In den letzten zwei Jahrzehnten spitzte sich der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen stetig zu. Aufgrund demografischer Veränderungen und gesellschaftlichem Wandel wird dieser auch in den kommenden Jahren nicht abnehmen. Das Competence Network Health Workforce führt daher erstmalig eine internationale Konferenz zu diesem dringlichen Thema durch.
Der Fachkräftemangel ist im Gesundheitswesen hochaktuell. Eine kurze Suche in der Forschungsdatenbank Pubmed führt jedoch zur Erkenntnis, dass sich die Wissenschaft lange nur punktuell damit befasste. Seit der Jahrtausendwende scheint dies anders. Die Anzahl der Publikationen zum Phänomen ist seither auf konstant hohem Niveau. Prognosen deuten darauf hin, dass der Zenit noch nicht erreicht sein dürfte. Das Thema ist regelmässig in den Schlagzeilen mit Berichten und neuen Zahlen – erhoben mittels unterschiedlicher methodischer Ansätze.
Ein berufsgruppenübergreifendes, internationales Problem
Ein Blick auf den Spitzenwert im Jahr 1988 zeigt auf: die Publikationen stammen mehrheitlich aus den USA und widmen sich nahezu ausschliesslich dem Fachkräftemangel von Pflegefachpersonal, der dort zu jenem Zeitpunkt äusserst prekär war. Dem gegenüber steht eine weitaus grössere Heterogenität in den Publikationen der letzten Jahre, sowohl in Bezug auf das Ursprungsland als auch auf die untersuchten Berufsgruppen. Das Thema hat sich somit zu einem internationalen Problem ausgeweitet, das sämtliche Gesundheitsberufe betrifft – wobei die Pflege- und Betreuungsberufe weiterhin den grössten Personalmangel aufweisen.
Um den Fachkräftemangel in den Gesundheitsberufen langfristig und wirksam anzugehen, braucht es unterschiedliche, berufsübergreifende Ansätze, die folgende fünf Themenschwerpunkte angehen.
Personalverbleib
Die Attraktivität der Gesundheitsberufe hält sich aufgrund verschiedenster Faktoren in Grenzen – z.B. hohe psychische und körperliche Arbeitsbelastung, Schichtarbeit und fehlende Personalförderung. In der Konsequenz gibt es zu wenig Berufsabschlüsse sowie hohe Fluktuationsraten durch Stellen- bzw. Berufswechsel innerhalb der Gesundheitsberufe. In Zeiten knapper personeller Ressourcen suchen Spitäler, Langzeitpflegeeinrichtungen und ambulante Gesundheitsdienste händeringend nach gut ausgebildetem Gesundheitspersonal.
Karrierelaufbahnen und neue Rollenmodelle
Die Professionalisierung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe bringt eine Neuausrichtung der Kompetenzen mit sich und ermöglicht das Entstehen neuer Rollen – beispielsweise der Advanced-Practice-Rollen. Dies führt nachweislich zu besseren Ergebnissen bei Patientinnen und Patienten. So weisen Studien darauf hin, dass bereits ein höherer Anteil von Pflegefachpersonen mit Bachelor-Abschluss mit einer geringeren Mortalität einher geht. Mit Blick auf den Bedarf in der Schweiz ist die Anzahl der jährlichen Bachelor-Abschlüsse jedoch unzureichend. Somit sind Entwicklungsmöglichkeiten bereits berufstätiger Gesundheitsfachpersonen wichtig für die Verbesserung des Personalverbleibs.
Interprofessionelle Zusammenarbeit
Demografische Veränderungen und gesellschaftlicher Wandel führen zu einem Anstieg an chronisch und mehrfach erkrankten Menschen. Diese benötigen im Umgang mit ihrer Erkrankung meistens Unterstützungen von verschiedenen Gesundheitsfachpersonen. Eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit führt neben besseren Ergebnissen bei Patientinnen und Patienten auch zu einer höheren Arbeitszufriedenheit, was sich wiederum positiv auf den Verbleib im Beruf auswirken kann.
Technologie
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen birgt ein grosses Potential zur Reduktion des administrativen Aufwands beim Gesundheitspersonal sowie zur Optimierung von intra- und interprofessionellen Schnittstellen. So könnte beispielsweise die Personalplanung automatisiert und die individuellen Wünsche der Mitarbeitenden besser beachtet werden. Wenn es um die vierte industrielle Revolution geht hinkt das Schweizer Gesundheitssystem im internationalen Vergleich jedoch hinterher.
Pflegende Angehörige
Mit ihrer immensen Arbeit in der Pflege und Betreuung entlasten pflegende Angehörige das Gesundheitssystem spürbar. Mit der Zunahme des Fachkräftemangels wird sich die Situation für die pflegenden Angehörigen weiter verschärfen. Die Zahl der Personen, die mit pflegebedürftigen Angehörigen im selben Haushalt leben, ist in den letzten Jahren jedoch gesunken. Nicht zuletzt deshalb braucht es flexible und personalisierte Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige.
Erste Internationale Konferenz
«Countering Staff Shortage Among Health Professions – Together for a Healthy Health Care System»
25./26. Oktober 2018 in Bern
Eine Plattform des Competence Network Health Workforce (CNHW) zum wissenschaftlichen Austausch im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekts «Strategie gegen den Fachkräftemangel in den Gesundheitsberufen».
Mit Keynotes von Ann Gallagher (University of Surrey), Anne Marie Rafferty (King’s College London), Mélanie Lavoie-Tremblay (McGill University), Michael Simon (Universität Basel) und Ursula Walkenhorst (Universität Osnabrück)
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Literatur und weiterführende Links:
- Bannwart, Livia; Dubach, Philipp (2016): Statistische Auswertungen zur Anzahl Angehöriger, die Betreuungs- und Pflegeleistungen erbringen, Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS, Bern
- Camunas, Caroline; Gittins Johnston, Joan; Mallard, Catherine; Vecchione, Elisabeth (1988): Answer to Nursing Shortage is More Nurses, The New York Times
- Fachkräftemangel-Index Schweiz der Adecco Group Schweiz und der Universität Zürich
- Gordon, Randolph; Perlman, Marc; Shukla, Maulesh (2017): The hospital of the future –How digital technologies can change hospitals globally, Deloitte Center for Health Solutions, New York
- Lobsiger, Michael; Kägi, Wolfram (2016): Analyse der Strukturerhebung und Berechnung von Knappheitsindikatoren zum Gesundheitspersonal, Obsan Dossier 53, Neuchâtel
- Kagermann, Henning; Lukas, Wolf-Dieter (2011): Industrie 4.0: Mit dem Internet der Dinge auf dem Weg zur 4. industriellen Revolution, vdi-nachrichten.com
- Künzi, Kilian; Jäggi, Jolanda; Dutoit, Laure (2013) Aktueller Stand der schweizerischen Diskussion über den Einbezug von hoch ausgebildeten nichtärztlichen Berufsleuten in der medizinischen Grundversorgung, Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS, Bern
- Merçay, Clémence; Burla, Laila; Widmer, Marcel (2016): Gesundheitspersonal in der Schweiz – Bestandesaufnahme und Prognosen bis 2030, Obsan Bericht 71, Neuchâtel
- Muschick, Ingo; Langer, Dominik; Wicht, Andreas; Madhour, Yassir (2015): Hinken Schweizer Spitäler der digitalen Transformation hinterher?, clinicum 4-15, pp 84-87
- Newhouse, Robin P.; Stanik-Hutt, Julie; White, Kathleen M.; Johantgen, Meg; Bass, Eric B.; Zangaro, George; Wilson, Renee F.; Fountain, Lily; Steinwachs, Donald M.; Heindel, Lou; Weiner, Jonathan P. (2011): Advanced Practice Nurse Outcomes 1990-2008: A Systematic Review, Nursing Economics, Vol. 29, No. 5
- Pauly, Bernadette; Varcoe, Colleen; Storch, Janet, Newton, Lorelei (2009): Registered Nurses’ Perceptions of Moral Distress and Ethical Climate, Nursing Ethics, Vol 16, Issue 5, pp. 561-573
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- Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung SKBF (2018): Bildungsbericht Schweiz, Aarau
- Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (Hrsg.) (2015). Gesundheit in der Schweiz – Fokus chronische Erkrankungen. Nationaler Gesundheitsbericht 2015. Bern: Hogrefe Verlag
- World Health Organization WHO (2013): Global health workforce shortage to reach 12.9 million in coming decades, Geneva
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