Trotz der jahrelangen Diskussion über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie herrschen in der Arbeitswelt noch immer traditionelle Karrieremodelle vor, die vom kontinuierlichen Aufstieg in einer Vollzeitbeschäftigung ausgehen. Doch langsam fassen auch in Europa flexiblere Modelle Fuss.
Die Organisationskultur in vielen Unternehmen ist von Natur aus widersprüchlich: Sie erwartet von ihren Mitarbeitenden anspruchsvolle Arbeiten mit hoher Präsenz und bietet ihnen gleichzeitig Flexibilität, wie Teilzeit oder Homeoffice an. Deren Nutzung ist wegen den ansonsten traditionellen Karrieremodellen jedoch mit Karriereeinbussen verbunden. Dies führt zu Unzufriedenheit und daraus folgend zu hoher Fluktuation. Das in einem amerikanischen Dienstleistungsunternehmen entwickelte Modell der individuell angepassten Karriereplanung Mass Career Customization (MCC) versucht diese Effekte zu mindern. Es ermöglicht den Mitarbeitenden, ihre Karriereentwicklung an den sich verändernden Bedürfnissen verschiedener Lebensphasen anzupassen. Die Berner Fachhochschule BFH evaluierte das Instrument in einem niederländischen Beratungsunternehmen, das MCC im Jahr 2009 eingeführt hat.
Wie funktioniert die individuell angepasste Karriereplanung?
MCC geht davon aus, dass der kontinuierliche Karriereaufstieg in einer Vollzeitbeschäftigung vielen Mitarbeitenden aufgrund ihrer Familiensituation – etwa Alleinerziehenden oder Paaren mit gleichwertiger Arbeitsaufteilung – nicht entspricht. Deshalb bietet MCC den Mitarbeitenden eine differenzierte Karriereplanung auf vier Dimensionen an: a) Tempo, b) Arbeitsumfang, c) Arbeitsort und -zeit, d) Rolle. In einem persönlichen Gespräch mit dem Vorgesetzten werden diese Dimensionen jährlich an die individuellen Bedürfnisse angepasst. Daraus entstehen Teams mit unterschiedlichen Profilen: a) Mitarbeitende mit dem vorgesehenen, dem Stellenniveau entsprechenden Karriereprofil; b) Mitarbeitende, deren Karriereprofil beschleunigt wurde; c) Mitarbeitende, die ihr Karriereprofil entschleunigt haben.
In ihrer Studie untersuchte die BFH die Auswirkungen der verschiedenen Karriereoptionen auf die Fluktuationsabsicht, das Arbeitsengagement, die Karrierezufriedenheit, das Erreichen von Karrierezielen der Mitarbeitenden sowie die Leistungsbewertung durch die Vorgesetzten. Da vor der Einführung von MCC vor allem Mütter und Väter mehr Flexibilität forderten, berücksichtigte die Untersuchung insbesondere das Geschlecht und den Elternstatus der Mitarbeitenden. Die Studienergebnisse zeichnen ein geteiltes Bild. Ein positives Ergebnis ist, dass die Mitarbeitenden im Laufe der Zeit ein höheres Arbeitsengagement und niedrigere Fluktuationsabsichten entwickelten. Dies war jedoch nur dann der Fall, wenn die Nutzung von MCC durch die Vorgesetzten aktiv gefördert und unterstützt wurde.
Väter sind zufriedener, Mütter werden besser beurteilt
Betrachtet man welche Mitarbeitenden von der Einführung von MCC profitieren konnten, so fallen u.a. Väter auf, die ihre Karriere entschleunigt haben. Sie konnten dabei das Niveau ihrer Karrierezufriedenheit aufrechterhalten. Dies ist eine erfreuliche Auswirkung, werden Männer doch in der Regel in ihrer Karriereentwicklung bestraft, wenn sie mehr Flexibilität zur Betreuung der Kinder verlangen. Jedoch stellte sich bei Müttern, die ihre Karriere entschleunigt haben, nicht derselbe Effekt ein: sie nahmen einen Chancenverlust wahr und ihre Karrierezufriedenheit nahm mit der Zeit ab.
Betrachtet man die Leistungsbewertungen, so wird die Arbeitsleistung von Männern mit entschleunigtem Karriereprofil schlechter bewertet, währenddem sich die Beurteilung der Mütter verbesserte. Hier scheint das dominante, traditionelle Rollenverständnis mit männlichem Ernährer immer noch Einfluss auf die Einschätzung der Vorgesetzten auszuüben.
Was ist bei einer Einführung zu beachten?
Insgesamt verbessert MCC das Arbeitsengagement, die Loyalität und für einige Mitarbeitende die Karrierezufriedenheit. Um die Ergebnisse des Modells zu verbessern, müssten die Vorgesetzten bei einer Einführung im Betrieb zwingend eine vertiefte Schulung durchlaufen, welche ihnen die formalen Rollen und Verantwortlichkeiten erklärt. Und um die negativen Auswirkungen bestehender Geschlechterstereotypen zu mindern, müsste die Bewertung der Leistung unbedingt auf dem Output und nicht auf den Arbeitsstunden basieren. Zudem müssten die Vorgesetzten explizit ermutigt werden, bei der Karriereförderung die familiäre Situation der Mitarbeitenden stärker zu berücksichtigen.
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1 Kommentare
AS
Wenn Teilzeitmodelle immer nur unter dem Fokus von Elternschaft beurteilt werden, ist das erstens einseitig und zweitens unvollständig. Teilzeit arbeiten zu wollen, sollte eigentlich keiner Begründung bedürfen, sondern eine Selbstverständlichkeit sein. Über die Einteilung der eigenen Lebenszeit sollte jede Person selbst bestimmen dürfen, ansonsten reden wir von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, also einer einseitigen Definition durch die Arbeitgebenden, was Arbeit und deren Verhältnisse betrifft. Dazu kommt, dass der Fokus auf Elternschaft als Legitimation, Teilzeit arbeiten zu wollen, bzw. ohne Karriereabstriche in Kauf nehmen zu müssen, all jene diskriminiert, bei denen Elternschaft kein Grund für dieses Anliegen darstellt. Verbleibt die Diskussion in diesem Duktus, unterwirft sie sich der neoliberalen Agenda, anstatt Arbeit und Arbeitsverhältnisse demokratisch zu diskutieren und zu entwerfen.