In einem Workshop der BFH mit mediationsinteressierten Kindesschutzbehörden und Abklärungsdiensten wurde der Frage nachgegangen, was es braucht, damit Mediation sich im behördlichen Kindesschutz etablieren kann. Die Suche nach einer Antwort beginnt bei den Fragen und Bedenken der Kindesschutz-Praktikerinnen und -Praktiker.
Die in der Schweiz zuständigen Kindesschutzbehörden sind häufig mit Elternkonflikten konfrontiert. Etwa zwei Drittel der Kindeswohlgefährdungen können auf Elternkonflikte zurückgeführt werden. Wird deshalb ein Kindesschutzverfahren eröffnet, haben die Mitglieder einer Kindesschutzbehörde bzw. die mit der Abklärung beauftragten Fachpersonen die Möglichkeit, den Eltern eine Mediation zu empfehlen. Genauso können sie die Eltern während des Abklärungsverfahrens zu einer Mediation auffordern oder nach Abschluss des Abklärungsverfahrens eine Mediation anordnen. Das Potenzial von Mediationen im Kindesschutz wird aber nicht ausgeschöpft. Im Workshop hat sich herausgestellt, dass folgende Fragen für die Praxis besonders bedeutsam sind, damit sich die Mediation bei Elternkonflikten etablieren kann:
- In welchen Situationen ist eine Mediation die geeignete Intervention?
- Wer kann mit einer Mediation im zivilrechtlichen Kindesschutz beauftragt werden?
- Wie kann eine Mediation finanziert werden?
Diese grundlegenden Fragen müssen vorab geklärt werden. Damit Mediation vermehrt im Kindesschutz eingesetzt wird, braucht es bei den beteiligten Fachpersonen aber zudem ein spezifisches Verständnis vom Zusammenspiel von Kindesschutz- und Mediationsverfahren. Dieses Verständnis umfasst das Verhältnis von Mediations- und Rechtsverfahren einerseits sowie das Verhältnis der Mediation zu anderen Interventionen zur Bearbeitung von Elternkonflikten andererseits.
Das Mediationsverfahren – eine Konkurrenz zum Kindesschutzverfahren!?
Mediation und Kindesschutzverfahren stehen potenziell in Konkurrenz zueinander, weil sie sich auf den gleichen Gegenstand beziehen, nämlich den Elternkonflikt, der das Kindeswohl gefährdet. Der Gegenstand der Mediation und des Kindesschutzverfahrens ist zwar der gleiche, die Herangehensweisen und Prinzipien unterscheiden sich jedoch grundlegend.
Das Kindesschutzverfahren als Rechtsverfahren orientiert sich an objektiven Sachverhalten, die als Entscheidungsgrundlage für die zuständige Kindesschutzbehörde dienen. Im Mediationsverfahren stehen die subjektiven Wirklichkeiten der Konfliktbeteiligten im Zentrum und deren autonome Erarbeitung und Aushandlung einer einvernehmlichen Lösung. Ein Knackpunkt stellt die Verantwortlichkeit und damit verbunden die Entscheidungshoheit dar: Im Kindesschutzverfahren müssen die Kindesschutzbehörden das Kindeswohl sicherstellen, während in der Mediation die Eltern verantwortlich für das Finden von einvernehmlichen Lösungen sind. Wird bei strittigen Eltern eine Mediation angeordnet oder empfohlen, übergibt die Kindesschutzbehörde den Eltern damit Verantwortung und verzichtet während der Dauer der Mediation darauf, Einfluss auf die Lösungsfindung zu nehmen – sofern die Situation dies erlaubt. Die Kindesschutzbehörde muss jedoch prüfen, ob die Vereinbarung der Eltern im Sinne des Kindeswohls ausfällt. Dies stellt eine Grenze der Mediation im Kindesschutz dar: Kindesschutzbehörden müssen Vereinbarungen der Eltern nicht genehmigen, wenn diese nicht mit dem Kindeswohl im Einklang stehen. Die Mediation stellt somit für die Eltern eine Chance dar eine (Teil-)Einigung zu finden, entbindet die Kindesschutzbehörden jedoch nicht von ihrer Verantwortung das Kindeswohl sicherzustellen.
Mediation als psychosoziale Intervention
Für ein fruchtbares Zusammenspiel von Mediation und Kindesschutz muss Mediation als psychosoziale Intervention im rechtlichen Rahmen des Kindesschutzes verstanden werden: Die Mediation stellt sozusagen das Mittel dar, um Elternkonflikte zu bearbeiten und steht nicht in Konkurrenz mit dem Kindesschutzverfahren.
Für die Kindesschutzbehörden bedeutet das: Mediation ist eine von mehreren möglichen Interventionsformen bei Elternkonflikten im Kindesschutz. Andere psychosoziale Interventionsformen sind beispielsweise Beratung oder Elternkurse. Es stellt sich somit im konkreten Fall die Frage, welche Interventionsform oder welche Kombination von Interventionen zielführend ist. Es gilt also nach fachlichen Kriterien zu prüfen, ob Mediation geeignet ist. Das mag selbstverständlich klingen, ist aber nicht so einfach, weil die Erfahrungen mit Mediation vielerorts fehlen und dadurch die Gefahr besteht, einen strengeren Massstab an die Mediation zu legen als an andere Interventionsformen.
Für die Mediationspersonen bedeutet dieses Verständnis von Mediation als psychosoziale Intervention, dass sie das Kindesschutzverfahren und die Rolle der Kindesschutzbehörde als Kindeswohlhüterin als Rahmenbedingungen der Mediation anerkennen und gegenüber den strittigen Eltern entsprechend transparent machen muss. Und es gilt die Kinder im Blick zu behalten. Mediationen im Kindesschutz erfordern neben Mediationsexpertise auch Fachwissen zu Kindeswohlfragen. So müssten z.B. Überlegungen zum geeigneten Einbezug des Kindes bei der Mediation im Kindesschutz eine Selbstverständlichkeit darstellen.
Wird Mediation im Kindesschutz als psychosoziale Intervention und nicht als konkurrenzierendes Verfahren verstanden, ergänzen sich Mediation und Kindesschutz. Damit das Zusammenspiel von Kindesschutz und Mediation produktiv ist, müssen das Rechtsverfahren und die Mediation aufeinander abgestimmt werden. Damit dies gelingt, braucht es eine gute Zusammenarbeit zwischen Kindesschutzbehörden bzw. Abklärungsdiensten und Mediationspersonen. Sobald sich diese Zusammenarbeit etabliert hat, ist ein vermehrter Einsatz von Mediationen im Kindesschutz zu erwarten. Im Sinne der Evidenzbasierung der Mediationspraxis wäre es wünschenswert den Nutzen der Mediation bei Elternkonflikten im Kindesschutz empirisch zu untersuchen.
Dies ist eine gekürzte Version eines Beitrags in Perspektive Mediation. Der vollständige Artikel wird ab Ende November in der eLibrary des Verlags Österreich erhältlich sein.
Kontakt:
- Prof. Dr. Rahel Müller de Menezes, Dozentin, Departement Soziale Arbeit
- Joel Stalder, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Departement Soziale Arbeit
Artikel und Berichte:
- Allemann, Bernhard; Borner, Barbara; Domenig, Claudio; Hasler-Arana, Patricia; Kindler, Adrian; Lutz, Tanja; Riedl, Kerstin; Wermuth, Esther & Williner Claudia (2018): Leitfaden Mediation im Kindesschutz – Grundlagen, Indikation, Arbeitsweisen, Zusammenarbeit
- Jenzer, Regina; Stalder, Joel & Hauri, Andrea (2018). Psychosoziale Interventionen bei Elternstreitigkeiten im zivilrechtlichen Kindesschutz. Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutz (ZKE), 6, 427 – 454.
- Lutz, Tanja (2019). Wenn Eltern unfreiwillig in die Mediation gehen. perspektive mediation, 16(1), 42-47.
- Lutz, Tanja & Frigg Marco (2017). Angeordnete Mediation im zivilrechtlichen Kindesschutz
- Müller de Menezes, Rahel & Stalder, Joel (2020): Mediation bei Elternkonflikten im Kindesschutz?!, perspektive mediation 17
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