In einem neuen Mentoringprogramm sollen ältere Menschen Migrantinnen und Migranten beim Berufseinstieg im Pflegesektor unterstützen. Als Vorbereitung wurden angehende Pflegehelferinnen und Pflegehelfer mit Migrationshintergrund gefragt, was eine solche Begleitung genau beinhalten müsste.
Wer ohne anerkannte Berufsausbildung in die Schweiz zieht, hat oft Mühe, den Einstieg ins Berufsleben zu finden. Der Pflegesektor bietet insbesondere Migrantinnen gute Berufschancen und der Lehrgang zum Pflegehelfer/-in SRK stellt für viele eine attraktive Einstiegsmöglichkeit dar. Doch zu sprachlichen Herausforderungen kommen oftmals kulturelle Unterschiede hinzu, was zu Unsicherheiten führen kann. Und häufig fehlt der Kontakt zur lokalen Bevölkerung, die mit Rat und Tat zur Seite stehen könnte.
Hier setzt das neue Mentoringprogramm «BEGIN – Begegnung und Erfahrungsaustausch» an. Es soll den Berufseinstieg von Migrantinnen und Migranten und die berufliche Integration von angehenden Pflegehelfenden unterstützen. Für die älteren Freiwilligen ist das Mentoring eine Gelegenheit, kulturelle Erfahrung und Sprachkenntnisse an jüngere Menschen weiterzugeben. In der ersten Phase des vorausgehenden Forschungsprojekts – das im Rahmen des Programms «BREF – First Ventures» von swissuniversities und Gebert Rüf Stiftung gefördert wird – wurden in Interviews Schilderungen und Fallbeispiele aus dem beruflichen Arbeitsalltag von Pflegehelfenden mit Migrationshintergrund gesammelt. Auf dieser Grundlage konnten Problem- und Unterstützungsfelder definiert werden, welche die Mentorinnen und Mentoren thematisieren können.
Sprachkompetenz als A und O
In den Interviews gaben viele Pflegehelfende an, dass ihre geringen Sprachkenntnisse den beruflichen Einstieg erschwert hätten. Die Schweizer Mundart wird dabei als zusätzliche Herausforderung wahrgenommen.
«Im Pflegeheim war das Problem nicht, wie ich etwas mache oder was ich mache. Das grosse Problem war die Sprache.» Frau C. – Pflegehelferin Alters- und Pflegeheim
Regelmässige Treffen mit einer Mentorin oder einem Mentor sind eine gute Gelegenheit für das mündliche Sprachtraining. Dabei sollen kurze Filmsequenzen den Dialog zwischen den Mentees und ihren Mentorinnen und Mentoren anregen. Auch können typische Gesprächssituationen aus dem Berufsalltag oder aus Bewerbungsgesprächen in Rollenspielen geübt werden.
Professionelle und private Alterspflege
In vielen Herkunftsländern der Mentees ist die Pflege alter Menschen Sache der Familie. Dies hat selten rein finanzielle Gründe, sondern ist meist Ausdruck bestimmter Werthaltungen. Dass die Pflege in der Schweiz oft von Profis übernommen wird, löst bei ihnen deshalb nicht selten Verwunderung oder gar Unverständnis aus.
«Es gibt Familien, wo ich merke und sehe, dass die Kinder gar nicht zu den Eltern schauen. Das fand ich dann wirklich traurig, dass sie dann einmal im Jahr kamen oder nur an Weihnachten.» Frau Y. – Pflegehelferin Spitex
«Bei uns ist es wirklich die Familie, die pflegt. Viele Leute [aus meiner Heimat] verstehen das nicht, was ich hier mache. Die sagen: Nein, für uns kommt das nicht in Frage, dass jemand anderes unsere Eltern pflegt oder in ein Heim schickt. Das heisst ja: wir brauchen unsere Eltern nicht. Ganz eine andere Mentalität.» Frau M. – Pflegehelferin Spitex
Um ein Verständnis für das schweizerische System zu schaffen, müssen die Unterschiede zur Alterspflege im Herkunftsland angesprochen werden. Anstelle einer abstrakten Erörterung des Schweizer Pflegesystems können Mentorinnen und Mentoren über ihr eigenes Älterwerden oder das ihrer Eltern berichten. Dabei können Sie persönliche Überlegungen und Erwägungen zur Alterspflege einbringen und mit den Mentees über die Pflegesituation von Angehörigen im Herkunftsland diskutieren.
Implizite Regeln und Normen des beruflichen Alltags
Im Arbeitsleben in der Schweiz wird in der Regel grosser Wert auf Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und bestimmte Umgangsformen gelegt. Die Einhaltung dieser Normen wird oft stillschweigend vorausgesetzt, obwohl sie für Berufseinsteiger, die nicht in der Schweiz sozialisiert wurden, erklärungsbedürftig sind. Die Mentorinnen und Mentoren sind mit diesen kulturell geprägten Spielregeln vertraut und können sie im Austausch mit den Mentees in einem vertrauensvollen Rahmen thematisieren.
Zwischen Arbeitseifer und Abgrenzung
Da die angehenden Pflegehelfenden in der Schweiz beruflich Fuss fassen wollen, möchten sie sich als besonders einsatzfreudig präsentieren. Doch im westlichen Arbeitsleben ist die Balance zwischen Engagement und Abgrenzung wichtig. Diese zu finden, ist für die Mentees besonders anspruchsvoll. Ähnliches gilt auch für den Umgang mit Wünschen, die ausserhalb des eigentlichen Pflegeauftrags liegen und den Klientinnen und Klienten nicht erfüllt werden können.
«Wir respektieren die alten Menschen sehr. Das war im Praktikum im Altersheim sehr schwierig für mich. Wie kann ich bei einem alten Mann oder einer alten Frau kommandieren? Das war für mich eine Schwierigkeit wegen der Kultur.» Frau Y. – Pflegehelferin Spitex
Die Mentorinnen und Mentoren können solche Unsicherheiten aufgreifen und mit den Mentees besprechen. Die gemeinsame Reflexion über diese Situationen soll die Mentees in ihrem Urteilsvermögen stärken und sie ermutigen, berechtigte eigene Anliegen selbstbewusst einzufordern. Durch einen proaktiven Einbezug von Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten können so unnötige Konflikte am Arbeitsplatz vermieden werden.
Damit die älteren Freiwilligen die im Projekt ermittelten Themen auch gekonnt und sachgemäss ansprechen können, sollen sie in ihrer Tätigkeit mit geeigneten Arbeitsinstrumenten unterstützt werden. Diese werden in den nächsten Monaten entwickelt. Neben einem Leitfaden mit thematischen Vorschlägen und Übungsbeispielen werden dazu auch kurze, impulsgebende Filmsequenzen gehören, die ab Mitte Jahr in einer Pilotphase mit mehreren Kantonalverbänden des Schweizerischen Roten Kreuzes getestet werden.
Kontakt:
- Jonathan Bennett, Leiter Institut Alter
- Cécile Neuenschwander, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut Alter
Projekte und Partner
- Departement Angewandte Psychologie, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW)
- Institut für Multimedia Production, Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur
- Schweizerisches Rotes Kreuz
- Gebert Rüf Stiftung
1 Kommentare
Monika Blau
Das Programm Intergeneration fördert mit der gemeinnützigen Online-Plattform http://www.intergeneration.ch die Bekanntheit und Vernetzung von generationenverbindenden Projekten schweizweit. Auf Intergeneration finden Sie unter der Kategorie «Mentoring» viele weitere interessante Projekte und Aktivitäten, bei denen verschiedene Generationen zusammengeführt werden. Übrigens gibt es auch Mentoringprojekte, bei denen die Mentoren jünger sind als ihre Mentees. Einfach deshalb, weil diese in einem Bereich mehr Kompetenzen und Erfahrungen haben. Schauen Sie doch einfach mal bei Intergeneration rein und lassen sich inspirieren. Oder machen Sie bei einem der dort präsentierten Mentoringprogramme in Ihrer Region bzw. in Ihren Interessensfeldern selbst mit!
Freundliche Grüsse
Monika Blau
Programmleiterin Intergeneration
Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft SGG
http://www.intergeneration.ch