Gender in der Offenen Jugendarbeit

Jugendliche halten Fotos von sich in die Kamera

Foto: istock.com/filadendron

Geschlecht ist noch immer ein sozialer Platzanweiser und stellt Jugendliche vor die Herausforderung, ihre eigene Identität auf der Suche nach Zugehörigkeit und Anerkennung zu entwickeln. Ein ethnographisches Forschungs- und Weiterbildungsprojekt untersucht zusammen mit Fachpersonen der Offenen Jugendarbeit wie sich Geschlecht in deren Praxis zeigt und wie Handlungsalternativen etabliert werden können.

Wie können einengende Geschlechterbilder und -zuweisungen nachhaltig überwunden und neue Denk- und Handlungsräume geöffnet werden? Diesen Fragen geht das Projekt «Genderreflektierende Offene Jugendarbeit» nach, das in Kooperation mit dem Dachverband für Offene Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz (DOJ) durchgeführt und von der Stiftung Mercator Schweiz finanziert wird. Ziel ist es, die Themen Gender, Queer und Intersektionalität mehr in der Offenen Jugendarbeit zu verankern und damit einen Beitrag zur Chancengleichheit und Vielfalt von Geschlechtern und Zugehörigkeiten zu leisten.

Das innovative Forschungs- und Weiterbildungsprojekt stellt die partizipative Wissensproduktion ins Zentrum. Seit Februar 2019 erforschen mehr als 20 Jugendarbeiter*innen aus der Deutschschweiz und ein fünfköpfiges Team von BFH und DOJ gemeinsam, wie sich Geschlecht in Settings der Offenen Jugendarbeit zeigt: Wie wird Geschlecht inszeniert? Wann wird es explizit zum Thema gemacht? Wie wird Geschlecht mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit wie Ethnizität, Klasse, Religion oder sexuelle Orientierung verschränkt? Welchen Rahmen bietet die Offene Jugendarbeit, Geschlecht auf andere Weise zu gestalten? Und wo reproduziert oder verfestigt sie unbewusst Stereotype?

Jugendliche konstruieren sich und ihr Geschlecht

Um diese Fragen zu beantworten, nutzt das Projekt ethnographische Methoden: in Tandems beobachten die Jugendarbeiter*innen ihre alltägliche Praxis, interpretieren sie gemeinsam mit den Forscher*innen und erarbeiten Handlungsalternativen.

Pädagogisches Dreieck

Nach der ersten Beobachtungs- und Analysephase wurde deutlich, dass pädagogisches Handeln in seiner Gesamtheit es ermöglicht oder erschwert, Gender explizit zu thematisieren oder es auf andere Weise zu leben. Entscheidend ist dabei das Zusammenwirken der Kultur des Raumes (Lage, Ausstattung, Niederschwelligkeit, Dominanz einer Gruppe, geschlechtsspezifische Konnotationen der Raumgestaltung etc.), der pädagogischen Interventionen und der Beziehungsgestaltung zu Einzelnen, Gruppen sowie innerhalb des Teams.

Offene Jugendarbeit erweist sich als genderintensiver Ort, an dem Jugendliche sich an den gesellschaftlichen Anforderungen an Weiblichkeit respektive Männlichkeit orientieren und sich dementsprechend selbst darstellen. Für die Jugendlichen kann es aber auch eine befreiende Entlastung darstellen, auf diese vergeschlechtlichten Inszenierungen zu verzichten respektive die Vielfalt von Geschlechterrollen zu entdecken und auszuprobieren. Einige Jugendarbeiter*innen thematisieren Geschlecht und Zugehörigkeiten bewusst und intervenieren entsprechend. So kann beispielsweise das Aufhängen einer Regenbogenfahne für die Diskussion über Sexualität und Geschlechterrollen genutzt werden. In der Praxis zeigt sich, dass Fachpersonen vor allem auf Diskriminierungserfahrungen von Mädchen aktiv reagieren und intervenieren. Das Angebot zur Reflexion und Rollenerweiterung ist für männliche Jugendliche deutlich weniger ausgeprägt.

Interventionen zeigen Wirkung

Je stärker die Fachkräfte präsent sind, desto seltener verhalten sich Jugendliche gemäss dominanter Geschlechterstereotypen und desto häufiger wird Geschlecht von ihnen kritisch thematisiert. Ruhigere Situationen in Kleingruppen können darüber hinaus Handlungsspielräume erweitern: insbesondere Mädchen werden in geschlechtsuntypischem Handeln bestärkt und erfahren Verständnis für geschlechtsspezifische Diskriminierungserfahrungen. Bei Knaben wurde dies lediglich in Situationen beobachtet, in denen sie alleine mit Jugendarbeitenden interagierten. Hier können sie genderuntypisches Verhalten erproben und werden dafür – im Unterschied zur Peer-Gruppe – anerkannt. Dementsprechend spielen gerade für Jungen Fachkräfte eine zentrale Rolle.

Hohe Präsenz, Strukturierung und intensive Arbeit mit Kleingruppen stehen allerdings in gewissem Widerspruch zum Prinzip der Selbstgestaltung in der Offenen Jugendarbeit. Insbesondere im Hinblick auf pädagogische Interventionen – wie zum Beispiel Partizipation ermöglichen, Denkanstösse geben oder Aktivitäten initiieren – zeigt sich daher zum Teil eine deutliche Zurückhaltung der Jugendarbeiter*innen. Die Herausforderung besteht darin, den Jugendlichen den Treffpunkt als erweiterten Möglichkeitsraum zur Verfügung zu stellen und zugleich darauf zu achten, dass damit nicht herkömmliche Stereotypisierungen verfestigt werden.

Ausgehend von diesen ersten Ergebnissen werden in der zweiten Phase des Projekts unter Einbezug der Jugendlichen Handlungsalternativen erarbeitet, durchgeführt und wiederum in Tandems beobachtet – und so das Wissen über Gender in der Offenen Jugendarbeit sukzessive weiterentwickelt.

 

CAS Genderreflektierende Soziale Arbeit mit Jugendlichen

Die Ergebnisse des Forschungsprojektes werden im CAS Genderreflektierende Soziale Arbeit mit Jugendlichen weiterentwickelt. Die Weiterbildung befähigt Sie, in der Jugendarbeit in Genderfragen angemessen zu handeln und den daraus erwachsenen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen.

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