Hausarztpraxen und Erwachsenenschutz: Das Potential der Sozialen Arbeit

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Welchen Beitrag kann die Soziale Arbeit in der Hausarztpraxis für den Erwachsenenschutz leisten? Eine an der BFH verfasste Masterarbeit präsentiert einen vorläufigen Leistungskatalog und zeigt den Beitrag der Sozialen Arbeit in Arztpraxen auf: Von der Prävention und Abklärung über die behördliche Massnahme bis zur Beendigung der Beistandschaft.

Gesundheit wird durch körperliche, psychische und soziale Faktoren beeinflusst. Da Patient*innen zunehmend gleichzeitig auf psychosoziale, rechtliche und finanzielle Unterstützung angewiesen sind, werden Hausärzt*innen in den Sprechstunden häufig mit nicht-medizinischen Themen konfrontiert. Daher wird eine niederschwellige, alltagsnahe, unbürokratische und fachlich kompetente Sozialberatung in der Hausarztpraxis nötig.

Der biologische und psychologische Zugang zur Gesundheit ist heute gesellschaftlich akzeptiert, während der soziale nach wie vor vernachlässigt wird. Das in der klinischen Sozialarbeit verwendete Bio-Psycho-Soziale Modell bezieht explizit auch psycho-soziale Faktoren mit ein. Sozialarbeitende können als Expert*innen für die Lebenswelt diese komplexe soziale Dimension bearbeiten und sind somit ein Erfolgsfaktor für die Behandlung. Da die Hemmschwelle für eine Beratung in Hausarztpraxen niedriger ist, erreichen Sozialarbeitende gefährdete Personen frühzeitig. So können medizinische Fachpersonen und Sozialarbeitende die komplexen Bedürfnisse der Hilfesuchenden bzw. der Schutzbedürftigen interdisziplinär bearbeiten und Massnahmen aufeinander abstimmen.

Gesetzlicher Auftrag und Rolle des Erwachsenenschutzes

Der Erwachsenenschutz bezweckt, das Wohl und den Schutz hilfsbedürftiger Personen sicherzustellen und deren Selbstbestimmung zu erhalten und fördern. Ziel einer Erwachsenenschutzmassnahme ist die Linderung oder mindestens die Stabilisierung des Schwächezustandes betreffender Personen. Nach Eingang einer Selbst- oder Gefährdungsmeldung eröffnet die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB das Abklärungsverfahren und erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen. Im Verfahren wird geprüft, ob ein Schwächezustand gegeben ist und welche Hilfs- und Schutzbedürftigkeit daraus erwächst.

Eine Erwachsenenschutzmassnahme wird dann angeordnet, wenn die Unterstützung durch die Familie, nahestehende Personen, private oder öffentliche Dienste als nicht ausreichend oder ungenügend erachtet wird. Falls subsidiäre unterstützende Massnahmen nicht helfen, bestimmt die KESB eine Beistandsperson und definiert entsprechende Aufgabenbereiche wie Personen- und Vermögenssorge oder Vertretung im Rechtsverkehr. Hier steht der Erwachsenenschutz in einem Spannungsfeld: Einerseits erhält die schutzbedürftige Person mit den behördlichen Erwachsenenschutzmassnahmen die nötige Unterstützung und Schutz. Anderseits wird die Unterstützung, wenn nötig gegen den Willen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person erbracht.

Setting und Rolle der Sozialarbeitenden

Was bedeutet dieser rechtliche Hintergrund in der Hausarztpraxis? Bei der interdisziplinären Behandlung in der Arztpraxis muss die Rolle der Sozialarbeitenden klar formuliert sein, damit die Zusammenarbeit effektiv von statten geht. Die Wahl des Settings beeinflusst die Niederschwelligkeit, den Beziehungsaufbau, die zu bearbeitenden Aufgaben und die sozialarbeiterischen Interventionen. Es ist dem jeweiligen Auftrag anzupassen und sollte während des Beratungsprozesses variabel ausgestaltet werden.

In Anlehnung an idealtypische Rollen entwickelte ich in meiner Masterarbeit die Rollen der Sozialarbeitenden in der Hausarztpraxis bezüglich des Erwachsenenschutzes. Diese können sich überschneiden und können somit nicht klar voneinander abgegrenzt werden. Auch können Sozialarbeitende mehrere Rollen gleichzeitig innehalten.

Das vorläufige Leistungsangebot

Daraus entwickelte ich einen vorläufigen Leistungskatalog, welcher die Leistungsprodukte, das jeweilige Arbeitsziel und die wichtigsten Tätigkeiten tabellarisch dargestellt. Er beschreibt zunächst das allgemeine Angebot ‹Sozialberatung in der Hausarztpraxis›, bevor er auf die spezifischen Leistungen für den Erwachsenenschutz eingeht. Diese sind unterteilt in Leistungen vor einer behördlichen Massnahme, während der Abklärungsphase, im Rahmen der Anhörung, während und nach einer behördlichen Massnahme. Abschliessend wird das Leistungsangebot ‹Aufträge und Überwachung im Auftrag der KESB› vorgestellt. Der Leistungskatalog widerspiegelt so das grosse Potential und das umfangreiche Leistungsangebot der Sozialen Arbeit in der Hausarztpraxis in Bezug auf den Erwachsenenschutz.

Dank Sozialarbeitenden in der Hausarztpraxis kann das Selbstbestimmungsrecht der Patient*innen gefördert und gesundheitlich-soziale Abwärtsspiralen frühzeitig erkannt werden. Durch entsprechende Unterstützungsangebote können Gefährdungssituationen abgebaut und so eine erwachsenenschutzrechtliche Massnahme verhindert werden. Im Rahmen des Erwachsenenschutzes können Sozialarbeitende von der Gefährdungsmeldung über die Abklärung und das Inkrafttreten einer behördlichen Massnahme bis zur Beendigung der Beistandschaft entscheidende Leistungen erbringen. Nach Beendigung der Massnahme können sie zur weiteren Stabilisierung beitragen.

Durch dieses Leistungsangebot und dem erleichterten Zugang zur KESB können Sozialarbeitende Lücken im Erwachsenenschutz schliessen:

  • Durch unterstützende Hilfeleistungen, die eine behördliche Massnahme gar nicht erst notwendig werden lassen.
  • Zwischen der Gefährdungssituation und dem Inkrafttreten einer Massnahme, wenn der Erwachsenenschutz noch nicht wirksam ist.
  • Bei Aufhebung der Massnahme bis zur vollständigen Selbstständigkeit, wenn der Erwachsenenschutz nicht mehr wirksam ist.

Fazit

Die Soziale Arbeit in der Hausarztpraxis stellt eine Chance mit Herausforderungen und Risiken dar. Meine Masterarbeit belegt, welchen entscheidenden Mehrwert die Soziale Arbeit der medizinischen Grundversorgung bietet. Der in ihr erarbeitete Leistungskatalog verdeutlicht, wie vielfältig die möglichen Leistungen der Sozialen Arbeit in der Hausarztpraxis sind und welchen Beitrag diese für den Erwachsenenschutz leisten können.

 


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