Von Sozialarbeitenden wird viel verlangt. Ihre beruflichen Aufgaben sind herausfordernd, nervenaufreibend und belastend. Da stellt sich die Frage, sind diese Aufgaben noch zumutbar? Welche Folgen haben sie für das Wohlbefinden von Sozialarbeitenden? Eine Analyse der Berner Fachhochschule klärt auf.
Sozialarbeitende sind besonders stark Burnout gefährdet. Darüber hinaus leiden sie vermehrt an Depressionen, Ängsten, körperlicher Erschöpfung, tiefem Wohlbefinden und Suchterkrankungen. Doch wie lassen sich diese negativen Auswirkungen erklären? Neue Untersuchungen zeigen, dass die sozialarbeiterischen Aufgaben selbst der Grund sein könnten und weisen auf deren Illegitimität hin.
Illegitime Aufgaben in der Sozialen Arbeit
Eine Aufgabe ist dann illegitim, wenn Betroffene der Meinung sind, sie sollten diese Aufgabe nicht ausführen müssen. Dafür gibt es zwei mögliche Gründe: Die Aufgabe stimmt a) nicht mit der beruflichen Kernrolle überein und wird deshalb als unzumutbar empfunden – zum Beispiel wenn ein Sozialarbeiter in einer betreuten Wohngruppe pflegerische Tätigkeiten übernimmt. Oder die Aufgabe ist b) vermeidbar und wird als unnötig empfunden – zum Beispiel wenn eine Sozialarbeiterin Berichte schreiben muss, die nie gelesen werden.
Negative Auswirkungen auf den Schlaf
Obwohl sich das Konzept der illegitimen Aufgaben gut auf die Profession der Sozialen Arbeit anwenden lässt, wurde dies bislang nicht erforscht. Da Sozialarbeitende komplexe Tätigkeiten ausführen, die hohe Stress- und Gesundheitsbelastungen mit sich bringen, ist eine solche Untersuchung notwendig. Eine Studie der Berner Fachhochschule hat sich nun dem Thema angenommen.
Um zu beantworten, inwiefern Sozialarbeitende von illegitimen Aufgaben betroffen sind und wie sie deren Gesundheit und Wohlbefinden beeinträchtigen, wurde eine Tagebuchstudie mit 93 Sozialarbeitenden aus der deutschsprachigen Schweiz durchgeführt. Die Teilnehmenden stammten aus unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen – wie Sozialdiensten, Flüchtlingshilfe oder Beratungsstellen – und wurden über sieben Tage jeweils morgens und abends zu ihrer Arbeitstätigkeit, ihrer Gesundheit und ihrem Wohlbefinden befragt.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich illegitime Aufgaben besonders negativ auf den Schlaf auswirken. Je mehr illegitime Aufgaben Sozialarbeitende tagsüber ausgeführt hatten, desto verzögerter schliefen sie abends ein, da sie vor dem Schlafengehen über diesen Aufgaben grübelnd erst später einschlafen können.
Bedrohtes Selbstbild führt zu Stress
Doch wieso beeinflussen illegitime Aufgaben den Schlaf? Gemäss der «Stress-as-Offense-to-Self»-Theorie von Semmer stellen illegitime Aufgaben einen besonders grossen Stressfaktor dar. Die Theorie stützt sich auf die Tatsache, dass jeder Mensch nach einem positiven Selbstbild strebt. Wenn dieses Selbstbild bedroht wird, folgen daraus Stress und Unwohlsein. Illegitime, unnötige oder unzumutbare Aufgaben werden oft als ungerecht empfunden, betroffene Sozialarbeitende fühlen sich nicht respektiert, ihre positive Selbstwahrnehmung vermindert sich und sie fühlen sich gestresst.
Illegitime Aufgaben können zu so intensiven Stressreaktionen wie z.B. Herzrasen führen. Auch können sie andauern und somit noch während des Feierabends anhalten. Durch die damit verbundene kognitive Aktivierung – die sich beispielsweise dadurch zeigen kann, dass die betroffenen Sozialarbeitenden vor dem Schlafengehen intensiv den Tagesereignissen nachgrübeln, sich Sorgen machen und kreisende Gedanken haben – tritt der Schlaf verzögert ein. Langfristig kann dies zu weiteren psychischen und gesundheitlichen Schäden führen, u.a. Erschöpfung und Burnout.
Kernrolle der Sozialen Arbeit gewährleisten
Der Einfluss von illegitimen Aufgaben in der Sozialen Arbeit und die daraus entstehenden gesundheitlichen Konsequenzen dürfen nicht unterschätzt werden. Führungspersonen sollten sich dieser Gefahr bewusst sein und dementsprechend darauf achten, dass innerhalb der Tätigkeitsbeschreibung und -aufteilung die Kernrolle ihrer Mitarbeitenden gewährleistet ist. Zudem sollen Sozialarbeitende sich untereinander unterstützen, ihr sozialarbeiterisches Selbstbild stärken und so potenziellen Stressoren entgegenwirken.
Kontakt:
- Dr. Diana Romano, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Departement Soziale Arbeit
- Andrea Eggli, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Departement Soziale Arbeit
Artikel und Berichte:
Literatur und weiterführende Links:
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