Wie erreichen die Ergebnisse einer Studie zum Wohnen von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen die Zielgruppe von Betroffenen, Fachkräften und Vermietenden? Zusammen mit den Anspruchsgruppen erarbeiteten Forschende der Berner Fachhochschule hierzu verschiedene Kommunikationsmittel. Im Beitrag bieten sie Einblicke in diesen Prozess.
Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen können sich häufig nicht aussuchen, wo und mit wem sie leben möchten. Bei ihren Bestrebungen, selbständig und ausserhalb von Institutionen zu wohnen, stossen sie auf Widerstände, Vorbehalte und sind zudem oft mit eigenen Befürchtungen konfrontiert. Diese Hindernisse sollen mit der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) 2006 auch in der Schweiz abgebaut werden, damit Menschen mit Beeinträchtigungen ihre Rechte in gleichem Masse ausüben können wie Menschen ohne Beeinträchtigungen.
Damit ein bedürfnisgerechtes und den individuellen Wünschen entsprechendes Wohnen ermöglicht werden kann, hat die Berner Fachhochschule über zwanzig gute Beispiele in der Schweiz gesammelt, die für die Unterstützung von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung im Bereich Wohnen wegweisend sind. Des Weiteren wurden verschiedene Anspruchsgruppen befragt, wie der Zugang zu den unterschiedlichen Wohnformen bis hin zum selbständigen Wohnen verbessert werden kann.
Herausforderungen des Wissenstransfers
Nun sollen sich die Erkenntnisse des Projekts auch auf den Alltag der Menschen auswirken. Zu diesem Zweck hat die BFH in einem mehrstufigen Verfahren mit den verschiedenen Anspruchsgruppen die Ergebnisse verdichtet und sie zielgruppengerecht in einfacher Sprache zusammengefasst. In 13 Impulsen, Informationsblättern und Checklisten können sich nun die Betroffenen selbst und auch Schlüsselpersonen – wie z.B. Hauswartpersonal, Fachkräfte oder Vermietende – rasch darüber informieren, wie sie bedürfnisgerechtes Wohnen fördern können.
Diese Phase der Wissenschaftskommunikation ging mit einigen Herausforderungen einher. Die vielleicht schwierigste Anforderung war, eine psychische Beeinträchtigung nicht als ungewöhnlich oder anormal darzustellen. So erhielt die Projektgruppe von der Begleitgruppe mehrfach die Rückmeldung, dass die verfassten Kommunikationsmittel den Graben zwischen «wir» und «sie», resp. zwischen «normal» und «anders», nicht verstärken sollten. Vor dem Hintergrund, dass jede zweite Person irgendwann im Leben an einer psychischen Erkrankung leidet und somit auch durch Vorurteile potenziell Nachteile erleben kann, hat die Projektgruppe die Dokumente mehrmals überarbeitet. Sie betonen nun die Alltäglichkeit der Erkrankung und halten fest, dass in jedem Quartier Menschen wohnen, die eine mehr oder weniger lang andauernde psychische Beeinträchtigung haben. Weiter werden «Betroffene» konsequent mit «Menschen mit psychischer Beeinträchtigung» oder «Expert*innen aus Erfahrung» genannt.
Eine weitere Anforderung war, die Kommunikationsmittel motivierend und überzeugend zu formulieren. Die ersten Entwürfe wurden tendenziell als zu problemorientiert wahrgenommen. Infolge dieser Rückmeldung passte die Projektgruppe den Stil an. In den Vordergrund rückte der Umstand, dass sozial durchmischte Quartiere mit verschiedenen Wohnformen mit Blick auf die Bedürfnisse aller potenziellen Bewohner*innen anzustreben sind. Aus «Factsheets» wurden «Impulse», die den Fokus auf «Möglichkeiten und Chancen» statt auf «hinderliche Faktoren» legen. Sie sprechen zudem die verschiedenen Anspruchsgruppen direkt an und sind nicht in einer nüchtern-wissenschaftlichen Schreibweise verfasst.
Der Aufwand für eine zielgruppenorientierte Kommunikation war zwar aufwendig, dennoch zeigen die aus dem Projekt entstandenen Kommunikationsmittel, den Mehrwert, den der Einbezug der unterschiedlichen Anspruchsgruppen schafft: Letztlich sind 13 Impulse entstanden, die sowohl Fachkräften als auch Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen eine rasche und einfache Stütze im Alltag bieten, u.a. bei der Wohnungssuche, bei Fragen des Datenschutzes oder bei der Arbeit mit Peergruppen.
«Wohnen mit Vielfalt»
Zur Verbreitung der erarbeiteten Impulse und der guten Praxisbeispiele hat INSOS Schweiz eine übersichtliche und ansprechende Webseite erstellt.
Online-Veranstaltungen
Von Ende November bis Mitte Januar führt INSOS Schweiz zudem fünf Webinare durch. Sie bieten Gelegenheit, die Ergebnisse des Projekts kennenzulernen und den weiteren Handlungsbedarf mit «Expert*innen aus Erfahrung» und Schlüsselpersonen – wie Fachkräfte aus sozialen Institutionen und Wohnverwaltungen oder Vermieter*innen, Hauswartpersonal und Nachbar*innen – zu diskutieren. Die Teilnahme steht allen interessierten Menschen offen.
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