Ein innovatives Beispiel für die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Sozialdienst

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Handschlag zwischen Arbeitgeber und Sozialhilfebezüger

Die Forderung an die Wirtschaft, für die Arbeitsintegration sozialhilfebeziehender Menschen stärker mit den Sozialdiensten zusammenzuarbeiten, ist in letzter Zeit lauter geworden. Der Sozialdienst Büren an der Aare zeigt mit einem neuartigen Projekt, wie man Unternehmen ins Boot holt.

Herr Mülhaupt, Sie leiten das Innovationsprojekt «Arbeitspraktika» des Regionalen Sozialdienstes Büren an der Aare. Wie entstand das Projekt?

Die bestehenden Beschäftigungs- und Integrationsprogramme (BIAS) eignen sich nicht für alle Sozialhilfebeziehenden. Arbeitsintegration funktioniert nicht allein mithilfe des Sozialdienstes, sondern ist auch abhängig von der Offenheit und den Ressourcen der Betriebe im ersten Arbeitsmarkt.

Für unser Projekt haben wir zuerst einen Beschrieb für unsere Klientel und die Betriebe erstellt und dann ein kleines Netzwerk mit interessierten Betrieben aufgebaut, die uns dann mögliche Stellenprofile geliefert haben. Als Nächstes definierten wir die Kriterien für potenzielle Praktikantinnen und Praktikanten und führten eine Vorselektion durch. Anschliessend fragten wir gezielt Betriebe an. Das hat sich bewährt. Wir fanden zehn bis zwölf regionale Betriebe, die zum Teil sogar mehrmals Praktikantinnen und Praktikanten aufnahmen.

Peter Mülhaupt im Gespräch

Peter Mülhaupt ist diplomierter Sozialarbeiter und verfügt über langjährige Erfahrung in Sozialhilfe, Arbeitsintegration und Projektmanagement. Seit 2015 arbeitet er im Regionalen Sozialdienst Büren an der Aare als Sozialarbeiter.

Welche Eigenschaften müssen die Sozialhilfebeziehenden haben, damit sie in das Projekt aufgenommen werden?

Zuverlässigkeit, Kooperationsfähigkeit, Eigenverantwortung, Selbstvertrauen sowie eine gewisse Frustrationstoleranz. Das heisst, die Einstiegsschwelle ist nicht tief und die Sozialhilfebeziehenden müssen bereits im ersten Arbeitsmarkt tätig gewesen sein.

Die Teilnahme ist freiwillig, wir erwarten daher eine hohe Motivation. Sie sollen Eigeninitiative zeigen und die eigenen Fähigkeiten reflektieren können.

Was ist das Ziel solcher Praktika?

In den BIAS-Programmen muss beim Übertritt vom geschützten Rahmen in den ersten Arbeitsmarkt eine grosse Hürde genommen werden. Bei unseren Praktika entfällt dies, weil die Personen von Beginn an in einem Unternehmen arbeiten.

Wir vermitteln ausschliesslich an Betriebe, die tatsächlich an einer Weiteranstellung interessiert sind und diese bei entsprechendem Verlauf auch realisieren.

Für Klientinnen und Klienten ergibt sich so die Chance, sich im ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, wertvolle Erfahrungen zu sammeln und eine aktuelle Referenz zu erhalten.

Wie sieht die Erfolgsquote solcher Praktika aus?

Bisher konnten wir zehn Praktika durchführen, von denen eines abgebrochen wurde und ein anderes noch läuft. Vier Personen konnten sich durch die Praktika von der Sozialhilfe ablösen, eine weitere Person arbeitete ebenfalls in einer Anschlussanstellung, verliess den Betrieb aber später aus persönlichen Gründen. Zwei konnten durch Teilzeitanstellungen den Sozialhilfebezug reduzieren. Eine Person hat ohne Anschlusslösung abgeschlossen, für sie ist ein neues Praktikum in Planung.

Einige Betriebe fragten bei uns an, als bei ihnen erneut eine Stelle mit entsprechendem Profil frei wurde. In einem konkreten Fall hatten wir einen Klienten, der die Kriterien erfüllte, jedoch aufgrund einer Sucht- und Burnout-Problematik seine Arbeit verloren hatte. Nach reiflicher Überlegung suchte ich das Gespräch. Wir vereinbarten, dass er diesbezüglich dem Betrieb gegenüber transparent auftreten sollte. Beim Vorstellungsgespräch sprach er die Probleme an. Der Betriebsleiter entschied, dem motivierten Mann eine Chance zu geben. Schliesslich resultierte daraus eine Anstellung. Transparenz ist in unserem Projekt wichtig, damit ergeben sich Möglichkeiten.

Wie unterscheiden sich die vom Kanton bereitgestellten BIAS-Programme von den Arbeitspraktika?

BIAS-Programme eignen sich für Personen, die auf eine Struktur und soziale Integration angewiesen sind. Sie fallen durch wiederholte Schwierigkeiten auf, sind für den ersten Arbeitsmarkt noch nicht bereit und brauchen allenfalls gar eine Tagesstruktur.

Der Zeitpunkt für den Eintritt in den Arbeitsmarkt ist schwierig zu definieren. Da spielen auch die Betriebe und ihre Kulturen eine grosse Rolle. Das Zusammenpassen ist von zentraler Bedeutung. Hier ist auch der kritische Punkt:

Die BIAS-Programme sind nach meiner Erfahrung zu wenig auf den ersten Arbeitsmarkt ausgelegt, so dass diese Hürde oft nicht gemeistert wird und die Erfolgsquote relativ gering ist.

Diese Übergänge müssten feiner und offensiver abgestimmt werden. Es gibt zwischenzeitlich aber einige gute Ansätze.

Die Finanzierung ist auch ein Unterschied: BIAS-Angebote sind vom Kanton entwickelt, finanziert und geregelt. Wir erhalten für die eigenen Praktika kein zusätzliches Geld, sind damit weniger fremdbestimmt und können innovativ sein.

Gibt es besondere Voraussetzungen, die ein Sozialdienst erfüllt muss, um ein solches Projekt zu starten?

Erfahrungen in der Arbeitsintegration und Kenntnisse im regionalen Arbeitsmarkt sind wichtig, ebenso rechtliches und versicherungstechnisches Knowhow. Sozialbehörden und Sozialdienst müssen natürlich dazu bereit sein und die entsprechenden Stellenprozente zur Verfügung stellen. Schliesslich braucht es auch noch eine Portion Pragmatismus in der Realisierung.

Sehen Sie als Sozialarbeiter mit viel Erfahrung und Expertise in Sozialhilfe und Arbeitsintegration auch kritische Aspekte?

Die Erfolgsmessung per Ablösequote in der Sozialhilfe verschleiert, dass ein Viertel bis die Hälfte der Ablösungen in prekäre Arbeitsverhältnisse einmündet.

Studien belegen, dass Personen häufig wieder in der Sozialhilfe landen. Der Fokus muss auf Langzeit-Integration liegen und nicht auf Ablösequoten. Deshalb ist es in unserem Projekt entscheidend, dass wir nur mit seriösen Betrieben arbeiten, die eine Anstellung ermöglichen.

Der Regionale Sozialdienst Büren a.A. ist zuständig für zehn Gemeinden im Berner Seeland, unter anderem Arch, Büetigen, Büren a. A. und Leuzigen. Wohnhaft sind in diesem Perimeter rund 12‘000 Menschen. Der Sozialdienst Büren a.A. arbeitet mit einem Stellenetat von 510 Prozent Sozialarbeit und 280 Prozent Administration (ohne Alimentenhilfe) und ist zuständig für insgesamt 503 Dossiers, rund 65 Prozent davon Sozialhilfedossiers (alle Zahlen 1.1.2017).


Kontakt:

 

Dies ist eine gekürzte Version des im BFH-Magazin «impuls» erschienenen Interviews mit Peter Mülhaupt. Das Heft 1/2018 mit dem ungekürzten Interview finden Sie auf der Webseite des Departements Soziale Arbeit.

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