Selbstbestimmtes Wohnen dank individueller Finanzierung

Foto: istock Pekic

Bei der Finanzierung von Wohnangeboten für Menschen mit Behinderungen sind die Kantone wichtige Akteure. Die Modelle variieren von Kanton zu Kanton. Eine Studie der Berner Fachhochschule im Auftrag von Bund und Kantonen untersuchte, welche Finanzierungsform das Ziel der Selbstbestimmung am besten unterstützt.

In einer eigenen Wohnung oder in einer Institution leben? Für viele Menschen mit Behinderungen, die im Alltag auf Hilfe angewiesen sind, ist diese Wahl nicht völlig frei. Das von der Schweiz 2014 ratifizierte UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen betont dabei die Priorität der nicht-institutionellen Wohnsettings. Die Frage der Finanzierung spielt dabei eine wichtige Rolle.

In der Schweiz sind die Kantone verpflichtet, Menschen mit Behinderungen institutionelle Wohnangebote zur Verfügung zu stellen. Die Finanzierung findet dabei ergänzend zu weiteren Finanzträgern wie der Invalidenversicherung (IV), den Ergänzungsleistungen (EL) sowie den Menschen mit Behinderungen selbst statt. Dabei können drei grundsätzlich verschiedene Modelle der kantonalen Finanzierung unterschieden werden:

  • Bei der Objektfinanzierung werden Institutionen pauschal für die angebotenen Wohnleistungen entschädigt.
  • Bei der subjektorientierten Objektfinanzierung werden die Kosten anhand der Auslastung und des Bedarfs der Leistungsbeziehenden übernommen.
  • Bei der Subjektfinanzierung werden den Menschen mit Behinderungen die Leistungen entsprechend ihrem Bedarf vergütet. Diese können sie bei frei wählbaren Anbietenden einholen.

Zudem unterscheiden sich die Kantone darin, inwieweit sie neben Leistungen im institutionellen Bereich auch Leistungen im ambulanten Bereich vorsehen, die in den Privatwohnungen der Leistungsbeziehenden erbracht werden. Es finden sich Kantone, die keine ambulanten Leistungen kennen, Kantone mir punktuellen Angeboten und Kantone, in denen ambulante und institutionelle Angebote gleichberechtigt nebeneinanderstehen.

Stärkt die Subjektfinanzierung private Wohnformen?

Im Rahmen der Studie «Finanzflüsse und Finanzierungsmodelle im Bereich Wohnangebote für Menschen mit Behinderung» wurden Fallstudien in den Kantonen Basel-Stadt, St. Gallen und Wallis durchgeführt. Von den drei Kantonen verfügt nur Basel-Stadt über ein System der Subjektfinanzierung, das eine Gleichberechtigung von institutionellen und ambulanten Leistungen vorsieht. Der Kanton Wallis arbeitet im Bereich Wohnen mit dem Modell der Objektfinanzierung, während der Kanton St. Gallen das Modell der subjektorientierten Objektfinanzierung anwendet.

Die Fallstudien zeigen unterschiedliche Kostenaufteilungen bei der Finanzierung privater Wohnangebote. Der Kanton Basel-Stadt übernimmt 33% der Kosten, während der Anteil im Wallis und in St. Gallen bei 24% bzw. 25% liegt. Zudem liegt der Anteil von Menschen mit Behinderung in einer privaten Wohnform im Kanton Basel-Stadt mit 85% höher als in den anderen zwei Kantonen.

Diese Unterschiede könnten in Zusammenhang mit den Finanzierungsmodellen stehen. Der höhere Kantonsanteil in Basel-Stadt kann ein Hinweis darauf sein, dass vergleichsweise mehr Leistungen in privaten Wohnformen bezogen werden, die durch das subjektorientierte Modell des Kantons finanziert werden, da dieses eine Wahlfreiheit der Leistungsbeziehenden ermöglicht und stärkt. Dass im Kanton Basel-Stadt mehr Menschen mit Behinderung privat wohnen, kann als Ergebnis dieser gesteigerten Selbstbestimmung interpretiert werden.

Der Wunsch nach mehr Selbstbestimmung

Um diese Interpretation der quantitativen Ergebnisse zu überprüfen, wurden in der Studie Interviews mit Menschen mit Behinderungen und Vertreter*innen von Behindertenorganisationen durchgeführt. Dabei wurden die Anreize und Möglichkeiten erhoben, die zu einem Wechsel von institutionellen zu privaten Wohnform führen. Der Wunsch nach Selbstgestaltung des Alltags, nach Selbstwirksamkeit und nach Privatsphäre wurden hier häufig als Motivation genannt. Zudem zeigte sich, dass der finanzielle Spielraum und die Lebensqualität durch den Wechsel zum privaten Wohnen steigen.

Das Subjektfinanzierungsmodell scheint im Kantonsvergleich das private Wohnen am meisten zu fördern und den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung am besten zu entsprechen. Optimierungspotenzial sahen die Interviewten zudem beim Assistenzbeitrag der IV und der Stärkung der ambulanten Leistungen beim privaten Wohnen. Zudem sollten temporäre Wohnangebote zwischen den beiden Wohnformen entwickelt werden, um im Sinne eines Stufenmodells den Übergang zwischen dem institutionellen und privaten Wohnen niederschwelliger zu gestalten.

 


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