Grenzüberquerungen in der Gesundheitsversorgung

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Weltkarte aus Passstempel

Migrationsbewegungen sind fester Bestandteil der globalisierten Welt – auch im Schweizer Gesundheitswesen. Gesundheitsfachpersonen sowie Patientinnen und Patienten überqueren die Grenzen in beide Richtungen.

Migration vollzieht sich in unterschiedlichsten Formen und aus verschiedenen Gründen. Migrierende Menschen bewegen sich dabei stets in Macht-Asymmetrien und sind mit Fremdheitserfahrungen konfrontiert – gerade auch in Arbeitsverhältnissen und Dienstleistungsbeziehungen. Erfahrungen von Fremdheit entstehen allein schon durch die Unkenntnis der gesellschaftlichen Systeme und den daraus oft resultierenden Irritationen in sozialen Interaktionen. Wie die vier folgenden Schlaglichter aufzeigen, prägen diese Migrationserfahrungen auch Menschen im Gesundheitsbereich.

Humanitäre Einsätze – Fachpersonen, die gehen

Wenn Schweizer Gesundheitsfachpersonen migrieren, dann oft in Form von zeitlich befristeten Aufenthalten im Ausland. Sie leisten humanitäre Einsätze in Kriegsgebieten, bei Seuchenausbrüchen oder entlang von Fluchtrouten. Diese temporären Migrationsformen sind durch ihre institutionelle Einbettung – in der Regel in NGOs – bis zu einem gewissen Grad abgesichert. Dennoch führen solche Arbeitseinsätze häufig zu erheblichen Verunsicherungen. Sie sind meist moralisch motiviert: man will Gutes tun, menschliches Leid lindern, den Schutzlosen helfen. Da es sich dabei aber stets um eine hoch politische Aktivität handelt, die spürbar in asymmetrische Machtverhältnisse eingebunden ist, gehen mit ihr oft auch zwiespältige Erfahrungen einher.

Fachkräftemangel und globaler Markt – einwanderndes Gesundheitspersonal

Langfristiger planen Gesundheitsfachpersonen, die als qualifizierte Arbeitsmigrantinnen und -migranten in die Schweiz kommen. Diese Form der Grenzüberquerung hat deutlich grössere Ausmasse, ist doch beim Fachkräftemangel im Gesundheitswesen das Ausweichen auf internationale Arbeitsmärkte eine bewährte Strategie. Dabei vermitteln häufig Agenturen zwischen der Nachfrage in der Schweiz und den Angebotsmärkten in anderen Teilen der Welt – für die Schweiz vor allem in Osteuropa und Asien. Die Schweiz lagert damit aber auch Ausbildungskosten aus und baut auf Fachkräfte, die andernorts fehlen.

Gut dokumentiert sind beispielsweise die Philippinen, die sich darauf spezialisiert haben, Pflegefachkräfte für den globalen Markt auszubilden und zu vermitteln. Dies ist durchaus im Sinne der philippinischen Regierung, da finanzielle Rücksendungen emigrierter Landsleute an ihre Familien schlussendlich die Staatskasse füllen. Gleichzeitig reguliert der Staat jedoch auch diese Migrationsbewegungen, um eine spätere Rückkehr der Fachkräfte zu fördern. Damit soll dem «Care Drain» im eigenen Land entgegengewirkt werden.

Eine gute Pflegeausbildung schützt aber nicht vor migrationsbedingten Fremdheitserfahrungen. Trotz hoher beruflicher Qualifikation sind immigrierende Gesundheitsfachpersonen im Schweizer Arbeitsalltag mit Systemunkenntnis und stereotypisierenden Zuschreibungen konfrontiert.

Gesundheitstourismus und transnationale Langzeitversorgung – mobile Patientengruppen

Nicht nur das Gesundheitspersonal bewegt sich über Grenzen hinweg, auch Patientinnen und Patienten tun es, um sich im Ausland versorgen zu lassen. So ist bei kurzfristigen, planbaren Behandlungen eine weltweite Zunahme von Grenzüberquerungen feststellbar. Gründe sind bessere Qualität, tiefere Kosten oder kürzere Wartezeiten. Eine wichtige Rolle spielt auch die Suche nach im eigenen Land tabuisierten oder gesetzlich nicht erlaubten Behandlungen. Schönheitsoperationen oder die Reproduktionsmedizin sind Beispiele dafür. Während sich die EU der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung bereits angenommen hat, nutzen Schweizerinnen und Schweizer diese ohne entsprechenden Rechtsrahmen und auf eigene Kosten.

Asien punktet im globalen Gesundheitsmarkt durch biomedizinische, aber auch durch traditionelle Gesundheitsangebote. In der Langzeitpflege im Alter lassen sich ähnliche Tendenzen beobachten. Bekanntes Beispiel ist Thailand, wo sowohl wellness- und lifestyle-orientierte Betreuungsformen als auch spezialisierte Betreuungsangebote im Demenzbereich für Schweizer Kundschaft angeboten werden.

Systemkenntnis und Chancengleichheit als Herausforderung  – Migrierte als Patientenschaft

Was das Schweizer Gesundheitswesen jedoch am meisten beschäftigt, sind Migrantinnen und Migranten, die in der Schweiz leben und Versorgung brauchen. Fehlende Systemkenntnisse erschweren ihnen oft den Zugang zum Gesundheitswesen. Und in der Interaktion mit dem Gesundheitspersonal kann das Fehlen einer gemeinsamen Sprache – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – zu Irritationen auf beiden Seiten führen, was eine adäquate Gesundheitsversorgung herausfordernder und aufwändiger macht.

Da Chancengleichheit im Schweizer Gesundheitssystem eine Leitgrösse darstellt, muss hier gehandelt werden. Zentrale Strategien sind die Förderung von Gesundheitskompetenz bei Migrantinnen und Migranten sowie der Abbau von Zugangshürden im Gesundheitssystem. Ein weiterer Lösungsansatz ist die Befähigung von Gesundheitsfachpersonen, mit Irritationen besser umzugehen und Interaktionen zugunsten der Patientinnen und Patienten zu lenken. Hier ist transkulturelle Kompetenz ein entscheidender Baustein. Genauso wichtig sind aber auch Diversitätskompetenz, eine konsequente Personenorientierung und die Bereitschaft, in gegenseitiges Verstehen und gemeinsames Aushandeln zu investieren.

 


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