Was passiert, wenn Kulturförderung in die Hände von Bürger*innen gegeben wird? In Winterthur hat die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte einen Versuch unternommen. Die BFH hat die erste Durchführung begleitend evaluiert.
Mehr Menschen an der Kulturförderung beteiligen. Dieses Ziel verfolgt die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte mit dem Projekt Kultur Komitee. Zufällig aus der Bevölkerung ausgewählte Bürger*innen entscheiden über die Vergabe von Förderungsmitteln, pro Durchführung stehen knapp CHF 400’000 zur Verfügung. Die erste Projektdurchführung fand von Oktober 2021 bis Juni 2022 statt. Sie wurde durch das Zentrum für universitäre Weiterbildung der Universität Bern und die Berner Fachhochschule begleitend evaluiert, um das Projekts mit Orientierung am Ansatz der Developmental Evaluation weiterzuentwickeln. Drei weitere Projektdurchführungen sind geplant und bewilligt.
Bildung des ersten Kultur Komitees
Im Oktober 2021 wurden 200 Personen zufällig aus dem Einwohnerregister der Stadt Winterthur ausgelost und schriftlich angefragt, ob sie Teil des ersten Kultur Komitees werden möchten. Es gelang problemlos, ein genügend grosses Komitee zu bilden: 21 Personen haben bei der ersten Durchführung mitgewirkt. Häufig genannte Gründe für die Mitarbeit waren das Interesse an Kultur bzw. Kunst und die Möglichkeit, über die Förderung mitzubestimmen.
Bezüglich sozio-demographischer Merkmale war das erste Kultur Komitee heterogen zusammengesetzt. Aufgrund von Selektionseffekten entstand kein exaktes Abbild der Winterthurer Bevölkerung: Männer und Personen mit einem hohen Bildungsniveau waren übervertreten. Allerdings war es kein Ziel, ein repräsentatives Komitee zu bilden, wie dies teilweise bei Bürgerpanels angestrebt wird.
Arbeitsprozess des ersten Kultur Komitees
Die Komiteemitglieder trafen sich an acht Sitzungen und wählten aus 180 eingereichten Gesuchen von Winterthurer Kulturschaffenden 35 Gesuche aus und förderten sie mit knapp CHF 400’000. Die Entscheidungsgrundlagen dafür haben sie selbst erarbeitet. Zwei Co-Leiterinnen haben den Prozess des Kultur Komitees moderiert. Die geförderten Projekte werden nun bis im Sommer 2023 umgesetzt.
Die Zusammenarbeit im ersten Kultur Komitee verlief gut: Die Stimmung wurde als angenehm erlebt, die Mitglieder engagierten sich stark und es entwickelte sich eine gute Diskussionskultur und ein Zusammenhalt in der Gruppe.
«Das Highlight ist glaube ich wirklich, dass es bis jetzt so gut – spielerisch sage ich jetzt mal einfach – gegangen ist.» Ein Mitglied des Kultur Komitees
Bei der Evaluation ergaben sich mehrere Erfolgsfaktoren für die gute Zusammenarbeit im Kultur Komitee: die kompetente Prozess- und Sitzungsgestaltung durch das Projektteam, das hohe Engagement der Mitglieder und die guten zeitlich-finanziellen Rahmenbedingungen.
Bei der Befragung von Komiteemitgliedern und Personen aus der Kulturförderung wurde jedoch auch deutlich, dass Kulturförderung eine anspruchsvolle Aufgabe ist: Die Entwicklung von Entscheidungsgrundlagen und die begründete Auswahl von Gesuchen stellen eine Herausforderung dar.
«Es war schon sehr schwierig zu entscheiden. … Was will man jetzt als Hauptmassstab ansetzen? Ist es das eigene Interesse, Altersgruppen, Diversität der Kulturformen oder Kunstformen? Ja, es hat es nicht einfach gemacht.» Ein Mitglied des Kultur Komitees
Chancen und Herausforderungen des Losverfahrens
Wie die erste Projektdurchführung gezeigt hat, sind Bürger*innen durchaus in der Lage, überlegte Kulturförderungsentscheidungen zu treffen. Partizipative Ansätze wie das Projekt Kultur Komitee sind vielversprechend, um Angebote stärker an den Bedürfnissen der Zielgruppen auszurichten. Dabei kann Bürger*innen auch Entscheidungsmacht über die Verteilung von Mitteln gegeben werden, wie dies auch in Städten wie Lausanne erfolgt, wo Bürger*innen ein budget participatif zur Förderung von quartierbezogenen Projekten zur Verfügung steht. Die Evaluation zeigte Chancen und auch Herausforderungen des Losverfahrens und Ansätze für eine punktuelle Weiterentwicklung auf.
Mit dem Losverfahren können zufällig ausgewählte Bürger*innen eingeladen werden mitzuwirken. Jedoch weiss man im Voraus nicht, wie viele Personen sich für eine Teilnahme entscheiden und es kommt zu Selektionseffekten, die dazu führen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen untervertreten sind. Es gibt jedoch Möglichkeiten, Einfluss auf die Grösse und Zusammensetzung von Gremien wie dem Kultur Komitee zu nehmen: Um einer Untervertretung von Frauen entgegenzuwirken, könnten beispielsweise mehr Frauen als Männer ausgelost werden oder es könnte eine bestimmte Anzahl Plätze für Frauen reserviert werden. Es können auch mehrstufige Auswahlverfahren eingesetzt werden, bei denen in einem ersten Schritt Bürger*innen zufällig ausgewählt werden und in einem zweiten Schritt aus dem Kreis der interessierten Personen nach bestimmten Kriterien ein Gremium zusammengestellt wird, das die Bevölkerung möglichst gut repräsentiert.
Kontakt:
Artikel und Berichte:
Partner und Projekte:
- Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG)
- Kultur Komitee Winterthur
- Zentrum für universitäre Weiterbildung der Universität Bern
Literatur und weiterführende Links:
0 Kommentare