Mit der Laufbahnberatung 45+ unterstützt die Direktion für Bildung, Soziales und Sport der Stadt Bern (BSS) ihre erfahrenen und älteren Mitarbeitenden bei der beruflichen Orientierung und Weiterentwicklung. Sandra Portmann, Personalverantwortliche der BSS, und Susanne Preisig, Leiterin Steuergruppe Diversity Management, sprechen über die Ergebnisse der Evaluation, besondere Beratungssituationen und darüber, was die Laufbahnberatung 45+ mit Diversity Management zu tun hat.
Aus welchen Gründen hat man in der Stadt Bern eine Laufbahnberatung für ältere und erfahrene Mitarbeitende ins Leben gerufen?
SANDRA PORTMANN: Die Umfrageergebnisse der Mitarbeitenden-Zufriedenheits-Befragung waren im Bereich der Entwicklungsmöglichkeiten über Jahre hinweg tief. Die Personaldienste prüften deshalb den Aufbau einer betriebsinternen Laufbahnberatung und setzten diese 2007 in zwei Direktionen um. Im Rahmen der Einführung des betrieblichen Gesundheitsmanagements wurde in der BSS das Laufbahnberatungsangebot stärker auf Mitarbeitende 45+ ausgerichtet, da dieses gerade bei beruflichen Neuorientierungen aus gesundheitlichen Gründen vermehrt angeboten und genutzt wurde.
Das bedeutet, dass sich Ihre Laufbahnberatung nicht ausschliesslich an Mitarbeitende 45+ richtet?
SANDRA PORTMANN: Die BSS bietet ihren Mitarbeitenden in allen Lebensphasen, unabhängig des Alters die Möglichkeit einer betriebsinternen Laufbahnberatung oder Standortbestimmung an. In einem moderierten Rahmen können sie Zwischenbilanz ziehen, neue Ziele definieren und die Umsetzung planen. Mitarbeitende im Segment 45+ sind jedoch eine Zielgruppe, auf die sich unser Angebot in den letzten Jahren stärker fokussierte. Meine Vision ist, dass wir in der Stadt Bern diese Kultur weiter pflegen und intensivieren.
Der Auftrag zur Evaluation der Laufbahnberatung 45+ wurde von der städtischen Steuergruppe Diversity Management erteilt. Was hat eine Laufbahnberatung mit Diversity Management zu tun?
SUSANNE PREISIG: Getreu dem Motto «Diversität ist eine Chance; Inklusion ist, sie zu nutzen» betrachtet die Berner Stadtverwaltung die Themen Diversität und Inklusion als umfassendes, zielgruppenübergreifendes Konzept. Der Fokus liegt auf einer chancengleichen und diskriminierungsfreien Personalpolitik und der Förderung eines offenen Arbeitsumfelds, in welchem Perspektivenvielfalt geschätzt und begrüsst wird.
Als Arbeitgeberin möchten wir die Vielfalt der stadtbernischen Bevölkerung abbilden – also selbstverständlich auch die Mitarbeitenden aus dem Alterssegment 45+, die wir so lange wie möglich motiviert und gesund in der Stadtverwaltung behalten möchten.
Hier der zielgruppenorientierte Ansatz einer Laufbahnberatung 45+, da die umfassende Betrachtung von Diversität und Inklusion. Ist das nicht ein Widerspruch?
SUSANNE PREISIG: Nein, der zielgruppenorientierte Ansatz widerspricht der umfassenden Betrachtung nicht, im Gegenteil. Die Vielfalt unter den Mitarbeitenden der Stadtverwaltung ist gross. Erst wenn wir als Arbeitgeberin wissen, welche Bedürfnisse unsere Mitarbeitenden haben und was sie brauchen, um ihre Fähigkeiten einzubringen, können wir das Arbeitsumfeld entsprechend gestalten. Und erst wenn wir als Arbeitgeberin die Perspektivenvielfalt der Mitarbeitenden nutzen, können in der Zusammenarbeit Synergien entstehen. Im Sinne einer lebensphasenorientierten Personalentwicklung ist die Laufbahnberatung 45+ ein wichtiges Instrument, um Mitarbeitende in ihrer aktuellen, individuellen Situation abzuholen und zu begleiten.
Ist Ihnen eine Beratung mit einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter aus dem Segment 45+ besonders in Erinnerung geblieben?
SANDRA PORTMANN: Gerne erinnere ich mich an den kaufmännischen Mitarbeiter, der mir zu Beginn der Beratung erzählte, er habe eigentlich schon immer in der Kinderbetreuung arbeiten wollen – doch nun sei es für ihn als Mittvierziger wohl zu spät für diesen Wechsel. Ich organisierte ihm je einen Tag in einer Kindertagesstätte und in einer Tagesschule, und siehe da: Er fand heraus, dass er nie und nimmer in der Kinderbetreuung arbeiten möchte. Er hatte ein völlig falsches Bild von diesem Beruf und realisierte, dass er im kaufmännischen Bereich ganz gut aufgehoben war. So haben wir in der weiteren Beratung analysiert, welche Teile der Arbeit ihm gefallen und wo er sich punktuell eine Anpassung, respektive eine Erweiterung wünscht. Dieses Beispiel zeigt, dass ein Perspektivenwechsel ein wertvolles und praxisnahes Instrument ist.
In den Beratungen mache ich oft die Erfahrung, dass Mitarbeitende 45+ eher kleinere, differenzierte Justierungen anstreben. Solche Anpassungswünsche im Job werden von den Mitarbeitenden gerne als Grundlage genutzt, um mit ihren vorgesetzten Personen über ihre berufliche Entwicklung zu sprechen.
Daneben werden erkannte Ressourcen und Interessen auch gezielt ausserhalb des Berufs intensiviert oder neu gepflegt. Beides kann den Gesamtmix von Beruf, Freizeit und Familie wieder attraktiv und stimmig machen.
Die Laufbahnberatung 45+ der BSS wurde von der Berner Fachhochschule evaluiert. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
SANDRA PORTMANN: Die Evaluation zeigt, dass das Angebot aus drei Hauptgründen in Anspruch genommen wird: Die Mitarbeitenden wollen sich beruflich verändern, brauchen Informationen oder eine Standortbestimmung oder erhoffen sich eine Hilfestellung in einer unbefriedigenden Arbeitssituation. Die Laufbahnberatung wird von den befragten Personen grundsätzlich als wertvolles und nützliches Angebot betrachtet.
Bei den Befragungen gab es jedoch auch kritische Rückmeldungen. Beispielsweise gaben einzelne Mitarbeitende an, sie hätten sich in unserer Laufbahnberatung eine neutralere Beratungsperson gewünscht, weil sie nicht sicher waren, ob die Vertraulichkeit und die Unabhängigkeit gewährleistet seien. Weiter regten einzelne Befragte längere und häufigere Beratungsgespräche an. Und teilweise wurden die eingesetzten Instrumente als zu umfassend oder zu vage kritisiert. Dies sind wertvolle Rückmeldungen, die uns helfen, die Laufbahnberatung weiterzuentwickeln.
Diversity Vernetzungstagung
9. – 10. Juli 2020 | Kostenlose Online-Durchführung
Fachtagung und wissenschaftliches Vernetzungstreffen der Diversity-Forschenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Unter dem Rahmenthema Soziale Nachhaltigkeit geht die Konferenz der Frage nach, ob und wie sich die von der UNO verabschiedeten Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit Diversität und Inklusion in Verbindung bringen lassen.
Mit einer Parallel-Session zu den Modellen für den zukünftigen Arbeitsmarkt 45+:
- Laufbahnmodelle für Mitarbeitende der Stadt Bern in der zweiten Lebenshälfte | Jonathan Bennett (Berner Fachhochschule)
- Mit Schwung in die Zukunft: Neues Angebot der SBB zur Förderung der Gesundheit und Arbeitsmarktfähigkeit | Corinne Scheiwiller (SBB CFF FFS) & Peter Neuenschwander (Berner Fachhochschule)
- Fördern altersabhängige Beitragssätze Altersdiskriminierung im Arbeitsmarkt? | Debra Hevenstone (Berner Fachhochschule)
- Die Wirksamkeit von Interventionen zur Förderung der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben: Eine Meta-Analyse und systematische Übersicht | Andreas Hirschi & Nicola von Allmen (Universität Bern)
- Interview mit Susanne Preisig (Stadt Bern). Diversity Management Stadtverwaltung Bern
- Charta Arbeitsmarkt 45+ | Lancierung und Podiumsdiskussion
Kontakt:
- Prof. Dr. Peter Neuenschwander, Dozent, Departement Soziale Arbeit
- Sandra Portmann, Personalverantwortliche, Direktion für Bildung, Soziales und Sport der Stadt Bern
- Susanne Preisig, Personalleiterin, Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün der Stadt Bern
Artikel und Berichte:
- Bennett, Jonathan; Neuenschwander, Peter; Meier, Michael & Diana Romano (2020): Laufbahnmodelle in der zweiten Lebenshälfte für Mitarbeitende der Stadt Bern. Bern: BFH
- Bennett, Jonathan; Neuenschwander, Peter, Maurer, Michaela (2020): MOZART und die Stadt Bern: Laufbahnmodelle für Mitarbeitende 45+; In: Impuls 2/2020, Seiten 32-34.
Projekte und Partner:
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