Safe Spaces: Die Caring Society als schützender Raum?

Foto: Myriam de Wurstemberger

Wann und wo kann ich ehrlich, wahrhaftig und komplett ich selbst sein? Die Frage nach Safe Spaces steht aktuell hoch im Kurs. Es wäre an der Zeit, das Thema visionär zu denken. Dazu ist die Idee einer Caring Society enorm hilfreich.

Gemeinschaft und Solidarität sind die Grundlagen empfundener Sicherheit. Wir erleben sie oft in spezifischen Räumen, jedoch nicht im gesellschaftlichen Alltag. Wie und wo Menschen (Un-)Sicherheit empfinden, variiert stark und hängt eng mit ihren Persönlichkeitsmerkmalen und den unterschiedlichen Eigenschaften von Räumen zusammen. Zum Beispiel wird die empfundene Sicherheit dadurch beeinflusst, durch wen Räume wie und wann genutzt und kontrolliert werden. Manche Räume wirken bei Tag sicher und zugänglich, während sie in der Dunkelheit von einigen Personengruppen gemieden werden. Ein und derselbe Raum kann von einigen Personen als generell sicher und von anderen als generell unsicher empfunden werden. Diese unterschiedlichen Empfindungen sind untrennbar mit selbstgewählten und oder zugeschriebenen Merkmalen wie Geschlecht, Herkunft, Race, Religion, Bildungsstand und ihrer sozioökonomischen Ausstattung verknüpft.

Die Notwendigkeit von Safe Spaces

Entsprechend sind Schutzräume in unserer von Ungleichheit geprägten Gesellschaft existentiell wichtig. Dabei besteht das Ziel von sogenannten Safe Spaces nicht darin, jemanden nicht mitmachen zu lassen. Vielmehr geht es darum, Räume der Fürsorge und Solidarität zu schaffen, und zwar insbesondere für jene, die im Alltag wenig Sicherheit erfahren und regelmässig mit Abwertung und Ausgrenzung konfrontiert sind.

Der Begriff Safe Space lässt sich auf die queere Szene der USA zurückführen, wo sich in den 1960er Jahren Schwule, Lesben und Transpersonen eigene Räume schufen, um sich frei von gesellschaftlicher Kontrolle und Polizeigewalt auszutauschen. Später erschloss sich die feministische Bewegung Frauenräume, die heute unter anderem in Form von Frauenhäusern weiterbestehen. Safe Spaces waren und sind insbesondere für Schwarze Frauen wichtig, um eine inklusive, diskriminierungsfreie Umgebung zu schaffen. Grundsätzlich bilden Safe Spaces eine wesentliche Grundlage des politischen Widerstands marginalisierter Gruppen.

«Für mich sind Safe(r) Spaces aber vielmehr der Versuch einer Pause, als ein Versteck. Diskriminierung […] ist ein Machtsystem, in dem wir uns die ganze Zeit über befinden, und dem wir uns nicht entziehen können. Dazu kommt, dass fast alle mehrfachdiskriminierten Menschen, die ich kenne, in irgendeiner Form politische Bildungsarbeit machen: Sie treten ständig in den Dialog und sei es in Gesprächen mit Fremden auf der Straße. Sie machen das Gegenteil, als sich vor den Meinungen anderer zu verstecken. Aber diese Konfrontationen kosten Anstrengung und […] es muss Momente geben, in denen wir ruhen dürfen.»
Marie Minkov, Zeitgeister

Caring Society als Leitidee

Das Prinzip des Safe Space lässt sich in direkten Zusammenhang mit der Idee einer sorgenden Gesellschaft bringen. In einer Caring Society steht die Verantwortung der Menschen, sich gegenseitig Sorge zu tragen an vorderster Stelle. Es geht also um die Bereitschaft, sich umeinander und füreinander zu sorgen. Die Sorge umeinander ist eher symbolisch, in Form von Empathie zu verstehen. Die Sorge füreinander basiert hingegen auf konkreten Sorgepraktiken.

«Die meisten Menschen sehnen sich nach einem Safe Space – einer Caring Community. Sie sehnen sich nicht direkt aufgrund erfahrener Diskriminierung danach, sondern als Wesen in der modernen Gesellschaft.»
Wortmeldung am Podium «Safe Space: Wer findet (k)eine Sicherheit in unserer Gesellschaft?»

Eine Caring Society basiert auf der geteilten Anerkennung, dass Care für uns alle gleichermassen lebensstiftend und lebenserhaltend ist. Dies bildet die Grundlage einer generellen und von allen getragenen Sorgeverantwortung. Im Gegensatz zu diesem Idealbild, befindet sich unsere reale Gesellschaft in einer akuten Sorgekrise. Einerseits stehen wir vor Engpässen in der medizinischen Versorgung und der Pflege. Anderseits zeigt sich die Krise in der mangelnden Wertschätzung von Sorgeleistungen: Sowohl im familiären Umfeld als auch auf professioneller Ebene werden Pflegeleistungen in hohem Masse beansprucht, aber gleichzeitig schlecht entlohnt oder symbolisch abgewertet. In diesem Kontext setzt die Caring Society einen wichtigen Kontrapunkt. Gesellschaften, die Sorge und sorgende Beziehungen wertschätzen, sind gleichwertiger, gerechter und fördern den Schutz und das Wohlergehen aller. Dabei ist Space, im Sinne von Infrastruktur, eine wichtige Triebkraft von Veränderungen hin zu einem fürsorglichen Miteinander.

Sicherheit für alle und überall

Eine Caring Society könnte – im utopischen Sinne – gar ein Safe Space an und für sich sein und die Notwendigkeit spezifischer, partikulärer Safe Spaces aufheben. Durch den direkten Kontakt mit Menschen, die häufig Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren, steht der Sozialen Arbeit hier eine besondere Rolle zu. In dem sie die spezifischen Herausforderungen und Bedürfnisse vulnerabler Personen wahrnimmt und bearbeitet, leistet sie einen Beitrag, um herauszufinden, wie die Gesellschaft zu einem sichereren Raum werden kann. Durch dieses Bewusstsein und indem sie unterschiedliche Formen von Fürsorge initiiert, kann die Soziale Arbeit Empathie, Solidarität und Unterstützung stärken und letztlich Sicherheit erzeugen.

Oder anders gesagt: Wenn sich viele gesellschaftliche Akteur*innen im Sinne einer Caring Society engagieren – sei dies professionell oder nicht-professionell – wird es mehr Safe Spaces geben und letztlich wird die Gesellschaft als Ganzes zu einem Safe Space.

In diesem Blogbeitrag reflektieren die beiden Autorinnen Eveline Ammann Dula und Carolin Fischer die Diskussion am Podium «Safe Space: Wer findet (k)eine Sicherheit in unserer Gesellschaft?» im Berner Kornhausforum. Der Anlass wurde anlässlich der Vergabe des Förderbeitrages der Berner Design Stiftung an Myriam de Wurstemberger für das Kunstwerk «Safe Space» durchgeführt, welches als Titelbild auch diesen Beitrag ziert.
Mit dem Ganzkörperanzug aus 24‘000 Messingnadeln erforschte die Künstlerin, wie sie sich durch eine zweite Haut physisch abgrenzen, schützen, verbergen aber trotzdem Raum einnehmen und glänzen könne.

 


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