Wie kann das Kompetenzerleben von Langzeitbeziehenden in der Sozialhilfe erhöht werden? Um den Langzeitbezug zu verringern, entwickelte die Berner Fachhochschule den Beratungsansatz «Richtungswechsel». Für diese wirksame Intervention bietet die SKOS nun Schulungen an.
Der Langzeitbezug in der Sozialhilfe stellt ein wesentliches Problem dar, sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf persönlicher Ebene. Aus diesem Grund entwickelte die Berner Fachhochschule in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS und mit finanzieller Unterstützung durch die Innosuisse den Beratungsansatz «Richtungswechsel». Er richtet sich gezielt an die Langzeitbeziehenden und orientiert sich am Willen der Betroffenen, ihre Zukunft aktiv zu gestalten.
Wie die Intervention abläuft
Während drei bis vier Monaten führen Sozialarbeitende mit den Langzeitbeziehenden bis zu sechs Beratungssitzungen durch. Während der Intervention kommt es bewusst zu einem Fallführungswechsel, der für eine weitere Perspektive und eine neue Dynamik sorgen soll. Für jede Sitzung stehen den Anwender*innen Arbeitsblätter mit den dazugehörigen Anleitungen zur Verfügung. Nach dem Kennenlernen werden in der ersten Sitzung die Werte und Bedürfnisse der Betroffenen erkundet und in der zweiten Sitzung darauf aufbauend Zukunftsideen entwickelt. Im Rahmen der dritten Sitzung werden mögliche Strategien zur Umsetzung dieser Ideen entworfen. In einer weiteren optionalen Sitzung werden durch die Sozialarbeitenden bisherige Erfolge verstärkt und den Betroffenen Hilfestellungen zur Bewältigung von Hindernissen gegeben. Zum Schluss wird ein Blick in die Vergangenheit und die Zukunft geworfen, was auch die Klärung der weiteren Unterstützung beinhaltet.
Ausschnitte eines Schulungsvideos
Teilnehmende fühlen sich besser
In einer Wirkungsstudie bei vier Sozialdiensten untersuchte die BFH , inwiefern es gelingt, mit der Intervention das Kompetenzerleben und Wohlbefinden von Langzeitbeziehenden zu verbessern und die Sozialhilfe- und Gesundheitskosten zu verringern. Der «Richtungswechsel» erhöht die Kontrollüberzeugung und Vitalität der Langzeitbeziehenden bedeutsam. Die teilnehmenden Personen fühlten sich dank der Beratung seltener ihren Problemen ausgeliefert, müde oder erschöpft. Der Ansatz befähigt somit Personen, Herausforderungen im Leben anzugehen – z. B. Bildungsprojekte planen – und trägt dazu bei, dass sie sich besser fühlen.
Die Lebenszufriedenheit der teilnehmenden Personen blieb jedoch unmittelbar nach Interventionsende unverändert. Erklären lässt sich das unter anderem dadurch, dass diese stark vom Zustand wichtiger Lebensbereiche abhängt, die sich bis zum Ende der Beratung erst geringfügig verändern konnten. Auch entwickelten sich die Sozialhilfe- und Gesundheitskosten verglichen mit der Kontrollgruppe ähnlich. Dies wiederum könnte auf den Arbeitsmarkt zurückzuführen sein, der für Personen, die seit mehreren Jahren Sozialhilfe beziehen, wenig Möglichkeiten bietet. Daher scheinen bei der Weiterführung der Intervention organisatorische Anpassungen notwendig: Um Effekte auf den Sozialhilfestatus erzielen zu können, müsste z. B. die Intervention bereits nach drei statt durchschnittlich sechs Bezugsjahren starten und eine Nachbetreuung im Rahmen der Fallführung gewährleistet werden.
Chance für Sozialdienste
Mit diesem neuartigen Ansatz haben Sozialarbeitende die Möglichkeit, ihre Beratungskompetenzen gezielt in der Thematik des Langzeitbezugs weiterzuentwickeln. Der «Richtungswechsel» stellt eine Chance für Sozialdienste dar, einen Beitrag zu leisten, damit Betroffene die Herausforderungen angehen können, die sich ihnen auf dem Arbeitsmarkt stellen.
Schulung zum «Richtungswechsel»
Die SKOS bietet in Zusammenarbeit mit der BFH eine Weiterbildung an, mit der Sie den «Richtungswechsel» in Ihrem Sozialdienst durchführen können. Sie besteht aus vier Teilen und beruht auf dem Peer-to-Peer-Ansatz: Sozialarbeitende, welche die Intervention selbst bereits durchgeführt haben, leiten die Weiterbildung und geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter.
Der erste Teil besteht aus fünf Lernvideos, die ein Grundlagenwissen zum Beratungsansatz vermitteln. Im zweiten Teil folgt eine halbtägige Präsenzveranstaltung, bei der die Einübung der methodischen Elemente im Fokus steht. Sie haben die Möglichkeit, die Sitzungen durchzuspielen, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und die Beratung auch aus der Perspektive der Langzeitbeziehenden zu erfahren. So können Sie beispielsweise selbst exemplarisch Ihre Werte erkunden und Bedürfnisse für die Zukunft erarbeiten. Abgeschlossen wird die Weiterbildung online mit zwei Nachfolgeveranstaltungen, die durch die «Richtungswechsel»-Expert*innen moderiert werden und Raum für Fragen und Erfahrungsaustausch bieten.
Eine Ergebnisevaluation der Intervention wird auf Anfrage durch die BFH angeboten.
Kontakt:
- Prof. Dr. Simon Raphael Steger, Dozent, Institut Organisation und Sozialmanagement
- Nathalie Joder, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut Organisation und Sozialmanagement
Artikel und Berichte:
- Steger, Simon Raphael; Schüpbach, Fabienne; Kessler, Dorian; Eiler, Katharina. (2023). Richtungswechsel: Eine randomisierte kontrollierte Studie zu einer Intervention für Langzeitbezüger*innen in der Sozialhilfe: Schlussbericht. Bern: Berner Fachhochschule BFH, Soziale Arbeit.
- Kessler, Dorian; Steger, Simon Raphael; Keller, Pascale (2024). Randomized Controlled Trial of Counseling Approach for Long-term Welfare Recipients in Switzerland Research on Social Work Practice SAGE
Projekte und Partner:
- Innosuisse – Schweizerische Agentur für Innovationsförderung
- Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS
Literatur und weiterführende Links:
- Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). (2021a). Langzeitbezug in der Sozialhilfe. Bern: SKOS.
- Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). (2021b). Handbuch Richtungswechsel. (Anleitung: Auf der rechte Seite das Handbuch auswählen, danach auf der linken Seite die Kapitel A und B anwählen.)
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