausdruck bringt:

«Viele ‹normale› Leute haben Angst vor Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung».

Mögliche Unterstützungsansätze

Es gibt verschiedene Rahmenbedingungen und Angebote, die selbständig wohnende Personen mit psychischer Beeinträchtigung als unterstützend und hilfreich erleben. So können soziale Institutionen als Mieterin auftreten (eine sogenannte Ankermieterin) und bezahlbaren Wohnraum zugänglich machen. Dies ermöglicht es Menschen mit psychischer Beeinträchtigung selbständig zu leben. Und sie erhalten genau so viel Begleitung und Unterstützung, wie nötig ist. Als besonders wichtig erachten die Befragten zudem Bezugs- und Ansprechpersonen, die sie in Krisensituationen unterstützen und rasch und unkompliziert erreichbar sind. Von Bedeutung sind auch Netzwerke im näheren Umfeld. Dazu gehören Angehörige aber auch Orte, wo sich Betroffene mit anderen Menschen treffen oder ihren Hobbies nachgehen können.

Die Befragten regten im Übrigen an, dass Städte und Gemeinden bei Überbauungs- und Entwicklungsprojekten die Vergabe von Baubewilligungen an Vorgaben knüpfen, wie zum Beispiel an Kriterien zur sozialen Durchmischung. Auf diesem Weg würde Wohnraum für Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung geschaffen. So meinte einer der befragten Vermieter:

«Sozialraumbezogenes Wohnen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen muss auf die politische Agenda.»

Anregungen für zukunftsfähige Lösungen

Damit soziale Institutionen auf dem Wohnungsmarkt aktiv als Ankermieterinnen auftreten können, müssten nicht zuletzt die Finanzierungssysteme flexibler gestaltet werden. Eine Chance könnte dabei in der Subjektfinanzierung liegen. Durch diese können Anbieter*innen situativ auf den Begleitungs- und Unterstützungsbedarf reagieren. Folglich müssen Institutionen auch mehr temporäre Plätze anbieten können. So können Personen in einer akuten Krisensituation, sofern gewünscht, in eine institutionelle Umgebung zurückkehren und allenfalls später wieder in eine selbständige Wohnform wechseln. Einen interessanten Ansatz verfolgt hier die Stadt Bern: Sie hat eine Immobilienbewirtschaftungsstelle mit Sozialfokus geschaffen.

Ebenfalls müssten Kontakte im Quartier gefördert werden – zum Beispiel durch den Aufbau von Peer-Netzwerken, Selbsthilfegruppen und Mentoring-Systemen. Das Thema psychische Beeinträchtigung ist in der Öffentlichkeit seit einigen Jahren vermehrt präsent. Dennoch bleibt es notwendig, das Verständnis in der Gesellschaft für die Lebenssituation von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung weiter zu verbessern. Deshalb werden nun entlang der gewonnenen Projekterkenntnisse Handlungsimpulse zur Umsetzung in der Praxis erarbeitet.

 


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1 Kommentare
  • Heinz Widmer

    Antworten

    Ein ausgezeichnet kurze Zusammenfassung der Problemsituation von psychisch kranken Menschen bezüglich Wohnproblem und Alltagsbewältigung. Allerdings hat nach meiner Erfahrung im Bereich der Behindertenhilfe die Umstellung auf eine «Subjektfinanzierung» nicht nur Vorteile gebracht, im Gegenheil. die Abklärungsprozesse sind umständlich, dauern viel zu lange. Behinderteneinrichtungen, die diese Ankerfunktion übernehmen tragen ein finanzielles Risiko, durch die subjektbezogenen Bedarfsberechnungen nicht abgegolten wird. Dadurch ist einfach nicht wirtschaftlich interessant, dies Ankerfukntion zu übernehmen.

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