Wie gelingt es Sozialdiensten, dass ihre Klientinnen und Klienten nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen sind? Und es auf Dauer bleiben? Eine Studie der BFH hat die relevanten Faktoren eingehend untersucht. Sie fand zehn Einflussgrössen, mit denen Sozialdienste die Chance einer mittel- bis langfristigen Ablösung erhöhen können.
Armut ist ein dynamisches Phänomen. Ein beträchtlicher Teil der Personen, die nach einer gewissen Zeit des Sozialhilfebezugs wieder selbständig werden, verbleibt in schwierigen Verhältnissen und fällt rasch in wirtschaftliche Abhängigkeit vom Staat zurück. Wiederkehrender Sozialhilfebezug lässt sich bei rund einem Drittel aller Fälle in der Schweiz feststellen.
Relativ gut untersucht ist, welche Faktoren dabei auf Seiten der sozialhilfebeziehenden Personen – der Mikroebene – eine Rolle spielen. Ebenso sind es die Faktoren auf der Makroebene, zu denen bestimmte gesellschaftliche beziehungsweise regionale Eigenschaften zählen. Über die Mesoebene, auf der sich die Sozialdienste als Organisationen befinden, ist hingegen vergleichsweise wenig bekannt. Diese wissenschaftliche Lücke will das von der Gebert Rüf Stiftung geförderte Forschungsprojekt schliessen. Wie muss die Sozialhilfe gestaltet sein, damit ihre Klientinnen und Klienten nachhaltig, das heisst mittel- bis langfristig, sozial und beruflich integriert sind?
Das Forschungsprojekt geht davon aus, dass auf der Mesoebene ein Bündel von Einflussfaktoren eine nachhaltige Ablösung begünstigt; zum Beispiel die optimale Vernetzung des Sozialdienstes mit dem wirtschaftlichen Umfeld, seine auf Wirkung ausgerichteten Strukturen und Prozesse und ein gelingendes Arbeitsbündnis zwischen Sozialarbeitenden und Sozialhilfebeziehenden.
Zehn Einflussfaktoren für eine nachhaltige Ablösung
Aus der Vielfalt der untersuchten Faktoren fanden sich zehn, die als bedeutsam für eine nachhaltige Integration angesehen werden können. Es sind:
- Mitarbeitenden-Förderung
- Anspruchsprüfung
- Falldifferenzierung
- Analyse
- Ziel- und Handlungsplanung
- berufliche Integration
- Kommunikation mit vorrangigen Stellen
- Gestaltung des Abschlussprozesses
- Beziehungsgestaltung
- Kommunikation mit Klientinnen und Klienten.
Diese Faktoren sind auf verschiedenen Ebenen angesiedelt, wie dies folgende schematischen Darstellung eines Sozialdienstes verdeutlicht.
In den Interviews, die in sechs Berner Sozialdiensten geführt wurden, wurden die Themen im Kernprozess Sozialhilfe rund um Fallaufnahme, -bearbeitung und -abschluss am meisten genannt, aber auch die Arbeit mit Klientinnen und Klienten und die Führungsebene des Sozialdienstes sind wichtig. Die Gespräche mit den verschiedenen Anspruchsgruppen führten zu einem breiten Strauss an Themen, über die sich die Akteure in der Sozialhilfe Gedanken machen, um die Ablösung nachhaltiger werden zu lassen. Die Aktenanalyse brachte einen vertieften Einblick in die Relevanz der einzelnen Faktoren – in der Abbildung in Blautönen hervorgehoben.
Die Ziel- und Handlungsplanung hat sich hierbei als interessanter Einflussfaktor erwiesen, auch weil viele Sozialdienste hier vordringlichen Handlungsbedarf sehen. Tatsächlich drehte sich in der qualitativen Teilstudie ein wesentlicher Teil der Gespräche um die Ziel- und Handlungsplanung im Unterstützungsprozess. Dabei ging es oft um Zielvereinbarungen, also das Identifizieren und Festlegen von individuellen Zielen für Sozialhilfebeziehende. An diese Zielvereinbarungen sind die persönliche und wirtschaftliche Hilfe gebunden, wie es das Sozialhilfegesetz vorschreibt.
Die Ergebnisse der quantitativen Teilstudie unterstreichen, dass Ziel- und Handlungsplanungen im Unterstützungsprozess besondere Umsicht erfordern. Dabei enthielt fast die Hälfte der untersuchten Fallakten keinen einzigen schriftlichen Eintrag zur Ziel- und Handlungsplanung. Die Analyse ergab jedoch, dass bei Fällen mit einer mittelgradig detaillierten Ziel- und Handlungsplanung die relative Wahrscheinlichkeit einer nachhaltigen Ablösung in die Selbstsorge erhöht war: im Verhältnis zur Wahrscheinlichkeit einer nicht nachhaltigen Ablösung um das 2,8-fache.
Gemeinsam den Hebel ansetzen
Die Relevanz der untersuchten Einflussfaktoren lässt sich auf den Ergebnissen qualitativer wie quantitativer Forschungsmethoden abstützen. So auch am Beispiel der Ziel- und Handlungsplanung. Der Nutzen von Zielvereinbarungen als Arbeitsinstrument zeigte sich im qualitativen Studienteil zwar als kontrovers diskutiert, die quantitative Analyse der Fallakten ergab jedoch, dass die Ziel- und Handlungsplanung die nachhaltige Ablösung in die Selbstsorge positiv beeinflusst. Die Ergebnisse sprechen dafür, das methodische, zielorientierte Handeln in der persönlichen Hilfe weiterzuentwickeln. Sie regen ausserdem zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Arbeitsinstrument der Ziel- und Handlungsplanung an: Sie lässt sich als ein Hebel ansehen, den die Sozialdienste ansetzen können, um ihre Klientinnen und Klienten wirkungsvoller – im Sinn von nachhaltiger – zu unterstützen.
Nachhaltige Ablösung
Als nachhaltig abgelöst gelten in der vorliegenden Studie Personen, die einerseits mit guten Chancen für eine langfristige Ablösung aus der Sozialhilfe ausscheiden; für die Definition einer nachhaltigen Ablösung kamen die Kriterien des Bundesamts für Statistik zur Anwendung wie beispielsweise die Aufnahme einer Erwerbsarbeit (Ablösung in die Selbstsorge) oder Leistungen einer Sozialversicherung wie der IV (Ablösung in vorrangige Leistungen). Zugleich müssen es Personen sein, die während mindestens 18 Monaten keinen erneuten Sozialhilfebezug aufweisen. Als nicht nachhaltig abgelöst gelten in der Studie Personen mit denselben Ablösegründen, die jedoch innerhalb derselben Frist zum Sozialdienst zurückkehrten.
Eine ausführliche Fassung dieses Artikels finden Sie in der neuesten impuls-Ausgabe.
Kontakt:
- Claudia Michel, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Departement Soziale Arbeit
- Daniel Iseli, Dozent, Departement Soziale Arbeit
- Simon Steger, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Departement Soziale Arbeit
Projekte und Partner:
Literatur und weiterführende Links:
- Buhr, P. (2002). Ausstieg wohin? Erwerbssituation und finanzielle Lage nach dem Ende des Sozialhilfebezugs. Bremen: Zentrum für Sozialpolitik.
- Bundesamt für Statistik. (2011). Schweizerische Sozialhilfeempfängerstatistik. Leitfaden zur Durchführung der Erhebung. Neuchâtel: BFS.
- Bundesamt für Statistik. (2014). Sozialhilfestatistik. Indikatorentabellen auf Ebene Sozialdienst zur Sozialhilfestatistik 2013 Kanton Bern. Neuchâtel: BFS.
- Haller, D., Jäggi, F. & Belser, C. (2014). Wirkungen der Sozialhilfe. Unterstützungsprozesse und ihre Effekte. impuls.
- Müller de Menezes, R. (2012). Soziale Arbeit in der Sozialhilfe. Eine qualitative Analyse von Fallbearbeitungen. Wiesbaden: Springer VS.
- Salzgeber, R., Fritschi, T. & Graf, T. (2010). Zeitliche Verläufe in der Sozialhilfe. Bern: BFH, Fachbereich Soziale Arbeit.
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