«…Never ever haben sie sich selbst mit Rassismus auseinandergesetzt»

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Foto: istock mapodile

Im Rahmen eines Forschungsprojekt der BFH berichteten adoptierte People of Colour aus der Schweiz über ihre Erfahrungen mit Rassismus. Der Umgang damit stellt eine mentale Belastung dar, die die Betroffenen stets begleitet. Mit ihren Adoptiveltern sind Gespräche über Rassismus anspruchsvoll und nicht immer möglich.

Internationale Adoptionen werden in der Sozialwissenschaft schon seit längerem kritisch diskutiert. Wie Anfang Jahr bekannt wurde, möchte der Bundesrat internationale Adoptionen ganz unterbinden. Ein Aspekt, der in der Schweiz bisher nicht thematisiert wurde, betrifft die Zusammensetzung der Familien. Viele dieser Familien bestehen aus weissen Adoptiveltern und Kindern of Colour. Für die Kinder bedeutet dies, dass sie sowohl in der Familie wie auch in der Gesellschaft hinsichtlich ihrer Race-Zugehörigkeit eine Minderheit sind, oft mit dem Resultat, dass in den Familien das Thema kaum oder gar nicht zur Sprache kam.

Der Grund für die fehlende Thematisierung wurzelt darin, dass wir in der Schweiz als Gesellschaft lange Zeit davon ausgegangen sind (und teilweise immer noch davon ausgehen), dass Rassismus kein Problem sei, weshalb dieser oft kleingeredet, verharmlost und sogar tabuisiert wird. Was bedeutet das für adoptierte People of Colour (PoC)?

«Wo kommt du her?»

Im Rahmen einer Pilotstudie der BFH sind wir dieser Frage nachgegangen und haben mit Personen gesprochen, die zwischen den frühen 1970er- und Ende der 1990er-Jahre in die Schweiz adoptiert wurden. Die Herkunftsländer reichen von Südkorea, Indien, Sri Lanka, Bolivien bis Rumänien.

Channah sitzt mir gegenüber. Sie ist Mitte dreissig, selbstbewusst und schlagfertig. Sie erzählt mir von ihrem früheren Studierendenjob in einer Bibliothek. «Woher kommen Sie?» Diese Frage wurde ihr täglich nicht bloss ein paar Mal, sondern dutzende Male von den Kund*innen gestellt. Sie machte daraus ein Experiment und probierte systematisch verschiedene Antworten aus. Sie sei aus Solothurn, aus Indien – oder auch mal aus Schweden, um die Leute zu verwirren. Egal welche Antwort sie gab, wurde es als Einladung gesehen, noch weiter nachzufragen. Sie führt aus:

«Das ist ein Punkt, den ich für Adoptionen sehr spezifisch finde. Nämlich die Frage ‹Woher kommst du?›, und dann dieses Nachbohren. Immer diese Frage, ‹Von wo kommen denn deine Eltern?› Und ich meine, wenn ich nicht lüge, ist die Antwort klar. Sie kommen aus der Schweiz. Und dann haben die Leute ihre Antwort ja noch immer nicht. Also müsstest du eigentlich irgendwann sagen, dass du adoptiert bist. Darauf läuft es hinaus.»

Selbst wenn Channah antwortete, sie sei adoptiert, hätten die Nachfragen nicht aufgehört. Im Gegenteil sei dann jeweils die intimste und unsensibelste Frage erst gekommen: ob sie ihre leiblichen Eltern kenne. «Das hat mich total schockiert. Das fragt man doch nicht. Die sind sich gar nicht bewusst, was sie fragen.»

Umgang mit Rassismus in den Adoptivfamilien

Während die adoptierten PoC in der Öffentlichkeit Rassismus ausgesetzt sind, wird dieser in den betrachteten Adoptivfamilien eingeschränkt bis gar nicht thematisiert. «In meiner Familie sind alles ganz nette Leute, aber never ever haben sie sich selbst mit Rassismus auseinandergesetzt,» sagt Dora. Sie wurde Ende der 1990er-Jahre in Rumänien geboren. Ihre Eltern sind vermutlich Roma. Als zweijährige kam sie in die Schweiz. Ihre Adoptiveltern sind gebildet, links und politisch aktiv. Aber sie sahen nicht, dass Dora mit einer anderen Lebensrealität konfrontiert ist als sie. Die Adoptiveltern seien davon ausgegangen, dass rassistische Erlebnisse bloss Einzelfälle wären, erzählt Dora.

Bezüglich des Umgangs mit Rassismus erlebten die befragten PoC ihre Adoptiveltern zwar als wohlwollend, aber auch als überfordert oder wenig unterstützend. Ji-Wons Adoptiveltern wollten sie stärken und haben ihr jeweils gesagt, dass sie viel schöner sei als die anderen Kinder. «Das nützte mir gar nichts», konstatiert sie. Sie hat darum irgendwann als Kind aufgehört, daheim über ihre Rassismuserfahrungen zu reden. Andere schwiegen, weil sie nicht auffallen und ihre Adoptiveltern nicht belasten wollten.

Auswirkungen im Erwachsenenleben

In manchen Fällen suchten die adoptierten PoC als Erwachsene das Gespräch mit ihren Adoptiveltern und es sind nun sie, die ihre Adoptiveltern über Rassismus in der Gesellschaft aufklären und einen Reflexionsprozess bei ihnen anstossen. Es sind zähe Gespräche. Durch die gesellschaftliche Tabuisierung fehlt eine Sprache, um «gut» über Rassismus zu reden. In anderen Familien wird die Thematik weiterhin ausgeklammert.

Die Einblicke veranschaulichen, dass der Umgang mit Rassismus für die adoptierten PoC kontinuierliche mentale und emotionale Auseinandersetzungen sowie Anpassungen an ihr Umfeld erfordert: Das beinhaltet zum einen die Angst vor rassistischen Übergriffen; zum andern gehört das Entwickeln von Strategien zur eigenen Sicherheit dazu. Es geht aber auch um den Umgang mit verletzenden rassistischen Äusserungen und der damit verbundenen Abwertung und Scham, ums Überlegen von Reaktionen auf übergriffige Fragen, um die intellektuelle Auseinandersetzung mit Rassismus und um die Beziehungsgestaltung zu den Adoptiveltern bezüglich dieses Themas.

Mehr Unterstützung für Adoptivfamilien gefordert

Die Befragten kritisieren zudem, dass ihre Adoptiveltern im Zug des Adoptionsprozesses nicht über Rassismus aufgeklärt und ungenügend auf die Bedürfnisse einer PoC vorbereitet wurden. Für die Soziale Arbeit werfen die Befunde Fragen auf, inwiefern Adoptivfamilien aus der Schweiz, die heute Kinder of Colour grossziehen, gut unterstützt werden können. In der Schweiz steht dieser Diskurs noch ganz am Anfang.

 


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