Kostenfragen prägen die gesundheitspolitische Debatte seit Jahrzehnten. Mit einer Intensität, die etwa in der Pflege dazu führte, dass gegenwärtige Rahmenbedingungen ökonomische Argumente bisweilen stärker gewichten als die Qualität. Gegensteuer gibt es aktuell aus den Reihen der Pflegenden – auf dem politischen Parkett sowie auch im Bereich der Forschung.
Die Schweizer Ökonomin Mascha Madörin ist eine wachsame Beobachterin gesundheitspolitischer Debatten. Ihre Diagnose: Die Funktionsweise des Gesundheitswesens wird in der Logik entscheidender Akteure mit derjenigen der Güterherstellung verglichen. Verkürzt und bezogen auf die Pflege bedeutet dies: Damit die Kosten sinken, muss effizienter, sprich schneller gepflegt werden. Die Fallpauschalen in den Spitälern sind exemplarische Elemente eines ökonomischen Korsetts, in deren Zentrum der monetäre Wert der einzelnen Leistungen steht.
Auswirkungen auf Pflegende und Gepflegte
Die Konklusion ist naheliegend: Erfolgen pflegerische Leistungen unter Bedingungen, die der Rationalisierungs- und Kostenminimierungslogik Rechnung tragen, geschieht dies zulasten ihrer Qualität. Die besagten Regulative wirken sich auf die Pflegeabläufe und auf das Pflegeergebnis aus. Menschliche Interaktionen, welche die Pflege vom reinen Handwerk trennen und ihre Qualität beeinflussen – hier ein tröstendes Wort, dort ein aufmerksames Nachfragen – fallen durch das Raster der Rentabilität. Denn: Zeit ist Geld. Damit ist nicht nur das Wohl der Patientinnen und Patienten gefährdet, sondern auch der Gesundheitszustand der Pflegekräfte, die unter prekären Bedingungen arbeiten, mitunter den Beruf gar verlassen.
Fokus auf Ergebnisse, Strukturen und Prozesse
Gefragt sind Ansätze aus den eigenen Reihen, die der besagten Entwicklung entgegenwirken. So sorgt der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) mit der kürzlich lancierten Volksinitiative für eine starke Pflege für Bewegung auf dem politischen Parkett. Bund und Kantone sollen in die Aus- und Weiterbildung investieren, die Rahmenbedingungen der Praxis verbessern und die Entscheidungsbefugnisse der Pflegefachpersonen erweitern. Hiermit artikuliert der Berufsverband öffentlich die Interessen der Berufsgruppe bezüglich dessen, was sie benötigt, um qualitativ hochwertige Pflege zu leisten.
Währenddessen setzt sich auch die Berner Fachhochschule BFH als Ausbildungs- und Forschungsstätte für eine hohe Pflegequalität ein. In der Expertise der Forschungsabteilung Pflege der BFH nehmen Studien, die sich mit aktuellen Entwicklungen und Herausforderung des Pflegeberufs befassen, viel Raum ein. In einer Kooperationsstudie werden zudem Strategien gegen den Fachkräftemangel in den Gesundheitsberufen entwickelt, der in enger Relation zu den beschriebenen Bedingungen steht.
Eines der bekanntesten und weitreichendsten Qualitätsprojekte ist die Nationale Prävalenzmessung Sturz, Dekubitus und Dekubitus Kinder im Auftrag des Nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ). Im Spital erlittene Dekubitus (Wundliegen) und Stürze gelten als Qualitätsindikatoren der Pflege. Die Forschungsabteilung Pflege der BFH zeichnet für die Messorganisation zu ihrer Erhebung sowie für die nationale spitalvergleichende Analyse verantwortlich.
Die öffentliche Publikation der Datengrundlage zu Sturz- und Dekubitusraten schafft Transparenz für die Bevölkerung und ermöglicht den Spitälern den Vergleich ihrer Ergebnisse mit ähnlichen Institutionen. Die spitalinternen Resultate zu Strukturen und Prozessen ermöglichen zudem, Elemente der Qualitätssicherung auf struktureller Ebene zu diskutieren sowie Evidenz und Effizienz der Massnahmen auf der Ebene der Prozesse weiterzuentwickeln. Effizienz steht hier nicht in Widerspruch zu Qualität. Im Gegenteil: Das hiesige Effizienz-Verständnis beruht auf dem Verhältnis der Variablen Ressourceneinsatz und Ergebnis.
Der Wert der Pflege
Die Pflege beschäftigt sich mit Menschen und den Auswirkungen ihrer Krankheit auf den Alltag, damit sie so gesund als möglich leben können. Sie lässt sich deshalb – damit zurück zur anfänglich eingeführten Analogie – nicht an den Effizienz-Massstäben der Güterherstellung messen. Mitnichten sollen ökonomische Fragen gänzlich aus dem Gesundheitswesen ausgeklammert werden; aber die Pflege bezieht ihren Wert nicht aus den Kosten, daraus, wie sie sich rechnet, sondern aus ihrer Qualität.
Informationen und Partner
- Nationaler Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ): Prävalenzmessung Sturz, Dekubitus und Dekubitus Kinder
- Volksinitiative für eine starke Pflege
Literatur und weiterführende Links
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- Hasselhorn, H. M., Müller, B. H., Tackenberg, P., Kümmerling, A., & Simon, M. (2005). Berufsausstieg bei Pflegepersonal: Arbeitsbedingungen und beabsichtigter Berufsausstieg bei Pflegepersonal in Deutschland und Europa: Wirtschaftsverlag NW, Verlag für Neue Wissenschaften.
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