Integration: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht

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Foto: davidbeyeler.ch

Wenn die Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen in den Arbeitsmarkt gelingen soll, ist die enge Zusammenarbeit mit der lokalen Wirtschaft entscheidend. Im Pilotprojekt «Koordination des Asyl- und Flüchtlingswesens im Berner Oberland» KAFOL konnten die Teilnehmenden durch Praktika erste Erfahrungen im regulären Arbeitsmarkt sammeln.

Im Interview spricht der Projektleiter Jürg Fassbind über seine Erfahrungen im Projekt, das von der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern finanziert und durch die BFH begleitet und ausgewertet wurde.

Wie kam es zum Projekt KAFOL, was waren die Hintergründe?

Anders als heute, hatten wir in der Schweiz vor wenigen Jahren eine hohe Zahl an Asylsuchenden. Besonders in den Standortgemeinden von Asylunterkünften gab es grosse Ängste. Im Berner Oberland wurde daher auf Initiative der Regierungsstatthalterämter eine Task Force gegründet.

Ziel war, Asylsuchende möglichst rasch «weg von der Strasse zu bekommen» und ihnen eine sinnvolle Tätigkeit zu ermöglichen.

Aufgrund des hohen Handlungsdrucks hat der Kanton ein Pilotprojekt finanziert. Mit der Region Frutigen wurde es bewusst ausserhalb des städtischen Raums realisiert. Von Anfang an waren die zuständigen kantonalen Direktionen, die Regierungsstatthalterämter und die Gemeinden mit an Bord.

Jürg Fassbind, Projektleiter KAFOL

Jürg Fassbind, Projektleiter KAFOL

Ein Schlüsselelement von KAFOL war der Aufbau einer Arbeitsvermittlung in die lokale Wirtschaft. Welche Ziele waren damit verbunden?

Die Idee war, die Personen aus dem Asylbereich möglichst nahe an den realen Arbeitsmarkt heranzuführen. Man suchte ganz bewusst die Zusammenarbeit mit den lokalen Unternehmen vor Ort, deshalb musste der Arbeitsvermittler die Region gut kennen. Genau eine solche Person konnten wir für die Arbeitsvermittlung von KAFOL finden: einen ehemaligen Holzbauunternehmer, der die Sprache der Gewerbler der Region spricht. Das war ein wirklicher Glücksfall! Zudem wurde die Arbeitsvermittlung in die Regionalstelle der Caritas Berner Oberland eingegliedert. So konnte der fachliche Austausch sichergestellt werden.

Die Evaluation zeigt, dass durch die Arbeitsvermittlung über 60 Personen ein Praktikum in einem Betrieb absolvieren konnten. Bis heute ergaben sich zudem mehr als 25 Verträge für Vorlehren, Lehr- und Arbeitsstellen. Welche Faktoren führten zu diesem Erfolg?

Die Betriebe im Berner Oberland waren vorher weniger im Fokus von Fachstellen als in städtischen Gebieten.

Der wichtigste Faktor war aber die gute Verbindung, die der Arbeitsvermittler mit den Betrieben und den Asylsuchenden aufbauen konnte. Dies ermöglichte es, so viele Praktikumsplätze zu besetzen.

Ein weiterer Erfolgsfaktor war die Vertrauensbasis, welche mit allen relevanten Partnern aufgebaut werden konnte. Alle Akteure wurden von Beginn weg einbezogen, womit die Beteiligten KAFOL weniger als neue Konkurrenz, sondern eher als gemeinsames Projekt wahrnahmen.

Im Asyl- und Flüchtlingsbereich sind eine Vielzahl von Organisationen involviert, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen – z.B. Unterbringung, Beschäftigung, Integrationsförderung, Deutschkurse, Sozialhilfe etc. Die Rückmeldungen bezüglich der Koordination unter den Akteuren waren in der Evaluation des Projekts eher durchzogen. Wie schätzen Sie dies ein?

KAFOL ist ein kleines Projekt ohne Einfluss auf die gegebenen Strukturen und Organisationen. Wir fokussierten uns deshalb auf die Förderung des Austauschs unter den Fachpersonen. Viele Verantwortliche lernten sich durch das KAFOL-Projekt erst kennen. Es gelang uns, Absprachen zu konkreten Fragestellungen zu erreichen. Die Zusammenarbeit erfolgte sehr wertschätzend. Dies in einem Umfeld, das durch die gleichzeitig laufende Ausschreibung des Kantons für die künftigen regionalen Partner im Asylbereich zunehmend durch Wettbewerb geprägt war.

Mit der Evaluation wurden auch die Einschätzungen der Teilnehmenden und der Betriebe abgeholt. Gibt es dabei Aussagen, die Sie überrascht haben?

Ich freue mich über die Offenheit der Betriebe, die Praktikumsplätze zur Verfügung stellen und – wenn die Voraussetzungen da sind – danach auch bereit sind, Lehr- und Arbeitsverträge einzugehen. Teilweise gab es auch Enttäuschungen. Viele Geflüchtete kamen zum ersten Mal mit der Schweizer Arbeitswelt in Kontakt. Da sind die Hindernisse teilweise riesig, nicht nur in sprachlicher Hinsicht.

Die Betriebe sagen, dass die Mehrheit der Teilnehmenden eine bessere Vorbereitung brauche: bei der Sprache, aber auch bezüglich Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und Flexibilität. Wenn Menschen zu schnell vom Asylbereich in den ersten Arbeitsmarkt eintreten, besteht die Gefahr, dass die Betriebe abgeschreckt und die Teilnehmenden überfordert werden.

Der Prozess der Integration lässt sich optimieren, aber nicht unendlich beschleunigen: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht.

Wichtig ist aber, dass jene, die reif sind für diesen Arbeitsmarkt, erkannt werden und die Möglichkeit erhalten, über ein Praktikum eine Lehr- oder Arbeitsstelle anzutreten.

Was weiter festzuhalten ist: Einzelne Praktikumsteilnehmende haben hohe Ansprüche und zeigen wenig Bereitschaft, einfach mal irgendwo anzufangen, auch wenn die Arbeit nicht der Wunschvorstellung entspricht. Die Botschaft des Projekts lautet jedoch: die Integration in den Schweizer Arbeitsmarkt ist ein längerer Weg, man muss einfach mal einsteigen und dann durchhalten. In diesem Punkt sollen die Fachpersonen der Asylorganisationen gegenüber den Asylsuchenden und Flüchtlingen eine klare Haltung zeigen, damit diese bereit sind, an ihren langfristigen Perspektiven zu arbeiten.

Mit der Neustrukturierung des Asylbereichs im Kanton Bern verändern sich die Rahmenbedingungen grundsätzlich. Was kann man aus dem Projekt KAFOL dafür mitnehmen?

Praktika in Betrieben bewähren sich. Ich befürworte ein flexibles Stufenmodell, wie es auch die BFH-Evaluation vorschlägt. Es setzt mit unbezahlten Praktika ein und trägt der Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden aus dem Asylbereich schrittweise Rechnung. Für die Betriebe ist zudem der administrative Aufwand entscheidend. Dieser konnte dank der unbürokratischen Unterstützung durch die zuständigen Stellen im Pilotbetrieb KAFOL sehr tief gehalten werden. Leider läuft die aktuelle Entwicklung eher in die andere Richtung. Wenn die Hürden für die Betriebe erhöht werden, etwa durch rigide Mindestlöhne oder administrative Vorgaben, wird die Bereitschaft zur Mitwirkung meiner Meinung nachlassen.

 


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