Die Pflegeinitiative als Katalysator dringend benötigter Diskurse

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Podiumsdiskussion

Das Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule lud zur Debatte um die Pflegeinitiative ein. Yvonne Ribi (Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK) und Stefan Spycher (Bundesamt für Gesundheit BAG) duellierten sich am «Fokus Gesundheit». Die Zuschauenden wurden Zeuginnen und Zeugen einer sachlichen und wohl reflektierten Debatte.

Dass politische Themen aufgrund ihrer Komplexität selten in schwarz-weiss Argumentarien zerlegt werden können, zeigt sich aktuell bei der Pflegeinitiative. Der Fehdehandschuh glitt an der Veranstaltung «Fokus Gesundheit» dann auch seidig sanft über die Wangen der Kontrahenten. Beim wichtigsten Punkt herrschte Einigkeit: Die Pflege muss gestärkt werden. Einzig der Weg dorthin wird unterschiedlich ausgelegt.

Wieso diese Initiative?

Stefan Spycher zeigte auf, dass sich der Bund sowie die Kantone schon lange über die Situation in der Pflege bewusst sind. So seien in den letzten Jahren Massnahmen erarbeitet und umgesetzt worden: Zum Beispiel der Massnahmenplan Bildung Pflege, die Revision des Gesundheitsberufegesetzes und Projekte zur Förderung der Attraktivität des Pflegeberufs. Zudem gäbe es viele weitere kantonale Massnahmen zur Verbesserung des Personalverbleibs und den Arbeitsbedingungen. Stefan Spycher warnte indes vor Redundanzen in der Bundesverfassung, was bei einer Annahme der Initiative geschehen wäre (Bsp. Art. 117a). Yvonne Ribi entgegnete mit Bezug auf die Entstehung der Initiative, dass sich seit 2000 wenig an der Situation verbessert habe (siehe Infobox). Mangels alternativer politischer Instrumente nutzte der SBK das gewichtigste Instrument, die Volksinitiative, um sich das notwendige Gehör in der Politik sowie in der Bevölkerung zu schaffen.

Führt diese Initiative zu Mehrkosten?

Thema der Debatte waren auch die Kosten: Die Santésuisse erwartet Mehrkosten bei einer Umsetzung der Forderungen und kämpft mit populistischen Kalkulationen gegen die Initiative. Auch die Politik befürchtet Mehrkosten durch die erwartete Mengenerweiterung. Allerdings fallen diese Kalkulationen zurückhaltender aus: «Eine profunde Prognose der potenziellen Mehrkosten bedingt ein Zusammentragen vieler Datensätze und eine Zusammenarbeit mehrerer Akteure über einen längeren Zeitraum», erklärte Stefan Spycher. Dieser Einschätzung schloss sich Yvonne Ribi an, entgegnete jedoch, dass nicht die Initiative Mehrkosten verursache, sondern die demografische Entwicklung und die Zunahme der Co-Morbiditäten. Internationale Studien belegen, argumentierte Ribi, dass eine ausreichend hohe Anzahl an gut ausgebildetem Pflegefachpersonal die Mortalitäts- und Rehospitalisierungsraten senke, was wiederum zur Reduzierung von Kosten führe.

Wie geht es weiter?

Während die Politiker seit fast zwei Jahrzehnten diskutieren, spitzt sich die Situation im Alltag der Pflege zu. Dies zeigt sich am stärksten im steten Anstieg offener Stellen für Pflegefachpersonal in der Schweiz. Bisherige Massnahmen scheinen offensichtlich nicht zu greifen – noch immer hält es Pflegefachpersonen nicht lange in der Pflege und der Beruf ist wenig attraktiv. Was dem Pflegefachpersonal bleibt, ist die schale Hoffnung, dass sich die Situation bald bessert. Deshalb ist es grundlegend, weitere Akteure zum Diskurs einzuladen. Die Kantone und die Gesundheitsorganisationen sind dem proaktiven Handeln verpflichtet. Eine Erhöhung und Mitfinanzierung der Ausbildungsplätze, wie im indirekten Gegenvorschlag formuliert, führt augenscheinlich nicht zu einem Personalverbleib oder besseren Arbeitsbedingungen.

 

Die Geschichte der Volksinitiative «Für eine starke Pflege»

Der Urquell der Initiative liegt im Jahr 2000: Rudolf Joder reichte die Motion «Für eine Aufwertung der Krankenpflege» ein, die zwei Jahre später vom Ständerat abgelehnt wurde. 2011 widmete sich Rodolf Joder mit der parlamentarischen Initiative «Gesetzliche Anerkennung der Verantwortung der Pflege» wiederholt dem Thema. Auch diese versandete nach mehreren Jahren Wartezeit 2016 im Treibsand der Gegenargumente. Dies war die Geburtsstunde der Pflegeinitiative. Helena Zaugg, Präsidentin des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK), sprach daraufhin aus, was die Berufsgruppe fühlte: «Wir haben das Vertrauen in die Politik in dieser Sache verloren». Innert kürzester Zeit wurden die Stimmen für die Volksinitiative gesammelt. Doch lehnte der Bundesrat am 9. März 2018 die Pflegeinitiative ohne Gegenvorschlag ab. Der Auftrag an die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats SGK-N lautete stattdessen, in Zusammenarbeit mit relevanten Akteuren einen Massnahmenplan zu erstellen, «wie die Situation der Pflegefachpersonen verbessert werden kann». Da der Bundesrat eine allfällige Umsetzung der Massnahmen jedoch nicht zu finanzieren vorsah, traten der SBK sowie die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte aus der Arbeitsgruppe aus. Ohne Beteiligung der Hauptakteure wurde nun ein indirekter Gegenvorschlag ausgearbeitet, welcher Mitte Mai 2019 in die Vernehmlassung kommen wird.

Die Ziele der Pflegeinitiative: Die Initiative …
– garantiert, dass genügend Pflegefachpersonen ausgebildet werden.
– sichert die Pflege-Qualität.
– hält das Personal länger im Beruf.

 


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