Inklusion in den Arbeitsmarkt: Der mühsame Weg psychisch Erkrankter

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Coaching eines IV-Bezügers im Betrieb

Foto: istock.com/Marisa9

Die Invalidenversicherung IV ist eine Dauerbaustelle der Schweizer Sozialpolitik: Revisionen und Weiterentwicklungen der IV stehen regelmässig auf der politischen Agenda, insbesondere die Wiedereingliederung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in den Arbeitsmarkt.

Menschen mit psychischen Erkrankungen bevorzugen es in der Regel, im allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Gleichwohl verlieren Betroffene nicht selten ihre Stelle, wenn die Erkrankung im Betrieb bekannt wird oder Fehlzeiten im Rahmen der Erkrankung auftreten. Sehr viele Betroffene finden nach längerer Arbeitslosigkeit keinen adäquaten Arbeitsplatz. Gerade bei schweren psychischen Erkrankungen wie Psychosen droht in der Schweiz mit dem IV-Bezug ein Leben in Armut und sozialer Isolation.

Erst platzieren, dann trainieren

Trotz vielfältiger politischer Anstrengungen, Menschen mit psychischen Erkrankungen in den ersten Arbeitsmarkt zu inkludieren, und positiver Evaluationen ist Supported Employment (unterstützte Beschäftigung) in der Schweiz in der Breite kaum vorhanden. Dieses gründet auf dem Prinzip, die betroffenen Personen direkt und ohne vorgeschaltetes Arbeitstraining im allgemeinen Arbeitsmarkt zu platzieren und erst dann zu trainieren bzw. zu coachen. Dieses «Place-then-train»-Verfahren verkehrt die traditionelle Stufenleiter der Rehabilitation, nach der zunächst Fertigkeiten erlernt werden sollen, um dann entsprechende Tätigkeiten zu finden («Train-then-place»). Die empirische Forschung ist hier jedoch eindeutig: Supported Employment-Programme sind sowohl in klinischen Studien als auch in der Routineanwendung den traditionellen Programmen – die überwiegend im zweiten Arbeitsmarkt stattfinden – eindeutig überlegen. Inklusionsmassnahmen sind gegenüber den klassischen Integrationsmassnahmen deutlich im Vorteil und werden zumeist von den betroffenen Personen präferiert.

Weiterentwicklung der IV auf dem richtigen Weg

Die in der Frühjahrssession des Nationalrats anvisierte Weiterentwicklung der IV zielt auf drei aktuelle Kernprobleme: a) die bereits angedeutete, notwendige Flexibilisierung der Integrationsmassnahmen, b) den Arbeitsplatzerhalt bei psychischer Erkrankung sowie c) den Einbezug von Jugendlichen in IV-Massnahmen. Daten aus dem Supported Employment-Programm der Universitären Psychiatrischen Dienste UPD Bern  zeigen, dass trotz der Überlegenheit gegenüber konventionellen Unterstützungsmassnahmen nur ungefähr ein Drittel der Teilnehmenden in einer Festanstellung landet. Die Wiedereingliederung nach längerer Arbeitslosigkeit ist ein mühsamer, mit vielen Hindernissen bestückter Weg. Demgegenüber könnte der Arbeitsplatzerhalt ein deutlich erfolgversprechenderer Ansatz sein, der die soziale Exklusion nicht nur verhindern kann, sondern durch die soziale Einbindung sogar die Krankheitsfolgen bewältigen hilft.

Jugendliche und junge Erwachsene sind in den letzten Jahren unter den neuen IV-Empfangenden besonders stark vertreten. Bis anhin gibt es kaum Unterstützung, um bei drohendem Schulabbruch oder Übergangsproblemen von der Schule in die Berufslehre aktiv zu werden. Dabei steht mit dem Konzept der Supported Education (unterstützte Ausbildung) mittlerweile ein Rahmen zur Verfügung, in dem die Prinzipien des Supported Employment mit pädagogischen und – wenn nötig – psychiatrischen Elementen verbunden werden.

So kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die IV-Weiterentwicklung – die Zustimmung im Nationalrat vorausgesetzt – in die richtige Richtung geht. Gleichwohl wäre ein noch konsequenterer Ansatz im Sinne der Inklusion und der direkten Platzierung zu wünschen. Weshalb dies nicht geschieht, darüber kann nur spekuliert werden. Die Lobby der Werkstätten und Betriebe im zweiten Arbeitsmarkt ist dabei sicherlich ein relevanter Faktor.

Digitalisierung birgt neue Herausforderungen

Unterdessen vollzieht sich – vom Rehabilitationsgeschehen weitgehend unbemerkt – ein dramatischer Wandel des Arbeitsmarkts, der auf mittlere Sicht vermutlich erhebliche negative Auswirkungen auf die Wiedereingliederung haben wird. Digitalisierung und Automatisierung vernichten viele Arbeitsplätze mit Routinetätigkeiten, welche gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen geeignet wären. Eine aktuelle Studie der UPD Bern zeigt, dass der Anteil der Menschen, die durch Supported Employment-Programme in kompetitive Arbeitsplätze vermittelt werden, weltweit seit Jahren rückläufig ist. Insbesondere durch die Rezession der Jahre 2008/2009 wurde dieser Trend erheblich verstärkt. Die Arbeitsrehabilitation steht somit vor neuen und zumeist noch gar nicht realisierten Problemen, welche für die Schweizer Sozialpolitik grosse Herausforderungen zur Folge haben.

 


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