Die «Übrigen»: Vom Umgang mit nicht arbeitsmarktfähigen Geflüchteten

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Die Integration von nicht arbeitsmarktfähigen Geflüchteten wird sowohl in der Praxis als auch in der öffentlichen Diskussion häufig vernachlässigt. Doch wie gelingt diese soziale Integration? Eine Masterarbeit untersuchte dies aus einer gerechtigkeitstheoretischen Perspektive und arbeitete Empfehlungen aus.

Im Jahr 2019 einigten sich Bund und Kantone auf eine gemeinsame Agenda, um geflüchtete Menschen schneller zu integrieren. Dabei unterscheidet die Integrationsagenda drei Gruppen: «bildungsfähige Jugendliche», «arbeitsfähige Flüchtlinge» und «Übrige». Für Personen in der letzten Kategorie sind Massnahmen zur sozialen Integration vorgesehen. Im Rahmen einer Masterthesis untersuchte ich den Umgang mit nicht arbeitsmarktfähigen Geflüchteten in der Integrationsagenda und der Praxis. Meine qualitative Studie fragte also danach, wie Sozialdienste die soziale Integration fördern und ordnete die Ergebnisse gerechtigkeitstheoretisch ein.

Integration braucht aktiven Einbezug

Die Suche nach sozialem Anschluss und gesellschaftlicher Teilhabe ist für Geflüchtete eine zentrale Herausforderung. Bildungsinstitutionen und Arbeitsplätze spielen dabei eine grosse Rolle. Fehlen diese beiden Optionen, sind alternative Begegnungsräume umso wichtiger. Aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen legen die Sozialdienste den Fokus meist auf Personen in der beruflichen Integration. In Fällen ohne Aussicht auf Arbeitsmarktintegration ergreifen die Sozialdienste Massnahmen, die die soziale Integration fördern. Dies geschieht in der Praxis meist durch Programme, die eine Tagesstruktur bieten – z.B. niederschwellige Deutschkurse oder Tandemprogramme.

In der Studie diente der Capability Approach nach Martha Nussbaum als konzeptioneller Rahmen, um gerechtigkeitstheoretisch einzuordnen, wie die Kantone mit nicht arbeitsmarktfähigen Geflüchteten umgehen. Demnach sind die mitgebrachten Ressourcen der Geflüchteten zu berücksichtigen und in den Integrationsprozess einzubeziehen. Die Geflüchteten sollen also nicht als passive Leistungsempfangende betrachtet werden, sondern sich aktiv in die Gestaltung der Unterstützungsmassnahem einbringen können. Daraus ergeben sich verschiedene Implikationen für die Soziale Arbeit und die kantonalen Umsetzungskonzepte.

  • Angebotsvielfalt: Sozialdienste sind regional gut vernetzt. Die Integrationsagenda sollte daher eine Vielfalt an akkreditierten regionalen Integrationsangeboten bereitstellen. Um die Integration in die Gesellschaft zu fördern, sollten sich diese nicht ausschliesslich an Geflüchtete richten. Dazu eignet sich beispielsweise, Vereinszugehörigkeiten zu fördern oder zu finanzieren.
  • Partizipation: Aus der gerechtigkeitstheoretischen Perspektive ist es zentral, dass die Teilnahme an den Integrationsangeboten freiwillig ist und der individuelle Willen der Geflüchteten dadurch gewahrt bleibt. Daher ist es wichtig, dass dies in der Integrationsagenda festgehalten und von der Praxis entsprechend umgesetzt wird.
  • Terminologie: Um zu verdeutlichen, dass nicht nur Erwerbsarbeit wertvoll ist, müsste die Integrationsagenda präziser formuliert werden. Beispielsweise könnte die Bezeichnung «arbeitsfähig» durch «arbeitsmarktfähig» ersetzt werden. Personen, die aktuell nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden können, soll nicht abgesprochen werden, dass sie im Haushalt, bei der Kinderbetreuung oder kreativ arbeiten. Für die Wertschätzung wäre es ausserdem wichtig, Personengruppen in einem Konzept nicht als «Übrige» zu bezeichnen.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Meine Studie zeigt weiter auf: Die Integrationsagenda vernachlässigt weitgehend, dass die Gesellschaft den Integrationsprozess eines Menschen beeinflusst. Die Integrationsagenda stellt den Geflüchteten eine homogene Mehrheitsgesellschaft gegenüber, die es so nicht gibt. Damit suggeriert sie, dass Migration eine Abweichung von der Norm ist, die durch Integrationspolitik geregelt werden kann und muss. Diese Sichtweise vernachlässigt, dass Integration nicht allein von der individuellen Leistung einer Person abhängig ist. Integration bedingt auch, dass die strukturellen Rahmenbedingungen gegeben sind, die allen Selbstbestimmung, gesellschaftliche Teilhabe und Chancengerechtigkeit ermöglichen. Dies kann beispielsweise durch den Ausbau von Begegnungsräumen und Quartierarbeit geschehen. Auch kann Öffentlichkeitsarbeit ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Integration ein gegenseitiger Prozess ist.

Die Studie verdeutlicht, dass die soziale Integration in der Praxis vielfältig gefördert wird. Individuelle Ressourcen müssen dabei noch stärker einbezogen und strukturelle Bedingungen verbessert werden. Integration ist nicht allein Leistung der Geflüchteten, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.

 


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