Flüchtlinge packen in der Landwirtschaft an

Von und 0 Kommentare
Junger schwarzer Mann im Gemüsebeet

Foto: istock.com/Tassii

Wie gelingt eine erfolgreiche Arbeitsintegration von Flüchtlingen in die Schweizer Landwirtschaft? Dies testete das Pilotprojekt «Arbeiten in der Landwirtschaft» des Staatsekretariats für Migration und des Schweizer Bauernverbands. Die Evaluation der Berner Fachhochschule zeigt, dass ein Grossteil der Teilnehmenden dank ihres Arbeitseinsatzes auf dem Arbeitsmarkt Fuss fassen konnte.

In der Schweiz leben über 90’000 anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene. Je nach Aufenthaltsstatus und -dauer sind zwischen 50 bis 80% dieser Personen drei bis zehn Jahre nach dem Asylentscheid noch nicht im Arbeitsmarkt integriert und viele von ihnen ganz oder teilweise von der Sozialhilfe abhängig. Gleichzeitig ist die Schweiz infolge der Masseneinwanderungsinitiative bestrebt, das Potenzial an inländischen Arbeitskräften – zu denen Flüchtlinge gehören – besser auszuschöpfen. Verschiedenen Branchen bemühen sich daher Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Dieses Ziel verfolgte auch der Schweizer Bauernverband SBV und das Staatssekretariat für Migration SEM mit dem Pilotprojekt «Arbeiten in der Landwirtschaft». Insgesamt 30 Flüchtlinge leisteten zwischen 2015 und 2018 einen Arbeitseinsatz auf einem der 17 Pilotbetriebe. Mit Ausnahme der ersten zwei Monate erhielten sie für ihre Mitarbeit den branchenüblichen Lohn von durchschnittlich 3200 Franken. 24 Teilnehmende beendeten ihren drei- bis zwölfmonatigen Einsatz, sechs Personen brachen ihn aus diversen Gründen ab.

Erlernte Kompetenzen führen zu beruflichen Anschlusslösungen

Die Evaluation des Pilotprojekts zeigt, dass die Mehrheit der Betriebsleitenden und praktisch alle Teilnehmenden mit den Einsätzen äusserst zufrieden waren. Dies führte dazu, dass die Betriebsleitenden in 14 Fällen den Teilnehmenden eine Stelle auf dem Betrieb anboten. Die Mehrheit der Teilnehmenden möchte auch weiterhin in der Landwirtschaft tätig sein und kann sich teilweise auch eine entsprechende Ausbildung vorstellen. Dies ist gerade in Anbetracht der im Kanton Bern lancierten Vorlehren für Flüchtlinge in der Landwirtschaft eine wichtige Erkenntnis. Ein Wermutstropfen ist jedoch, dass vier Teilnehmende die angebotene Stelle ablehnten. Die Gründe dafür waren die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft (Arbeitsbelastung, Arbeitsstunden, Lohn) oder die geographische Lage der Betriebe.

Eine wichtige Wirkung des Projektes sind die Lernfortschritte der Teilnehmenden: Diese betreffen berufsspezifische und praktische Arbeitserfahrungen, Teamarbeit, Zuverlässigkeit, Selbständigkeit, neuen Umgangsformen sowie interkulturelles Verständnis. Dass diese Kompetenzen nicht nur in der Landwirtschaft nützlich sind, zeigt sich in der Erwerbsquote der Teilnehmenden nach dem Einsatz: 17 Personen – das entspricht 71% der Teilnehmenden – fanden nach dem Arbeitseinsatz eine berufliche Anschlusslösung, davon sieben ausserhalb der Landwirtschaft. Im Vergleich zur durchschnittlichen Erwerbsquote von 18 bis 51% bei Flüchtlingen in vergleichbaren Situationen ist das Projektresultat somit als sehr positiv einzustufen.

Bessere Vermittlungsquote dank vorangehender Potentialabklärung

Die Evaluation zeigt aber auch die Schwächen des Pilotprojektes auf, wie zum Beispiel die geringe Vermittlungsquote. So konnten nur 30 der insgesamt 45 zur Verfügung gestellten Einsatzplätze besetzt werden. Daher sollten künftige Projekte auf kantonaler, regionaler oder kommunaler Ebene organisiert und durchgeführt werden, da dadurch eine bessere Passung zwischen Flüchtlingen und Betrieben erreicht werden kann. Zusätzlich könnte durch eine vorangehende Potenzialabklärung das «Job-Matching» verbessert werden, da dadurch die bisherigen beruflichen Erfahrungen der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen sowie ihre Fähigkeiten und Interessen besser berücksichtigt würden.

Aufgrund der Evaluation können für die zukünftige Arbeitsintegration von Flüchtlingen in der Landwirtschaft zwei Pfade skizziert werden:

  1. Strukturierte Praktika mit Ausbildungscharakter und entsprechend geringerer Entlöhnung, um interessierte Flüchtlinge auf eine spätere Anstellung in der Landwirtschaft vorzubereiten und ihnen die notwendigen praktischen Kompetenzen zu vermitteln. Die Ausbildungsmodule sollten das Kennenlernen der Schweizer Kultur, berufsbezogenen Sprachunterricht, theoretisches und praktisches Berufswissen, aber auch interkulturelle Aspekte beinhalten. Im Rahmen der Praktika sollten zudem die Betriebsleitenden für die spezifische Situation von Flüchtlingen sensibilisiert werden, da sie sich der oftmals traumatischen Erlebnisse der Flüchtlinge nicht bewusst sind und deren psychische und physische Auswirkungen meist unterschätzen.
  2. Vermittlung von regulären Arbeitsstellen mit branchenüblichen Löhnen an Flüchtlinge, die an der Landwirtschaft interessiert sind und bereits entsprechende Kompetenzen erworben haben. Dies könnte durch kantonale oder kommunale Verwaltungen sowie Landwirtschaftsverbände erbracht werden.

Diese Trennung in zwei unterschiedliche, auf Erwerbstätigkeit und Ausbildung ausgerichtete Angebote könnte der beruflichen Integration der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen in der Landwirtschaft zu einem noch breiteren Erfolg verhelfen.

Flüchtlinge in der Landwirtschaft

Film des Staatssekretariats für Migration SEM

 

Praktika in der Landwirtschaft

In den Kantonen Wallis, Zug und Luzern existieren Projekte zur Arbeitsintegration in die Landwirtschaft mit Praktikums- oder Ausbildungscharakter. Weitere Informationen und Kontaktpersonen finden Sie im Factsheet des Staatssekretariats für Migration.

Im Kanton Bern startete dieses Jahr zudem das vierjährige Pilotprojekt Vorlehre Integration, das unter anderem Vorlehrstellen in der Landwirtschaft anbietet.

 


Kontakt:

 

Projekte und Partner:

 

Artikel und Berichte:

 

Literatur und weiterführende Links:

Beitrag teilen
0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.