Das Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule hat vor zehn Jahren als erste Hochschule im deutschsprachigen Raum die psychosoziale Gesundheit aufgegriffen. Heute trifft es damit den Kern der Zeit, verankert die ressourcenorientierte Perspektive in der Praxis und verbessert so die Gesundheitsversorgung.
Burnout oder Depression werden gerne als «Volkskrankheiten» betitelt. Haben psychische Beeinträchtigungen tatsächlich zugenommen?
Sabine Hahn: Die Häufigkeit von Depressionen oder sogenannten Burnouts hat nicht zugenommen. Psychische Erkrankungen haben aber eine Enttabuisierung erfahren; die Menschen sprechen über ihre innere Befindlichkeit und holen sich vermehrt Hilfe. Dadurch werden psychische Krankheiten häufiger diagnostiziert.
In diesem Zusammenhang sprechen Sie am Departement Gesundheit von psychosozialer Gesundheit. Was heisst das?
Karin Peter: Psychosoziale Gesundheit ergibt sich aus der wechselseitigen Beziehung und Anpassung zwischen Mensch und sozialem Umfeld. Beim Menschen können dabei gemachte Erfahrungen, die Wahrnehmung, das Denken, Fühlen und Handeln eine Rolle spielen. Zusätzlich kann die psychosoziale Gesundheit durch eine Vielzahl von Einflüssen gestärkt wie auch geschwächt werden.
Die Gesundheit des Einzelnen ist in ein Geflecht eingebunden und ergibt sich nicht nur aus einer Dimension, etwa der rein körperlichen oder mentalen.
Sabine Hahn leitet die Abteilung Pflege sowie die angewandte Forschung und Entwicklung Pflege am Departement Gesundheit. Karin Peter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Pflege.
Inwiefern wirkt sich dieses Gesundheitsverständnis auf die Gesundheitsversorgung aus?
Sabine Hahn: Ein ganzheitliches Gesundheitsverständnis verändert den Blickwinkel. Die psychosoziale Gesundheit stellt ein Kontinuum dar, auf dem sich der Mensch bewegt. Eine Krankheit gehört unter diesem Verständnis zwar zu einem Menschen, dennoch ist dieser nicht nur ein «Kranker», sondern verfügt immer auch über gesunde Anteile, also über noch vielmehr als die Erkrankung. Diese Haltung ist die Voraussetzung, um ressourcenorientiert mit Patientinnen und Patienten zu arbeiten.
Der Stiftungsrat der Stiftung Lindenhof Bern finanziert am Departement Gesundheit eine Stiftungsprofessur für Psychiatriepflege. Was bedeutet das für das Departement und die Praxis?
Sabine Hahn: Mit der Stiftungsprofessur verleihen wir der psychosozialen Gesundheit noch mehr Gewicht. Bei der Professur steht der ambulante Bereich der Psychiatrie im Vordergrund – hier besteht ein grosses Versorgungsdefizit.
Je nach Ausgeprägtheit und Art einer psychischen Erkrankung werden viele Betroffene nach wie vor benachteiligt oder müssen hospitalisiert werden, da ambulante Strukturen fehlen.
Die Stiftungsprofessur wird die Versorgung stärken und insgesamt unseren Fokus auf die psychosoziale Gesundheit fördern.
Wo identifizieren Sie weitere Lücken in der Gesundheitsversorgung, die das Departement mit seinem Know-how auffüllen kann?
Karin Peter: Im stationären Bereich der Somatik sehe ich viel Potenzial für eine Einbindung der psychosozialen Gesundheit. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich hier die Behandlung häufig überwiegend auf das «Defekte» oder «Kranke» fokussiert, was natürlich primär sinnvoll ist. Je nach Art und Ausprägung der Verletzung verlangt dies jedoch die Berücksichtigung weiterer Aspekte. Gemäss der Definition der psychosozialen Gesundheit gehören dazu etwa das nähere soziale Umfeld, die eigenen Fähigkeiten, der kulturelle Kontext oder auch vorhandene materielle Güter oder Spiritualität. Natürlich ist dies ein hoher Anspruch, gerade im Akutspital, wo Patientinnen und Patienten sich oft nur für eine kurze Zeit aufhalten.
Frau Peter, Sie untersuchen im Projekt «STRAIN» Belastungssituationen, mit denen Gesundheitsfachpersonen im Alltag konfrontiert sind. Was wollen Sie damit erreichen?
Karin Peter: Gesundheitsfachpersonen sind besonders stark von Belastungssituationen am Arbeitsplatz betroffen. Etwa aufgrund emotional belastender Arbeit, häufig unregelmässigen Arbeitszeiten und dem erhöhten Arbeitsdruck z. B. durch kürzere Hospitalisationszeiten. In der Studie untersuchen wir, wie die Arbeitssituation dahingehend verändert werden kann, dass Gesundheitsfachpersonen möglichst lange und gesund arbeiten können. Sie schliesst schweizweit alle Gesundheitsberufe und Qualifikationsstufen mit ein. Im Vordergrund stehen psychosoziale Aspekte der Arbeitsbelastung, etwa der Einfluss auf die Work-Life-Balance. Basierend auf diesen Resultaten, einer systematischen Literaturrecherche sowie Fokusgruppeninterviews mit Gesundheitsfachpersonen wird eine Schulungsintervention für Führungspersonen im Gesundheitswesen entwickelt und durchgeführt.
Damit sprechen Sie die Themen Sichtbarkeit und Wirksamkeit an. Wie stellen Sie sicher, dass das, was Sie erforschen, auch tatsächlich in die Praxis gelangt?
Karin Peter: Alle unsere Partner, die an den angewandten Forschungsprojekten partizipieren, verändern etwas. Nicht nur, dass sie für Themen sensibilisiert werden und in den Projekten Impulse für die Praxis erhalten bzw. mitgenerieren. Es gibt viele Betriebe, die im Anschluss an ein Projekt das Thema weiterverfolgen und ‘dranbleiben’.
Sabine Hahn: Ganz wichtig sind unsere Kooperationspartner und Akademie-Praxis-Partner, die unsere Werte teilen. So transportieren wir Mosaikstein für Mosaikstein in die Praxis oder von der Praxis in die Lehre und Forschung. Das ist ein Prozess der Wechselwirkung. Am Departement Gesundheit ist die Anwendungsorientiertheit keine Floskel: Die Menschen und die Praxis stehen im Zentrum unseres Wirkens.
Dies ist eine gekürzte Version des im BFH-Magazin «frequenz» erschienenen Interviews. Das Heft 2/2018 mit dem ungekürzten Interview finden Sie auf der Webseite des Departements Gesundheit.
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