Die Meinung der Kinder zählt auch in der Forschung

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Kind wird von Forscherin befragt

Foto: istock.com/izusek

Die Forschung im Bereich Kindesschutz kritisiert regelmässig, dass die Partizipation von Kindern ungenügend beachtet wird. Jedoch tut sich nicht nur die Praxis schwer, Kinder einzubeziehen. Auch Forschungsarbeiten verzichten – wohl aus ähnlichen Gründen – oft darauf, die kindliche Perspektive einzuholen.

Kinder sollen bei allen Entscheidungen, die sie betreffen, miteinbezogen werden. Dieser Anspruch wird zwar über alle Bereiche der Sozialen Arbeit hinweg geteilt, jedoch zu wenig und zu selten umgesetzt. Gerade im Kindesschutz stellt die Forschung der Praxis kein gutes Zeugnis aus. Bei der Problemdefinition und den daraus abgeleiteten Massnahmen wird den kindlichen Meinungen und Gedanken häufig unzureichend Platz eingeräumt. Als Ursachen hierfür gelten die Einstellungen der Fachpersonen gegenüber Kindern, die mangelnde Qualifikation und Erfahrung in der Arbeit mit Kindern, der Zweifel am Mehrwert des Einbezugs sowie zu geringe Ressourcen. Die Ansatzpunkte für Veränderungen wären aus Sicht der Forschung somit bekannt.

Auch in der Forschung fehlen Qualifikationen und Ressourcen

Obwohl die kritische Auseinandersetzung mit diesen Befunden und die Ausarbeitung von Handlungsempfehlungen als zentrale Aufgaben der praxisorientierten Forschung gelten, drängt sich mir immer wieder die Frage auf: Inwiefern beachten die Forschenden ihre eigenen Resultate und berücksichtigen die Stimmen der Kinder in ihrer Arbeit? Denn bei Forschungsprojekten im sozialpädagogischen Bereich findet der Einbezug der Kinder zwar immer öfters, aber längst nicht standardmässig statt. Vor allem bei kleineren qualitativen Projekten wird auf die Erhebung der kindlichen Meinung oft zugunsten der erwachsenen Meinung verzichtet oder der kindlichen Perspektive eine marginale Rolle zugeteilt.

Aber warum ist das so? Vergegenwärtige ich mir die Argumente von anderen Forschenden oder mir selbst gegen den Einbezug von Kindern in qualitativen Forschungsarbeiten, sehe ich Parallelen zur Praxis im Kindesschutz: die geringen zeitlichen und finanziellen Ressourcen, die Einstellung gegenüber Kindern, der Zweifel am Mehrwert sowie die fehlende Erfahrung und mangelnde Qualifikation der Forschenden im Bereich kindgerechter Befragungsmethoden. Dass es zentrale Unterschiede im Einbezug von Kindern zwischen diesen zwei Bereichen gibt, ist mir bewusst. Im Kindesschutz ist die Tragweite für die nicht beachteten Kinder eine ganz andere.

Hinter einem «voll krank» kann eine differenzierte Meinung stecken

Dennoch könnten wir Forschende bei uns selbst anfangen und als gutes Beispiel vorangehen. Wir sollten nicht nur die Überzeugung vertreten, dass Kinder etwas zu ihrer Lebenswelt zu sagen haben und ihr Einbezug eine Studie bereichert, sondern müssen auch entsprechend handeln. Genau das haben wir im Rahmen unserer Evaluation des Programms Roots of Empathy gemacht, das Primarschülern unter anderem durch Begegnungen mit einem Baby mehr Einfühlungsvermögen vermitteln und  aggressives Verhalten minimieren möchte. Dabei führten wir Fokusgruppen durch, um die Meinungen und Veränderungsvorschläge von Viert- und Fünftklässlern zum Programm zu erheben. Die Durchführung der Fokusgruppen gestaltete sich herausfordernd. Die Gespräche entsprachen nicht unseren Erwartungen und gaben auf den ersten Blick wenig her. Knappe Aussagen wie «nichts» oder «nein», «cool» oder «voll krank» und anschliessendes Schweigen waren keine Seltenheit. Bei der Auswertung wurden wir jedoch von der Fülle an Informationen im Datenmaterial positiv überrascht. Im Vergleich zu den Aussagen der Erwachsenen fielen die ersten Reaktionen der Kinder meist abschliessend («nichts»), knapp («cool»), direkt oder unorthodox («voll krank») aus. Liess man den Kindern aber Zeit und unterstützte sie durch Nachfragen, folgten oft differenzierte und reflektierte Aussagen.

So erzählten die Kinder beispielsweise, wie sie durch das Programm lernten die Stimmungen anderer Kinder wahrzunehmen und darauf zu reagieren:

  • «Eine Kollegin von mir ist eine eher fröhliche Person. Und wenn sie dann plötzlich ruhiger ist und traurig umhergeht und eigentlich auch nicht so viel sagt, dann frage ich sie dann schon, ob etwas passiert ist und sie mir das erzählen kann.»
  • «Wenn man weiss, wie sich die Person gerade fühlt, dann kann man besser kommunizieren miteinander. Vielleicht ist diese Person wütend, dann kann man versuchen, sie zu beruhigen…»

Auch berichteten sie von einem respektvolleren Umgang untereinander:

  • «…wenn jemand etwas sagt und man selbst denkt, das sei falsch, oder man selbst eine andere Meinung hat, dass man das andere dann trotzdem respektiert und nicht sagt, das sei falsch und das Eigene richtig. Und dass man niemanden verletzt mit Worten oder so.»
  • «Auch wenn man zum Beispiel dem anderen sagt, er solle bitte aufhören, dass man dann nicht flucht und gemeine Sachen sagt, damit er aufhört.»

Den Kindern gelang es somit, ihre Meinungen anhand von Beispielen zu formulieren oder zu begründen. Am Ende waren die Ergebnisse der Kinderfokusgruppen ähnlich aufschlussreich wie die Interviews mit den Lehrpersonen.

Dass es bei Evaluationen sinnvoll, lohnend und machbar ist, die Ansichten von Kindern einzuholen, ist keine neue oder überraschende Einsicht. Bloss sollten wir Forschende uns daran erinnern, und nicht bei der nächsten Studie wieder vergessen oder am Ende – aus welchen Gründen auch immer – aus dem Projekt streichen.

 


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