Die Revision der Arbeitslosenversicherung von 2011 belastet die Sozialhilfe

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Die positiven Zahlen der Arbeitslosenversicherung (ALV) sind nicht nur auf die gute Konjunkturlage, sondern auch auf die 4. Revision der Arbeitslosenversicherung vom April 2011 zurückzuführen. Eine Wirkungsanalyse zeigt nun erstmals die Mehrkosten in der Sozialhilfe auf, die als Folge dieser Revision anfallen.

Die 4. Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) brachte als gewichtige Änderung die Reduktion der Taggeldansprüche für bestimmte Bezugsgruppen mit sich. Die grösste betroffene Gruppe waren Arbeitslose mit einer Beitragszeit zwischen 12 und 17 Monaten. Diese machten in den vergangenen Jahren durchschnittlich einen Fünftel aller Arbeitslosen aus. Ihr Anspruch sank mit der Revision von 400 auf 260 Taggelder.

Bereits vor der Revision wurde von verschiedenen Seiten gewarnt, dass Kürzungen bei der ALV Auswirkungen auf nachgelagerte Bedarfsleistungssysteme haben, insbesondere auf die Sozialhilfe. So kommt eine Untersuchung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) zum Schluss, dass durch die Revision die Aussteuerungswahrscheinlichkeit bei unter 25-Jährigen um 35% gestiegen ist. Zu den konkreten Auswirkungen der Revision auf die Sozialhilfe wurde bisher jedoch nur spekuliert. Im Rahmen des Nationalfondsprojektes «Familienmodelle und Arbeitslosigkeit» wurden erstmals Daten der Arbeitslosenversicherung mit Einkommensdaten der AHV und der Sozialhilfestatistik verknüpft. Anhand dieser Grundlage untersuchten wir, wie sich die 4. AVIG-Revision auf den Bezug von Sozialhilfe auswirkte.

Beobachtungszeitraum und Vergleichbarkeit

Die Wirkungsanalyse beruht auf dem Differenz-von-Differenzen-Ansatz. Wir verglichen den Sozialhilfebezug bei Arbeitslosen mit 12 bis 17 Beitragsmonaten vor der Revision (Beginn der ALV-Rahmenfrist zwischen Januar 2008 und März 2009) mit ihrem Bezug nach der Revision (Beginn der ALV-Rahmenfrist zwischen April 2011 und Juni 2012). Als Beobachtungszeitraum wählten wir den 12. bis 23. Monat nach Beginn der Arbeitslosigkeit, da Betroffene nach der Revision frühestens nach 12 Monaten ausgesteuert werden und die Taggeldansprüche in allen Gruppen nach 24 Monaten verfallen.

Um andere Einflüsse – bspw. die Konjunktur – auszuschliessen, verglichen wir die Entwicklung des Sozialhilfebezuges in der Betroffenengruppe mit derjenigen einer Vergleichsgruppe von Arbeitslosen, die von der Revision nicht betroffen waren. Um eine maximale Vergleichbarkeit zu erreichen, berücksichtigten wir auch Arbeitslose mit lückenhaften Beitragshistorien (18 bis 23 Beitragsmonate) und gewichteten die Gruppen mittels statistischer Verfahren in mehreren Dimensionen, so dass sich diese Eigenschaften in den Betroffenen- und Vergleichsgruppe vor und nach der Revision nicht unterscheiden.

Kostenverschiebung von der Arbeitslosenversicherung in die Sozialhilfe

Betrachten wir nun die Auswirkungen der Revision, so reduzierte diese – gemessen am Total der betroffenen Arbeitslosen – den Anteil der betroffenen Arbeitslosen (Beitragszeit von 12 bis 17 Monaten), die im Beobachtungsfenster Arbeitslosengelder bezogen, um 13,8 Prozentpunkte. In Geldbeträgen ausgedrückt: Die durchschnittlichen Auszahlungsbetrag pro arbeitslose Person und Monat in der Betroffenengruppe sank um CHF 419. Im ersten Jahr nach der Revision sparte die ALV somit rund CHF 140 Mio.

Erwartungsgemäss stieg die Sozialhilfequote der Betroffenen durch die Revision um 2.8 Prozentpunkte. Die durchschnittliche Kostenzunahme von CHF 56 pro Person und Monat im ersten Jahr nach der Revision bedeutet für die Sozialhilfe Mehrkosten von rund CHF 19 Mio. Somit wurden rund 14% der Kostenersparnis in der ALV auf die Sozialhilfe überwälzt. Das heisst aber auch: 86% der weggefallenen Taggelder mussten von den Betroffenen selbst durch sonstige Einkommen, Vermögensverzehr oder reduzierte Konsumausgaben kompensiert werden.

Quellen: Arbeitslosenversicherung (AVAM/ASAL), Einkommensdaten der AHV, Sozialhilfestatistik; Berechnung: BFH; Detaillierte Tabelle mit Berechnungsgrundlagen und Stichprobeneigenschaften

Revisionen müssen nachgelagerte Systeme beachten

Im letzten Jahr schloss die Arbeitslosenversicherung mit positiven Ergebnissen ab. Neben der guten Konjunktur trugen auch die Massnahmen der 4. AVIG-Revision von 2011 dazu bei. Wir konnten aufzeigen, dass die darin enthaltene Koppelung von Beitragszahlungen und Bezugsdauer in der ALV zu substanziellen Kostenreduktionen führte. Gleichzeitig häuften sich bei der Sozialhilfe jedoch Mehrkosten an – bis Ende 2017 rund CHF 120 Mio., falls die Auswirkungen der Revision konstant blieben.

Die vorliegende Analyse gibt einen Orientierungsrahmen für künftige Änderungen der Taggeldansprüche in der ALV. Die nachweislich gestiegenen Sozialhilfekosten unterstreichen die Forderung, dass bei Leistungskürzungen in einer Sozialversicherung auch die Auswirkungen auf nachgelagerte Bedarfsleistungssysteme abgeschätzt und miteinbezogen werden müssen.

Beitrag am 6. Januar 2020 überarbeitet


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