Der Einbezug von Religion und Spiritualität in der Sozialberatung

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Foto: istock.com MmeEmil

Inwieweit sollen Religion und Spiritualität in die sozialarbeiterische Praxis einbezogen werden? Führt eine Tabuisierung von Religion und Spiritualität in der Beratung zu einer verkürzten Professionalität, da möglicherweise etwas Wesentliches ignoriert wird? Diese Fragen werden in der Theorie- und Methodendiskussion Sozialer Arbeit erst allmählich behandelt.

In der Sozialberatung werden Religiosität und spirituelle Fragen meist übersehen oder tabuisiert. Oder Religion wird – insbesondere bei Menschen muslimischen Glaubens – als zentrale Differenzkategorie über Gebühr mit Bedeutung aufgeladen. Trotz Säkularisierung sind Religion und Spiritualität jedoch als gelebte Praxis und normative Orientierung nicht gänzlich aus dem Alltagsleben von Klient*innen verschwunden. Gerade in Krisen wie Arbeitslosigkeit, chronischer Krankheit, Gewalterfahrung oder Obdachlosigkeit können sie unterstützen oder Fragen aufwerfen. Warum geschieht mir das? Was hat das zu bedeuten? Welchen Sinn hat mein Leben überhaupt noch? Diese Orientierungen und Fragen als etwas zu verstehen, das für einige Klient*innen existentiell ist, zeichnet professionelle Soziale Arbeit aus.

Interviews mit Berater*innen

Für eine qualitative Studie befragten wir in der Beratung tätige Sozialarbeitende, wie sie mit Religion, Spiritualität und existentiellen Fragen umgehen. Denn Sozialberatung soll, so die Theorie, «Möglichkeiten und Anregungen, Impulse und Methoden anbieten, die Menschen helfen, «sich selbst im Lebensganzen verstehen zu lernen». Interviewt wurden zwei Personen eines kirchlichen Sozialdienstes sowie fünf Sozialarbeitende auf städtischen Sozialdiensten, die aufgrund ihrer grundsätzlich positiven Einstellung gegenüber Religion für die Studie ausgewählt wurden.

Alle interviewten Fachpersonen betonen, dass sie das Thema Religion und Spiritualität nicht von sich aus ansprechen. Dennoch ergaben sich deutliche Unterschiede,

  • wie die Sozialarbeitenden beraten.
  • aus welcher Haltung heraus sie es tun.
  • wie sie dem Thema Religion und Spiritualität emotional begegnen.
  • wie die Institution die Sozialberatung prägt.

Aufgrund der qualitativen Herangehensweise konnten wir auch mit einer kleinen Zahl von Interviewten vier Typen herausarbeiten, die weitere empirische Bestätigung bedürfen.

Vier Weisen mit Religion und Spiritualität umzugehen

Charakteristisch für den Typ «Dialogpartner*in» ist die Haltung: «Ich plane nicht, was ich hören werde.» Diese Fachpersonen – die sowohl in der Kirche als auch in der Migrationssozialarbeit anzutreffen sind – sind offen und aufmerksam für die Themen, die im Prozess auftauchen. Ihr Ziel ist es, dass die Klient*innen das aussprechen können, was sie bewegt. Dabei wird das Vordergründige – z.B. finanzielle Probleme – nicht abgewertet, sondern auch in seiner existentiellen Dimension erkannt. Der Beratungsprozess, in dem nicht selten auch Sinn- und Religionsfragen thematisiert werden, hat eine dialogische Komponente, denn auch die Fachpersonen verstehen sich als Suchende, die den Einbezug von spirituellen Fragen nicht im Widerspruch zu ihrer sozialarbeiterischen Professionalität sehen.

Anders der Typ «Selbstbeherrschte». Er erlebt die Einbindung in eine säkulare Institution als einschränkend, da er hier eine grundlegend kritische Haltung gegenüber Religion und dem christlichen Glauben wahrnimmt. Diese Fachpersonen sehen sich gezwungen, ihre Religiosität eher zu verbergen und ihr religiöses Selbstverständnis drückt sich vor allem in Form von Nächstenliebe und Menschlichkeit aus. Explizit zum Thema werden Religion und Spiritualität nicht, was sie jedoch bedauern.

Auch beim Typ «Dienstleister*in» wird Religion nicht zum Thema der Beratung: diese Fachpersonen möchten alle gleichbehandeln und niemanden zwingen, Persönliches preiszugeben. Sie thematisieren daher lediglich administrative und finanzielle Angelegenheiten und postulieren: «Es ist ein Amt, es ist einfach ein Amt.» Entsprechend werden die Aussagen der Klient*innen auf das zugeschnitten, was gehört werden muss. Dies beschränkt die Sozialarbeitenden in ihrer Offenheit hinzuhören und es entsteht wenig bis keine Resonanz für existentielle Themen. Diese Fachpersonen äussern ein generelles Unbehagen, sich zu sehr auf das Gegenüber einzulassen und den Klient*innen zu nahe zu treten.

Der Sozialarbeiter, den wir als Typ «Unbefangene» gekennzeichnet haben, gibt sich als gläubiges und praktizierendes Mitglied der muslimischen Gemeinschaft zu erkennen. Sein unvoreingenommenes Zuhören und seine akzeptierende Haltung erlauben es, Beweggründe für vordergründig unverständliches oder fremdes Verhalten zu verstehen. Dabei ist hilfreich, dass eine gemeinsame religiöse Sprache zur Verfügung steht und dass die Religiosität der Klient*innen als Ressource betrachtet wird. In den Grundhaltungen Sozialer Arbeit – z.B. Empathie und Geduld – sieht er auch religiöse Tugenden.

Weitere Studien zur religionssensiblen Haltung notwendig

Grossen Einfluss hat auch der religionsskeptische gesellschaftliche Diskurs. Die Interviewpartner*innen befürchten alle, in die «fromme Ecke» gestellt zu werden und dass ihnen Missionierungsabsichten und Unprofessionalität unterstellt würde. Auch die Fachpersonen der kirchlichen Sozialdienste kennen diese Angst, wenn sie sich in einer Runde mit anderen Sozialarbeitenden vorstellen.

Unabhängig davon zeigt sich, dass die befragten Fachpersonen ein unterschiedliches Verständnis davon haben, ob und wie sich in der Beratung sozialarbeiterische Professionalität mit dem Einbezug von Religion und Spiritualität verbinden lassen. Zukünftige Studien könnten hier anknüpfen und die institutionellen und persönlichen Bedingungen für eine «religionssensible Haltung» und deren Wirkung auf Klient*innen erforschen.

 


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