Start-up-Programme vermitteln aufgenommenen Flüchtlingen wichtiges Wissen, Sprachkenntnisse, Netzwerk und Selbstvertrauen, auch wenn nicht alle Geschäftsideen bis zur Umsetzung weiterverfolgt werden. Dies ist das Ergebnis einer Evaluation der Berner Fachhochschule BFH, die ein entsprechendes Pilotprojekt der SINGA Factory untersuchte.
Trotz geregeltem Aufenthaltsstatus ist ein grosser Teil der in der Schweiz lebenden Flüchtlingen nur schwach in die Gesellschaft integriert. Geflüchtete Menschen haben meist einschneidende Erfahrungen hinter sich. Viele von ihnen mussten ihr Herkunftsland abrupt verlassen und unfreiwillig eine gefährliche Reise antreten. Nun stehen sie vor der Aufgabe, sich in einem unbekannten Land eine neue Heimat aufzubauen. Damit Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund ihre Kompetenzen und ihr Wissen in dieser Situation aktiv in die Gesellschaft einbringen können, müsste diese inklusiver gestaltet werden. Das Start-up-Programm SINGA Factory unterstützt sie dabei, sich selbstständig zu machen und ihren Beitrag zu Gesellschaft und Wirtschaft zu leisten.
Das Institut für Unternehmensentwicklung der BFH evaluierte nun das erste Schweizer Programm und analysierte, in welcher Weise das dabei geschaffene Bildungs-, Kultur- und Sozialkapital den Migrantinnen, Migranten und Geflüchteten half, die eigene Geschäftsidee – als sogenannte SINGApreneurs – zu entwickeln und umzusetzen. Am halbjährigen Programm mit betriebswirtschaftlichen Schulungen, Einzelcoachings sowie Rechts- und Finanzberatungen nahmen zehn Männer und Frauen aus Ländern von Syrien bis Indonesien teil, die über eine vorläufige Aufnahme, ein Aufnahme als anerkannte Flüchtlinge oder eine Niederlassungsbewilligung C verfügen. Die BFH fragte die Teilnehmenden in den Interviews, die am Ende des Programms stattfanden, vor welchen Herausforderungen sie stünden und wer sie nun unterstütze, um diese zu meistern. Für die Evaluation wurde die Beurteilung ihrer Geschäftsideen und deren Weiterentwicklung sowie des erlangten Bildungs-, Kultur- und Sozialkapitals mit den Einschätzungen ihrer Mentorinnen und Mentoren abgeglichen.
Knowhow und Netzwerke für ein besseres Selbstvertrauen
In den Interviews zeigten sich alle Teilnehmenden sehr zufrieden mit der Unterstützung der SINGA Factory. Das Programm habe ihnen geholfen, ihre Berufswünsche und Projektideen zu realisieren und weiterzuentwickeln. Die Gelegenheit, sich aktiv am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben ihres neuen Heimatlands einbringen zu können, habe sie dabei sehr motiviert. Die SINGApreneurs lernten einen Businessplan oder einen Prototyp zu erstellen, die kulturellen Unterschiede im Geschäftsleben zu verstehen und verbesserten ihre Sprachkenntnisse im Sprachcafé. Sie lernten zudem ihre Ideen bei den richtigen Peer-Groups einzubringen, sich mit Mitmenschen in Start-up-Zentren zu vernetzen und dadurch erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden.
«Ich habe gelernt, wie man Kunden findet und wie man dazu Techniken aus dem Design-Thinking nutzen kann. Das war wirklich interessant. Und in einem der Workshops ging es darum, das eigene Wissen zu erweitern. Und ich habe tatsächlich herausgefunden, dass ich vielleicht mehr weiss, als ich denke.» Eine SINGApreneurin.
«Bei den Schweizer Gepflogenheiten hat er sehr gute Fortschritte gemacht. Er hatte anfangs extreme Unsicherheiten, weil er das alles nicht gewusst hatte. Inzwischen geht das reibungslos und ich sehe ihn auch erfolgreich mit zukünftigen Geschäftspartnern verhandeln, weil er weiss, was abgeht und deshalb entsprechend selbstbewusst handeln kann.» Ein Mentor
Darüber hinaus ermöglichte die SINGA Factory ihren SINGApreneurs den Zugang zu einer nachhaltigen Start-up-Community, in deren Räumen und Strukturen das Programm durchgeführt wurde. Allein dadurch fühlte sich ein Grossteil der Teilnehmenden nach dem Start-up-Programm stärker integriert und besass ein deutlich höheres Selbstvertrauen. Dies stellt wohl die entscheidende Wirkung des Programms dar.
«Du erhältst wirklich das gesamte Netzwerk, das du benötigst für das, was du wirklich tun musst» Ein SINGApreneur
«Ich denke, er hat gerade ein wenig von seinem Selbstvertrauen zurückgewonnen, das er im Kosovo sicherlich hatte. Es war so, dass mein Mentee tatsächlich einen sehr, sehr guten Job hatte im Kosovo. Im Prinzip war nichts, was ich ihm sagte, wahnsinnig neu für ihn. […] Aber jetzt bist du hier, das ist ein anderes Land, eine andere Kultur. Doch was du weisst, wie man zum Beispiel ein Problem angeht, ist hier und im Kosovo immer noch dasselbe. Ich denke, es hat ihm geholfen, dieses Selbstverständnis zu erlangen.» Ein Mentor
«Nach SINGA fühle ich, dass es in der Schweiz jemanden gibt, der uns hilft, und dass Flüchtlinge auch hier in der Schweiz einen Platz zum Leben haben.» Eine SINGApreneurin
Austausch mit Einheimischen entscheidend
Nicht alle Teilnehmenden haben ihre Geschäftsidee am Ende des Programms weiterverfolgt. Doch dank der gewonnenen Kontakte fanden sie stattdessen eine Anstellung oder ein Praktikum. Start-up-Programme wie die SINGA Factory sind daher ein wertvoller Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Integration von Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund. Sie bringen Leute mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen, fördern den Wissensaustausch zwischen Menschen, die schon länger in der in der Schweiz leben, und Neuangekommenen und arbeiten so auf eine inklusive Gesellschaft hin.
«Ich meine, wirklich gut an dem Programm ist, dass du mit Menschen in der Schweiz in Kontakt kommst, von denen du weisst, dass sie wirklich bereit sind dir zu helfen. Ich denke, das gibt dir grosse Zuversicht, dass du nicht in das falsche Land gekommen bist.» Eine SINGApreneurin
Die SINGA Factory bietet Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund eine echte Perspektive und erlaubt es ihnen, Erfahrungen zu sammeln, die für sie Sinn ergeben und sie in ihren Möglichkeiten weiterbringen. Gerade eine gebildete, wohlhabende Gesellschaft wie die Schweiz sollte zugewanderten Mitmenschen Optionen anbieten, die ihr Leben verbessern. Dies kann jedoch nur durch einen intensiven und gegenseitigen Austausch zwischen der lokalen Bevölkerung und Migrantinnen und Migranten entstehen. Hierfür sind Start-up-Programme wie die SINGA Factory vielversprechende Angebote.
Kontakt:
Artikel und Berichte:
- Straub, Caroline; Steger, Theresa; Kqiraj, Anton; Andres, Flavio (2018): SINGA Factory Evaluation, Berner Fachhochschule, Bern – Studie auf Anfrage erhältlich
Projekte und Partner:
Literatur und weiterführende Links:
- Davison, H., Fitzgerald, I., & Hudson, L. (2013). Refugee Business Start-ups in the North East of England: An Impossible Dream? The Institute for Small Business and Entrepreneurship annual conference. Cardiff
- Drori, I., Honig, B., & Wright, M. (2009). Transnational entrepreneurship: An emergent field of study. Entrepreneurship Theory and Practice, 33(5), 1001-1022.
- Obschonka, M., Hahn, E., & Bajwa, N. U. (2018). Personal agency in newly arrived refugees: The role of personality, entrepreneurial cognitions and intentions, and career adaptability. Journal of Vocational Behavior, 173-184.
- Vallizadeh, E., Giesselmann, M., Romiti, A., Schmelzer, P. (2016). Der Weg der Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt, in: Brucker, H., Rother, N., Schupp, J. (Hrsg.): IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Überblick und erste Ergebnisse. IAB Forschungsbericht Nr. 14, Nürnberg, 63–76.
- Yakushko, O., Backhaus, A., Watson, M., Ngaruiya, K., & Gonzalez, J. (2008). Career development concerns of recent immigrants and refugees. Journal of Career Development, 34, 362-396.
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