Problematische 24-Stunden-Betreuung zu Hause

Betreuerin und alter Mann

Foto: istock.com/Dean Mitchell

Immer mehr ältere Menschen werden zu Hause betreut. Dabei spielen 24-Stunden-Angebote eine wachsende Rolle. Die meisten der entsprechenden Betreuerinnen und Betreuer werden im Ausland rekrutiert und arbeiten in der Schweiz oft unter bedenklichen Bedingungen.

Viele Menschen wünschen sich, im Alter daheim im gewohnten Umfeld betreut zu werden. Um Kosten zu sparen, verfolgt die öffentliche Hand seit längerem die Strategie «ambulant vor stationär». Dies widerspiegelt sich in der stetigen Zunahme der Spitex-Dienstleistungen. Im Jahr 2017 wurden in der Schweiz nahezu 16 Millionen spitalexterne Pflegestunden erbracht. Doch wie geht es weiter, wenn die morgendlichen und abendlichen Besuche der Spitex nicht mehr reichen? Wenn Oma manchmal verwirrt ist und das Haus auf einmal ohne Schuhe und Jacke verlässt? Wenn Opa auch bei nächtlichen Toilettengängen Hilfe benötigt?

Die Betreuerin bei sich daheim

In den letzten zehn Jahren sind vermehrt Firmen entstanden, die für solche Fälle Rund-um-die-Uhr-Betreuungen in den eigenen vier Wänden anbieten. Dafür vermitteln oder verleihen sie sogenannte Live-In-Betreuerinnen, die im Haushalt der betreuungsbedürftigen Person wohnen und dort für sie sorgen. Sie erledigen den Haushalt und die Einkäufe, helfen beim Anziehen und bei der Körperpflege, leisten Gesellschaft und sind in Rufbereitschaft, falls die betreute Person Unterstützung benötigt. Die Betreuerinnen – es sind fast ausschliesslich Frauen – stammen meist aus osteuropäischen Ländern und kommen für diese Arbeit jeweils ein paar Wochen oder Monate am Stück in die Schweiz.

Die Firmen versprechen in ihren Angeboten «24-stündige Anwesenheit» und eine «lückenlose Betreuung». Und sie werben mit Rundum-sorglos-Paketen, die von der Rekrutierung und Anreise der Betreuerin, über die Anmeldungen bei Migrationsbehörden und Abrechnung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen, bis zum sofortigen, kostenlosen Austausch der Betreuerin bei Unzufriedenheit alles beinhalten.

Bereitschaftsdienst nicht zur Arbeitszeit gezählt

Doch kann dieses neue Betreuungsmodell den vielgehegten Wunsch erfüllen, bis zum Lebensende in den eigenen vier Wänden zu bleiben? Unsere Forschungsgruppe untersuchte den Markt der Live-In-Betreuung seit der Öffnung der Schweizer Grenze für Arbeitskräfte aus dem EU-Raum vom Jahr 2011 bis heute. Wir führten zahlreiche Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Firmen, mit Betreuerinnen, Angehörigen und Fachpersonen. Dabei haben wir auch die Problematiken der Live-In-Betreuung kennengelernt.

Die Hauptproblematik des Modells ist für jede Person offensichtlich, die schon einmal Betreuungsarbeit für einen älteren Menschen geleistet hat, der permanente Aufsicht benötigt: Wann hat die Betreuungsperson frei? Nicht von ungefähr machen Arbeitskräfte in der Schweiz nach 8.5 Stunden Feierabend und gehen nach Hause, um sich für den nächsten Arbeitstag zu erholen – so auch das Betreuungspersonal in Spitälern und Pflegeheimen. Und die Live-In-Betreuerinnen?

Die meisten Firmen lösen das Problem, indem sie in den Arbeitsverträgen der Betreuerinnen nur eine Arbeitszeit von 6–7 Stunden pro Tag ausweisen. Die restlichen Stunden gelten als Bereitschaftsdienst, in denen sich die Betreuerin anderweitig beschäftigen kann, sich aber in Rufweite aufhalten muss, um jederzeit Hilfe leisten zu können. Die zwei Stunden, in denen die betreute Person ihr Mittagsschläfchen macht, gelten als Freizeit. In dieser Zeit darf die Betreuerin die Wohnung verlassen.

Die Pflege daheim stösst an Grenzen

In der Praxis bedeutet dies, dass die Betreuerinnen nahezu rund um die Uhr die Verantwortung für die betreuungsbedürftige Person trägt. Am Tag und in der Nacht, je nach Firma über Tage und Wochen, manchmal gar über Monate hinweg. Dies illustriert die Aussage eines Firmeninhabers:

«Damit du deinen Job erfüllen kannst, isst du dort, duschst dich dort und schläfst du dort. Und arrangierst dich mit der Familie. Vielleicht kommt eine Tochter und sagt: ‹Ich bin Lehrerin, ich habe am Mittwochnachmittag frei, dann gehe ich zu meiner Mami zum Kaffeetrinken und zum Plaudern.› Dann hast du Ausgang.»

Was bedeutet dies für die Gesundheit der Betreuerin? Was bedeutet dies für die Qualität der Betreuung, wenn eine Erholung während dieser Dauerbereitschaft gar nicht möglich ist?

Während unserer Forschung haben wir die Erfahrung gemacht, dass es im Live-In-Modell für die Betreuungsperson tatsächlich sehr schwierig ist, sich von der Arbeit zu erholen. Unabhängig davon, ob sie gerade arbeitet oder abrufbereit ist, teilt sie all ihre Aufenthaltsräume mit Ausnahme des Schlafzimmers mit der betreuungsbedürftigen Person. Abstand nehmen ist so kaum möglich. Die Betreuerinnen kritisieren, sie leisteten «24 Stunden Arbeit für 6 Stunden Lohn».

Was ist somit die Lösung, wenn die Spitex nicht mehr reicht? Unseres Erachtens kommt spätestens dann der Moment, an dem das oft unhinterfragte Credo «lieber daheim als im Heim» an seine Grenzen stösst. Möglicherweise bietet ein Altersheim in diesen Fällen tatsächlich das beste Betreuungsarrangement. Oder vielleicht kommen alternative betreute Wohnformen in Frage, wie sie derzeit in verschiedenen Gemeinden getestet werden. Eine einzige Arbeitskraft rund um die Uhr für das Wohlergehen einer betreuungsbedürftigen Person verantwortlich zu machen, erweist sich jedenfalls als höchst problematisch.

 


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