Elternbildung – ein gesellschaftliches Tabu?

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Die Situation von Eltern und Familien wird immer komplexer. Umso wichtiger ist es, dass Eltern sich mit ihrem Elternsein reflexiv auseinandersetzen. Welches sind die Bedürfnisse von Eltern und Anforderungen, die sie bewältigen müssen? Die BFH hat dies im Auftrag von Elternbildung CH untersucht und fragt, wie die Erkenntnisse auf andere Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit übertragbar sind.

Viele Mütter und Väter fühlen sich aufgrund von vielfältigen Anforderungen in Familie und Beruf stark ausgelastet. Aufgrund der sich ständig verändernden Anforderungen je nach Phase der Kindesentwicklung sind sie in Erziehungsfragen oft verunsichert. Deshalb ist Elternbildung als Weiterbildung für Mütter und Väter zu verstehen. Sie unterstützt und fördert Erziehungskompetenzen und stellt damit einen Teilbereich der Erwachsenenbildung dar. Ergänzend zur Elternberatung bietet sie eine breite Palette an nicht formalen Angeboten wie Kursen, Elterngruppen oder Podcasts an. Eine zentrale Herausforderung der Elternbildung besteht darin, Mütter und Väter unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft zu erreichen.

Die BFH führte im Auftrag des Dach- und Fachverbandes Elternbildung CH eine Innovationsstudie durch, bei der zum einen ein Peer-to-Peer-Ansatz im Rahmen von innovativen Elterntreffen erprobt wurde. Im Peer-to-Peer- Ansatz unterstützen sich die Eltern gegenseitig und greifen dabei auf ihr Wissen und ihre Erfahrungen zurück. In der Untersuchung wurden zum anderen Bedürfnisse und Erwartungen von Eltern aus allen Landesteilen in Workshops explorativ und partizipativ erkundet. Daraus wurden folgende acht Empfehlungen zur Elternbildung formuliert:

  1. Multiplikator*innen zur besseren Bekanntmachung von Elternbildungsangeboten
    Bestehende Informationsplattformen und Elternbildungsangebote sind nicht allen Eltern bekannt. Multiplikator*innen sollten deshalb gezielter genutzt werden, um Eltern auf geeignete Elternbildungsangebote hinzuweisen.
  2. Niederschwelliger Zugang zu Fachpersonen im Alltag fördern
    Viele Eltern stehen im Alltag mit Fachpersonen wie Kinderpädagog*innen in Kontakt und möchten anstehende Fragen möglichst zeitnah besprechen. Deshalb sollten niederschwellige Austauschmöglichkeiten mit Fachpersonen auf der Grundlage von fachlichen Konzepten weiter ausgebaut werden.
  3. Ausbau von digitalen Elternbildungsangeboten
    Digitale Angebote haben vielfältige Vorteile: sie sind orts- sowie teilweise zeitunabhängig und ermöglichen eine diskrete Inanspruchnahme. Deshalb sollten digitale Elternbildungsangebote als Ergänzung zu klassischen Elternbildungsangeboten weiter ausgebaut und bekannt gemacht werden. Aufgrund dieser neuen Angebotsformen werden auch die Lehr-Lernbeziehungen und das Rollenverständnis der Elternbildner*innen neu geklärt und definiert.
  4. Schulung und Einsatz von Peer-Edukator*innen
    Im Bereich der Elternbildung sollten vermehrt geschulte Peer-Edukator*innen eingesetzt werden, die ihr Wissen an andere Eltern aus ihrem Umfeld weitergeben. Dies bietet die Chance, durch ein niederschwelliges Angebot mehr Eltern – insbesondere Eltern mit Migrationshintergrund – besser zu erreichen und alltagsnahe Lern- und Entwicklungsprozesse in Gang zu setzen.
  5. Ausbau von Peer-to-Peer Angeboten
    Im Rahmen der Studie haben sich Elterntreffen bewährt, bei denen sich eine Gruppe von Eltern selbstgesteuert sechsmal online traf. Es ist vielversprechend, das Konzept der Peer-Edukation breiter einzusetzen und in anderen Settings zu erproben und bei Bedarf weiterzuentwickeln.
  6. Weiterführen von gezielten Bemühungen, um Väter besser zu erreichen
    Obwohl Väter in den Erziehungsalltag eingebunden sind, nutzen sie Elternbildungsangebote noch immer seltener als Mütter. Väter sollten deshalb, beispielsweise durch Öffentlichkeitsarbeit und Multiplikator*innen, gezielt angesprochen werden.
  7. Entstigmatisierung der Nutzung von Elternbildungsangeboten
    Ein Teil der Eltern verzichtet aus Scham- und Versagensgefühlen auf die Nutzung von Elternbildungsangeboten. Die Hemmschwelle zur Nutzung kann zum Beispiel durch Öffentlichkeitsarbeit gesenkt werden.
  8. Bessere Vernetzung von Angeboten für Familien
    Elternbildung sollte im Gesamtkontext von anderen Angeboten für Familien betrachtet werden. Es ist wünschenswert, dass Angebote für Familien auf regionaler Ebene besser untereinander vernetzt werden und mögliches Konkurrenzdenken abgelegt wird.

Elternbildung und Soziale Arbeit

Elternarbeit kann von der Sozialen Arbeit stärker anerkannt werden und sollte in Interventionen und Massnahmen mitgedacht werden. So können die aufgeführten Empfehlungen auf die Themenfelder häusliche Gewalt, Kindesschutz, psychische Gesundheit oder Migration übertragen werden, denn auch in diesen Bereichen gibt es schwer erreichbare Personengruppen, deren Situation mit Scham oder Stigmata verbunden ist. Auch sind Vernetzung und Niederschwelligkeit anschlussfähig an Konzepte der Lebensweltorientierung oder des Sozialraums. So zeigt es sich, dass Niederschwelligkeit und Multiplikator*innen nötig sind, um psychisch herausgeforderte Personen mit Migrations- und Fluchthintergrund zu erreichen.

Peer-to-Peer-Ansätze werden in Projekten und Weiterbildungen zur Armutsbekämpfung und -prävention des Bundes mittels der Armutsstrategie 2019-2024 ebenfalls vermehrt eingesetzt. Betroffene Personen werden gezielt angesprochen; sie können ihre Kompetenzen erweitern und als Erfahrungsexpert*innen bei Massnahmen und Projekten im Bereich der Armutspolitik mitwirken.

Es gibt zahlreiche vielversprechende Konzepte und Ansätze in der Präventions- und Interventionsarbeit. Es gilt, diese nun sowohl auf politischer als auch gesellschaftlicher Ebene voranzutreiben und zu stärken.

 

Eine ausführliche Fassung dieses Artikels finden Sie in der aktuellen impuls-Ausgabe


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