Flexible und vernetzte Erziehungshilfen: Wie weiter?

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Seit Anfang dieses Jahres sind die Erziehungshilfen im Kanton Bern neu und einheitlicher geregelt. Für Organisationen, die flexible und im Sozialraum vernetzte Leistungen erbringen, bedeuten diese Veränderungen eine Herausforderung. Ein Forschungsprojekt der BFH untersucht, wie diese Organisationen mit den bestehenden Spannungsfeldern umgehen.

Kindesschutz ist dynamisch und anspruchsvoll. Massnahmen und Leistungen der Erziehungshilfe sollen möglichst kooperativ und dem Bedarf der betroffenen Familien entsprechend gestaltet werden. Durch eine Stärkung der Ressourcen der Familien und ihres Umfelds erübrigen sich im besten Fall weitergehende staatliche Interventionen. Mit dieser Grundhaltung arbeiten Organisationen, die im Sozialraum vernetzte und flexible – ambulante und stationäre – sozialpädagogische Leistungen erbringen. Dadurch können sozialraumorientierte Organisationen (SRO) im direkten Umfeld ihrer Klientel innovative und massgeschneiderte Angebote entwickeln. Sie sehen sich im Kanton Bern nun jedoch mit grösseren Veränderungen ihrer rechtlichen Rahmenbedingungen konfrontiert.

Herausforderungen durch neue gesetzliche Regelung

Per 1. Januar 2022 ist im Kanton Bern das neue Gesetz über die Leistungen für Kinder mit besonderem Förder- und Schutzbedarf (KFSG) in Kraft getreten. Damit werden die Steuerung, Finanzierung und Aufsicht über sozialpädagogische Leistungen einheitlich geregelt. Die rechtlichen Vorgaben stehen dabei in einem Spannungsverhältnis zur Arbeitsweise der SRO:

  • Die Angebote der Erziehungshilfen werden neu in einem Leistungskatalog definiert. Durch die vorgegebenen Kategorien sehen sich die SRO in der flexiblen, auf den jeweiligen Bedarf angepassten Ausgestaltung ihrer Leistungen eingeschränkt.
  • Die Finanzierung der Leistungen ist neu durch eine subjektbezogene Abgeltung normiert. Abgegolten wird eine im Einzelfall fachlich indizierte Leistung. Damit entfällt für die SRO die bisher mögliche Finanzierung von fallunspezifischer Vernetzungsarbeit im Sozialraum.
  • Die Zuständigkeit für die Steuerung der besonderen Förder- und Schutzleistungen wird vereinheitlicht. Mit der Zuordnung zu einer Direktion erfolgt zugleich eine Spezialisierung. Das KFSG ist jedoch auf die «Spitze der Pyramide» der Kinder- und Jugendhilfe beschränkt; präventive Leistungsangebote bleiben anderweitig geregelt. Dieser Differenzierung steht das ganzheitliche, Intervention wie auch Prävention umfassende Verständnis der SRO gegenüber.

Die Materialien zum KFSG und das Kantonale Jugendamt als zuständige Verwaltungsbehörde weisen allerdings darauf hin, dass eine flexible Leistungserbringung auch unter den neuen gesetzlichen Regelungen möglich und die Vernetzung unter den Akteuren wichtig ist.

Strategien der sozialraumorientierten Organisationen

Eine Studie befragte die Leitungspersonen der vier SRO im Kanton Bern, wie sie sich auf die neuen Regelungen einstellen und welche Möglichkeiten sie zur Weiterführung ihres bisheriges Erfolgsmodells sehen. Dabei wurde deutlich, dass sich die SRO in Spannungsfeldern unterschiedlicher Verpflichtungen befinden: gegenüber den rechtlichen Vorgaben, gegenüber ihren professionellen Werten und – damit eng verknüpft – ihrer Klientel, sowie ökonomisch gegenüber den Anforderungen des Marktes und der Leistungsbesteller. Um ihre flexiblen und vernetzten Leistungen weiterführen zu können, versuchen die SRO insbesondere,

  • bestehende rechtliche Handlungsspielräume extensiv und kreativ zu nutzen – z.B. indem sie die Angebotskategorie «Sozialpädagogische Familienbegleitung» für eine innovative Leistungsausgestaltung verwenden.
  • die Bedürfnisse der Klientel aktiv gegenüber dem Kanton zu kommunizieren – z.B. indem sie in Leistungsverhandlungen argumentieren, wie ihr Vorgehen dem Kindeswohl dient.
  • mit den Leistungsbestellern – namentlich den Sozialdiensten und den KESB – spezifische Arrangements zu finden – z.B. indem sie kooperativ die Leistungsausgestaltung definieren und diese einer Kategorie zuordnen.
  • für präventive Angebote neue Kooperationen ausserhalb des KFSG einzugehen – z.B. indem sie fallunspezifische Leistungen im Bereich Schule anbieten.

Wo die Finanzierung nicht mehr gewährleistet werden kann, sehen sich die SRO notfalls gezwungen, ihre Leistungsangebote einzuschränken. Entsprechend ihrer klientelorientierten Haltung wollen sie jedoch einen Abbau an Qualität ihrer Arbeit für die Betroffenen möglichst verhindern. Wird ihnen dies gelingen?

Umsetzung und weitere Entwicklung

Die Umsetzung des neuen Rechts steht noch am Anfang. Die Organisationen der Erziehungshilfe und die steuernden Behörden befinden sich dabei gemeinsam in einem laufenden Klärungs- und Entwicklungsprozess. Für die SRO ist dieser Prozess – und ein konstruktiver Umgang mit den bestehenden Spannungsfeldern – Herausforderung und Chance zugleich: Sie müssen einerseits die nötigen Anpassungen an die veränderten Rahmenbedingungen vornehmen, andererseits können sie ihre Erfahrungen und Expertise für die weitere Verwirklichung flexibler und vernetzter Erziehungshilfen einbringen. Die künftige Entwicklung der Praxis ist somit in jeder Hinsicht spannend – und soll daher auch im Rahmen weiterer begleitender Forschung evaluiert werden.

 


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